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Der "Opernführer der Nation", Marcel Prawy, während einer Pressekonferenz zum Thema "200 Jahre Theater an der Wien" im Wiener Hotel Sacher, 2001

Foto: APA/Guenter R. Artinger

Der Wiener "Opernführer" Marcel Prawy, 89, lebte zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre im Hotel Sacher. Im Gespräch mit dem Standard erzählte er, warum das Wohnen im Hotel die perfekte Lebensform ist.

STANDARD: Sie sind nicht nur als Opernfachmann berühmt, sondern auch für Ihr Archiv in Plastiksackerln und Ihre Stofftiersammlung. Mussten Sie ins Hotel übersiedeln, weil zu Hause kein Platz mehr war?

Marcel Prawy: Im Hotel wohnen ist eine Philosophie. Ich möchte ein Profi sein und kein Dilettant und will auch nicht von Dilettanten umgeben sein. Stellen Sie sich vor: Ich würde in einer Wohnung wohnen - die ich ja habe, nur ist sie tatsächlich unbetretbar vor lauter Büchern und Kassetten -, und im Badezimmer fließt kein Wasser. Da bin ich kein Fachmann, und wie soll ich jetzt wen finden? Ich will den Portier anrufen und ihm sagen: "In meinem Zimmer fließt kein Wasser. Bitte kümmern Sie sich darum." Das habe ich im Hotel.

STANDARD: Das heißt, Sie wohnen im Hotel, um sich die Mühen des Alltags zu sparen?

Marcel Prawy: Nein. Ich möchte das positiver sagen: Ich will meinen Kopf, solange ich noch etwas zu geben habe, mit dem beschäftigen, von dem ich etwas verstehe - mit der Oper. Und nicht mein Hirn verschwenden, nicht mit Kochen, nicht mit Reinigen, nicht mit Reparaturen. Ich bin davon überzeugt, dass meine Freunde von ihren Wohnungen schwärmen, weil sie sich das Wohnen im Hotel nicht leisten können. Der Karl Farkas hat einmal gesagt: "Ich bin stolz auf meine Hühneraugen. Denn, wenn ich nicht stolz wäre, hätte ich die Hühneraugen auch."

STANDARD: Die meisten Menschen können sich das Sacher nicht einmal für einen Urlaub leisten. Wie machen Sie das?

Marcel Prawy: Ich kann es mir eigentlich auch nicht leisten, ich bin immer am Rande des Sich-nicht-leisten-Könnens. Ich konnte es mir nicht einmal leisten, als ich noch nicht hier wohnte: Ich war mit zwei Wiener Komponisten - Robert Stolz und Oskar Straus - sehr befreundet, die sich aber nicht leiden konnten. Ich wollte die versöhnen und habe mit meinen damals noch bescheidenen Mitteln eine Riesenparty im Sacher gemacht und alle eingeladen, damit die wieder Freunde werden. Die haben sich am Fest umarmt und geküsst, sobald die Party aus war, waren sie wieder bös'. Und ich hab' gezahlt. Das waren die letzte Reste von Idealismus.

Natürlich ist das Hotelleben sehr teuer, aber Sie müssen auch rechnen, was man sich dabei erspart. Ich bin gegenüber von der Oper, so spare ich das Taxi. Bedienung, Heizung, Reparaturen - das ist alles im Hotelpreis inbegriffen.

STANDARD: Verlassen Sie das Hotel, außer um in die Oper zu gehen?

Marcel Prawy: Ich gehe sehr ungern woanders hin als in die Oper. Wenn ich hier sage "Bitte meine Suppe", dann kommt eine Rindsuppe mit einem Grießnockerl und einem Leberknödel. Im Sacher weiß man, was ich will.

STANDARD: Ihr Hotelzimmer ist Ihr Zuhause?

Marcel Prawy: Zuhause bin ich in der Oper. Alles andere sind Gastspiele. Aber das Sacher liebe ich besonders. Ich glaube, dass die Wohnung eine überholte Lebensform ist. Die richtige Lebensform ist das möblierte Apartment in einem Apartmenthaus mit Restaurant und Zimmerservice.

STANDARD: Warum haben Sie das Sacher ausgesucht?

Marcel Prawy: Schon meine Tante hat hier gelebt. Und daher lernte ich bereits als Kind die Selbstverständlichkeit des Hotellebens kennen, ich kannte noch die Anna Sacher mit der Zigarre. Anfangs war das Sacher mein Stundenhotel ohne Damen, wenn ich von der Arbeit in der Oper ein paar Stunden ausruhte und dann übernachtete ich immer öfter, bis ich ganz hierher zog.

STANDARD: Ersetzt das Hotel die Familie?

Marcel Prawy: Ich bin hier ein Familienmitglied. (DER STANDARD, Printausgabe vom 9.3.2001)