Solomon Burke
Don't Give Up On Me
(Edel)

Foto: Edel
Er ist Kirchenmann, Leichenbestatter, Popcorn-Produzent und ein Gigant des Soul: Der 66-jährige US-Sänger Solomon Burke veröffentlicht mit "Don't Give Up On Me" ein ergreifendes Alterswerk. Eine Figur wie Solomon Burke lässt sich nicht erfinden. Niemand würde einem glauben: Als Klein Solomon mit sieben Jahren gerade mal ans Bibelpult reicht, gibt er seine erste Predigt, wird mit neun zum Bischof einer Kirche gekürt, die heute 170 Gemeinden überall in Nordamerika und Jamaika umfasst, und verbreitet mit zwölf die frohe Botschaft über einen lokalen Radiosender. Anfang der 60er-Jahre wird er mit Balladen wie Just Out Of Reach , Cry To Me oder Everybody Needs Somebody zu einem der ersten Superstars des jungen Soul. Hatte sich Bischof Solomon in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem seiner Kirche gewidmet, so scheint jetzt der Zeitpunkt gekommen, den verwaisten Soul-Thron wieder einzunehmen. Sein neues Album Don't Give Up On Me ist jetzt schon ein Klassiker. Bob Dylan, Tom Waits oder Van Morrison haben extra für den King of Soul neue Songs geschrieben. STANDARD: Mr. Burke, Sie gelten als ausgesprochener Familienmensch ... Solomon Burke: Das kann man wohl behaupten. Meine Familie wächst und wächst. Ich habe zwar nur 21 Kinder, aber dafür 63 Enkel und acht Urenkel. Du kannst dir meine Telefonrechnungen nicht vorstellen. Da ruft dann einer meiner Enkel an, und ich flüstere meiner Frau zu: "Wer ist das schon wieder?" STANDARD: Als Gottesmann scheinen Sie weder die geschäftlichen noch amourösen Verwicklungen der Welt zu scheuen. Ihr Kollege Little Richard dagegen hat seine Juwelen in den Fluss geworfen, als er sich zum Priesteramt entschloss ... Burke: Ich habe diesen Fluss neunmal trockengelegt und nichts gefunden. Langsam fange ich an zu glauben, dass Little Richard seine Juwelen an eine Nylonschnur gebunden hat, sodass er sie wieder rausziehen konnte, sobald die Kameras abgeschaltet waren. STANDARD: Als Sie in den 60er-Jahren "Meet Me In Church" sangen, war damit doch auch eine Liebschaft gemeint? Burke: Eine Liebschaft, genau, das ist auch ein Grund, warum die Leute zur Kirche gehen. Du liebst den Herrn, du liebst Gott, du schaust dich um und fragst dich: Ist sie verheiratet? (Gelächter) Wenn du jemanden wirklich liebst, dann wirst du deine spirituellen und persönlichen Gefühle nicht trennen. Du bringst sie zusammen. Nur so funktioniert die Liebe. STANDARD: Der Song "The Other Side Of The Coin" greift das Thema auch auf Ihrem neuen Album auf. Burke: Niemand ist die ganze Zeit gut, und nichts tut dir die ganze Zeit gut. Wenn du steigst, wirst du auch fallen, das ist die Kehrseite der Medaille. Ich nehme den Text dieses Songs und versuche, ihn als eine Botschaft der Liebe zu interpretieren. Vergiss das niemals: Egal wie glücklich wir heute sind, wir müssen die Münze irgendwann umdrehen. Ich bin lange genug durch die Hölle gewandert, um das mit Sicherheit sagen zu können. STANDARD: Sie strahlen in Ihren Songs die Zuversicht aus, mit dem Auf und Ab des Lebens zurechtkommen zu können. Viele Texte im zeitgenössischen R'n'B scheinen aber eher die Leere auszudrücken, die Sie als Hölle bezeichnen ... Burke: Viele dieser Sänger sind verwirrt und haben in ihrem Leben nicht die Gelegenheit gehabt, das zu tun, was sie gerne tun würden. Wenn sie sich dann endlich ausdrücken dürfen, haben sie nur ein Bedürfnis: aus dem Wirrwarr, der Enttäuschung, der Sorge und Armut endlich rauszukommen und das auch nach außen zu beweisen - mit großen Autos und schönen Häusern. Hinter dem zeitgenössischen R'n'B steckt viel Verletzung und Schmerz. STANDARD: Es heißt, Sie hätten vor den Aufnahmen Ihrer neuen Songs nicht ein einziges Mal geprobt ... Burke: Stimmt. So funktioniert Soul. Klar, dass man Dinge üben kann, um sie perfekt zu machen. Aber Soul stellt nichts dar, das man perfektionieren könnte. Soul lässt sich nicht auf Kommando abrufen. Man kann ihn nur fühlen. Und das liegt jenseits aller Übung. STANDARD: Haben Sie erwartet, dass Elvis Costello, Nick Lowe, Van Morrison oder Bob Dylan sich an den Schreibtisch setzen würden, um eigens für Sie einen Song zu komponieren? Burke: Nein, ich bin ehrlich geschmeichelt. Dass diese Songwriter sich für mich diese Zeit genommen haben - da steckt tiefes Einfühlungsvermögen dahinter: Ich bin nur derjenige, der diese Songs verpacken darf, die Fransen und das Geschenkpapier besorgt. STANDARD: Besonders hingebungsvoll wirken Ihre Songs, wenn Sie wie in "None Of Us Are Free" eine imaginäre Kirche rocken. Burke: Solange einer von uns in Ketten liegt, kann niemand frei sein. Wenn ein Mitglied deiner Familie Drogen nimmt oder psychisch krank ist, dann bleibt die ganze Familie gefesselt, bis derjenige geheilt wird. Es geht in dem Song nicht nur um Rassenprobleme, er handelt von vollkommener Freiheit - psychischer, körperlicher, spiritueller, finanzieller und, ja, auch sexueller Freiheit. STANDARD: In den 60er-Jahren haben Sie eine Kette von Beerdigungsinstituten aufgebaut. Burke: Vergiss nicht: "I am the last one to look you down, I am the first one to get you up." Zwei meiner Kinder haben inzwischen denselben Beruf erlernt. STANDARD: Was fasziniert Sie an dieser Beschäftigung so? Burke: Ich wollte als Kind Chirurg werden. Als meine Mutter sah, wie ich an einer toten Katze rumoperierte, sagte sie: "Solomon, leg die Katze zurück in ihre Kiste und beerdige sie!" Da wusste ich, wie es funktioniert! Der Tod ist die einzige Zeit im Leben, wo die Menschen jemanden wirklich brauchen, jemanden, der sie durch den Verlust begleitet. Wie ein Doktor das Baby in die Welt holt, begleitet der Leichenbestatter jemanden wieder hinaus. STANDARD: Sie üben Ihr Handwerk mit großer Leidenschaft aus. Angeblich mussten Ihre Musiker schon öfters im Tourbus warten, während Sie an Leichenschauhäusern wegen eines Erfahrungsaustausches Halt machten.

