Mit dem Auspressen der zeriebenen Kavawurzel beginnt jedes Kavatrinken.

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Grafik: DER STANDARD

Die Welt würde nach Vorovoro kommen, wie er es erwartet hatten. Tevita Ratu sitzt barfuß auf dem Holzboden der Hütte, die Mangrovenstreben des ungedeckten Daches werfen

ein hartes Schattenmuster auf sein Gesicht. "Israel!", lacht er und deutet mit einem Nicken auf Itamar, den Israeli, der gestern auf die Insel gekommen ist und nun, einen traditionellen Sulu um die Hüften gewickelt, zur Küche geht, um die Porridge-Schüssel vom Frühstück abzuwaschen. "Das ist weit weg." Sein Kopf ist leicht zurückgelehnt, der Mund steht offen, als könne er es noch immer kaum glauben.

"Wir müssen bereit sein", hatte er zu Tui Mali gesagt, dem Chief des Yavusa-Stammes. "Die Welt wird zu uns kommen, nach Vorovoro." Und er hatte nach seiner Machete gegriffen und einen Streifen Land hinter dem Strand für die Zukunft gelichtet. Sie hatten zwei Bures gebaut, die traditionellen mit Schilf gedeckten Fidschi-Häuser. Doch dann war nichts passiert, es blieb ruhig auf der Insel.

So ruhig wie seit Jahrhunderten, seit an dem rundlichen Felsen am Ende des Strandes das Boot zerschellte, das die ersten Menschen auf die Insel brachte, vier Familien, die von der Hauptinsel Viti Levu vertrieben worden waren. Sie gründeten vier Dörfer auf der Nachbarinsel Mali und lebten von dem, was Land und Meer hergaben. Sie bauten Kassava an, Brotfrucht und Taro, sie gingen fischen und lebten zwischen Kokospalmen und Bananenstauden. Ungezählte Jahre später kamen die Missionare, dann kam der Außenbordmotor, und vor zwei Jahren schließlich die ganze Welt.

Ben Keene und Mark Bowness tauchten an einem Tag imMärz auf. Zwei Engländer, hellweiße Haut, beide Mitte zwanzig, eine Vision. Über Google hatten sie eine Insel für ihr Internetprojekt Tribewanted.com gesucht ("Private island for sale"). Jetzt saßen sie bei einer Kava-Zeremonie auf einer geflochtenen Pandanus-Matte in Tui Malis Haus und versuchten, ihm das Konzept einer Online-Community mit Echtweltbezug zu erklären. Ein virtueller Stamm, der auf seiner Insel zusammenkommen würde.

Tribewanted sollte das Wissen des Internets nach Vorovoro bringen, onlinedemokratisch sein und ökologisch nachhaltig, die Traditionen des Yavusa-Stammes respektieren und ihnen eine Erwerbsmöglichkeit schaffen. Tui Mali gefiel die Idee. Er wusste, dass die Welt pausenlos kommunizierte und dass darin eine Zukunft lag, die an seinen Leuten bislang vorbeigegangen war. Tribewanted war eine einmalige Chance, mit dieser Welt in Kontakt zu kommen.

Vorovoro. Aus der Luft betrachtet ist das nicht mehr als ein langgezogenes Felsband vor der Küste von Fidschis zweitgrößter Insel, Vanua Levu, vielleicht fünfhundert Meter vom einen Endezumanderen, mit Palmen und Büschen bewachsen, umgeben von Korallen, die bis zur Riffkante nur wenige Zentimeter unter dem Meeresspiegel wachsen. Hinter dem Strand an der Nordseite, zerstreut zwischen Palmen, das Dorf. Mehrere offene Häuschen mit Betten und Hängematten, in der Mitte eine große Bure als Versammlungsraum, daneben Komposttoiletten, Küchenhaus, Feuerstelle, Eimerdusche, Fußballfeld. Welten entfernt von den luxuriösen Resorts, für die Fidschi bekannt ist. Das Wasser ist knapp, Feuerholz muss man selbst suchen, ohne Stirnlampen geht abends nichts mehr.

"It's lovely, it's basic", brüllt Jason aus Southampton. "Paradise!" Zwei stämmige Beine tragen einen tätowierten Körper, das Muskelshirt spannt über seinem Bauch. Alles ist wuchtig an ihm, auch die Stimme. Er steht vor seiner Hängematte mit integriertem Moskitonetz, die er bei Ebay für 25 Pfund ersteigert hat. "Schläft man bestens drin." An einem Ast hängt eine Solardusche. "Zu Hause habe ich alles, Autos, Fernseher, Computer, hier vermisse ich nichts davon."

In dieser Woche ist Vorovoro ausgebucht, dreißig Leute sind da, es ist schwierig, noch einen guten Schlafplatz zu bekommen. Die meisten von ihnen sind "gappers",um die zwanzig Jahre alt, die sich den Rucksack aufgeschnallt haben, bevor es irgendwie weitergeht im Leben. Bucht man online, sieht man sofort, wer zur gleichen Zeit auf Vorovoro sein wird, wer einen ähnlichen Musikgeschmack hat. Tribewanted.com nutzt alle Möglichkeiten der virtuellen

Vernetzung. Die Leute vom Yavusa-Stamm und ihre kleine Insel befinden sich mittendrin in den Eingeweiden des Web 2.0, in Videostreams auf Youtube. com, Foto-Pools auf Flickr.com oder Profilseiten auf Facebook und Myspace.