Burke: Ja, wir haben tatsächlich oft angehalten, und ich habe mein kleines Ding gemacht. Körper in Formalin eingelegt ... Aber das gehört für mich eben auch zum Leben dazu.

STANDARD: Mussten Sie auch für die Durchmischung Ihres Publikums kämpfen wie Ray Charles, der es nicht ertragen konnte, wenn die Weißen vor der Bühne standen und die Schwarzen hinten auf die Balkone gesperrt waren? Burke: Ich habe üblicherweise die eine Nacht nur für die Schwarzen gespielt, die nächste dann nur für die Weißen. Aber wie schön zu wissen, dass Musik ein grundlegendes Instrument bei der Veränderung der Situation war. Weil da die Hautfarbe keine Rolle spielt. Gott ist farbenblind. STANDARD: Sprechen Sie über solche Dinge mit Ihrem päpstlichen Freund Johannes Paul II.? Burke: Klar, wir reden auch über Musik. Im Jahr 2000 hat der Papst mich und meine Familie als alleinige Repräsentanten der USA zu den Jubiläumsfeierlichkeiten eingeladen. Seitdem stehen wir in Kontakt. STANDARD: Haben Sie ihm vorgesungen? Burke: Oh ja. Wir haben zwei seiner Lieblingssongs für ihn gesungen: Everybody Needs Somebody und What A Wonderful World . Er hat dazu seinen kleinen Tanz hingelegt. (Solomon schwankt von einer Seite zur anderen.) Dann hat er mich gesegnet und mir einen Sack voll Geschenke für meine Kinder gegeben. Aber Moment mal: Sollte ich nicht eigentlich mein neues Album bewerben? Ladies and gentlemen, meine neue Platte heißt Don't Give Up On Me , danach werden wir die Kollekte einsammeln! Burke: STANDARD: Sie können das Predigen niemals sein lassen? Burke: Wo ich bin, ist auch eine Kirche um mich versammelt. So wie Sie mich in die Mangel nehmen, sollten Sie sich auch diesem Berufszweig anschließen. STANDARD: Da würde ich schon lieber auf einem Ihrer Konzerte Popcorn verkaufen. Burke: Dann sollten wir heiliges Popcorn verkaufen: Lasst es im Mund platzen und werdet errettet! Ich gebe es nicht gerne zu - aber Popcorn war ein großes Thema für mich und ist es immer noch. Willst du Soul-Popcorn? Du kannst es auf meiner Webseite bestellen. STANDARD: Mit den großen Plattenfirmen allerdings scheinen Sie geschäftlich nicht so gut gefahren zu sein wie mit Popcorn? Burke: Da könnte ich eine Menge üble Geschichten erzählen, aber an diesem Punkt meines Lebens läuft alles in die richtige Richtung. Ohne die Depressionen könnte ich die Aufschwünge nicht genießen. Meine Songs habe ich als eine Art Flaschenpost losgeschickt und gehofft, jemand würde sie aus dem Meer fischen. Überall, wo ich auftrete, treffe ich auf Menschen mit Verletzungen, Schmerzen, Menschen, die nach Liebe suchen, die frei sein möchten. Ob ich None Of Us Are Free singe oder A Change Is Gonna Come - es liegt an uns, dem Leben eine neue Richtung zu geben und bessere Menschen zu werden! Solomon Burke schweigt gerührt von den eigenen Worten. Eine Träne fließt ihm über die Wange. Tatsächlich, es ist eine Träne! (DER STANDARD, Printausgabe, 26.7.2002)