Wenn man dann auf der Insel ist und eine Kokosnussschale mit Kava gereicht bekommt, ist das Internet ganz weit weg: Sevusevu heißt die Zeremonie, bei der jeder Neuankömmling in die Gemeinschaft aufgenommen wird. Man klatscht in die Hände, trinkt die bittere, erdfarbene Flüssigkeit in einem Zug aus und klatscht noch dreimal, bevor der Nächste in der Runde dran ist. Die Mundhöhle wird betäubt, man entspannt sich. Wenn die Holzschüssel leer ist, wird eine neue Portion der Rauschpfefferwurzeln mit der Lenkstange eines Autos zerstampft, das nie auf der Insel war, ein neuer Aufguss gemacht, kommen die Ukulelen und Gitarren heraus, die melancholisch-fröhlichen Melodien, die Geschichten und die Sterne.

Die Offenheit der Yavusa macht Tribewanted zu einer interkulturellen Erfahrung, die man sonst auf Fidschi so nicht findet. Auf Vorovoro findet man sich mitten in einer Südseekultur wieder, man lebt und arbeitet zusammen, lernt Fragmente der Fidschi-Sprache, den traditionellen Sitztanz Meke, die Kava-Zeremonie und andere Riten. "Ich wünschte, ich könnte auch so sein", sagt die 19-jährige Alice aus London sehnsüchtig. "Wir haben ja keine Bräuche, außer vielleicht den Fünf-Uhr-Tee."

Wer einen gemütlichen Strandurlaub auf einer einsamen Insel sucht, ist auf Vorovoro falsch. Zwar sind die Zeremonien und die Arbeit freiwillig, und man kann Zeit in der Hängematte verbringen oder beim Schnorcheln. Doch ein Gemeinschaftsdruck ist schnell spürbar. Gut nur, dass alle paar Wochen neue Leute auf die Insel kommen, neue Ideen und Erwartungen. So kann eine eingeschworene Gemeinschaft nicht entstehen, vor Ort bleiben nur die Tribewanted-Organisatorenunddie rund 15 Angestelltenvom Yavusa-Stamm.

Api, der Bootskapitän etwa, die Köchinnen oder Epeli, der Großvater mit nur einem Zahn. "Es sind so fröhliche Leute", schwärmt die 55-jährige Elizabeth aus Los Angeles. "Ich bin hergekommen, um von ihnen zu lernen und inneren Frieden zu finden." Sie kann die Tränen nicht zurückhalten, als sie nach zwei Wochen im Boot sitzt und die Insel langsam hinter ihrem Rücken verschwindet.

In den vergangenen eineinhalb Jahren ist durch Zusammenarbeit viel entstanden auf Vorovoro, ein Mix aus lokalen Traditionen und modernen Technologien - ein surrendes Windrad und ein Solarmodul sorgen für Strom für Laptops, Digitalkameras, iPods und Handys, im Garten wachsen Taro, Yams und Kassava. "Wir wollen so viel wie möglich selbst produzieren", sagt Benjamin aus Iowa, derMannfür die Nachhaltigkeit, den man morgens bei seinen Yoga-Sitzungen am Strand trifft. In Sachen Energie ist die Nachhaltigkeit bereits erreicht, bei der Lebensmittelversorgung nicht, noch wird jede Woche zugekauft. Auch das Wasser reicht kaum, eine Entsalzungsanlage ist geplant. "Es wäre gut,wennes Leute gäbe, die solche Projekte online diskutieren, bevor sie auf die Insel kommen und sie umsetzen", sagt er. Doch anders als in der Anfangszeit hat das Internet immer weniger Einfluss auf das Inselleben, abgestimmt wird fast nur noch über den monatlich wechselnden Insel-Chief.

Überhaupt ist Tribewanted nicht da, wo es sein sollte. 5000 Mitglieder waren das Ziel, bislang sind es gut 1600. Und es bleibt nur noch etwas mehr als ein Jahr, bevor das Projekt endet und die Insel zurück an den Yavusa-Stamm geht. Wenn es nach Tevita geht, war das aber erst der Anfang. "Vorovoro kann ein Vorbild sein für ganz Fidschi", sagt er. Wenn sich herumspricht, dass hier Leute aus aller Welt den Sulu tragen und mit den Einheimischen zusammenleben, anstatt sich im Hotelzimmer einzusperren.

Er streicht mit der flachen Hand über den Boden. Tribewanted wird Fidschi wieder auf den richtigen Wegbringen, davon ist er überzeugt. Vielleicht wird es dann auch eine Breitbandverbindung auf der Insel geben, nicht nur das schwache Handysignal hinterm Garten, bei den Schweinen. Und er würde lernen, sich durch Youtube und Myspace zu klicken. Dann wäre die Welt wirklich angekommen auf Vorovoro. (Mirco Lomoth/DER STANDARD/rondo/18.9.2008)