Im kleinen Ort Pirici besuchen "Bauern helfen Bauern" den "Dorfchef" Izet. Hier wurden sieben Holzhäuser von BhB gebaut. Pro Ortschaft koordiniert eine Person die Anfragen der Nachbarn und leitet sie an BhB weiter.

Foto: derStandard.at/Honsig

Izet mit BhB-Mitgliedern.

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Vor allem für junge Familien ist ein BhB-Holzhaus eine Überbrückung, bis das eigene, zerstörte Steinhaus wieder aufgebaut ist. Viele Ältere bleiben allerdings für immer in dem Holzhaus.

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Emina und Aldjana, die kleinen Töchter von Kemal und Sultana, können demnächst in ein gut geheiztes Holzhaus umziehen ...

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... bis dahin wohnt die kleine Familie in einer verlassenen Ruine von Bekannten.

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Wenn Gäste kommen, ist das ein soziales Event für die gesamte Nachbarschaft.

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Ein Lebensmittelladen aus der Zeit vor dem Krieg. Die Frontlinie ging quer durch die Gemeinde Srebrenica. In der Nachbargemeinde Bratunac, nur wenige Kilometer von Potocori, dem zentralen Ort des Massakers entfernt, fanden keinerlei Kampfhandlungen statt.

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BhB helfen nicht nur mit einem Dach über dem Kopf ...

... sondern auch mit der Grundausstattung zum Überleben.

Die Namen der Ermordeten füllen etliche Steintafeln. Über 8000 Menschen, zum Großteil muslimische Männer und männliche Jugendliche, wurden am 11. Juli 1995 in den Wäldern der Gemeinde Srebrenica von Soldaten der bosnisch-serbischen Truppen unter Ratko Mladic hingerichtet.

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Eine Winteridylle. Die Sonne reflektiert die Kristalle im frischen Schnee. "Die Silberne", nennen die Bewohner ihre Stadt seit Jahrhunderten. Und doch verbindet niemand mit dem Namen dieser bosnischen Stadt Idyllisches. "Die Silberne", auf bosnisch "Srebrenica", ist vielmehr Synonym für das größte Massaker in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Hier gibt es zwei Zeitrechnungen, eine vor und eine nach dem 11. Juli 1995. Die Spuren des Krieges sind auch heute, 13 Jahre danach, überall zu sehen. Brandruinen, Einschusslöcher in den Wänden.

Politischer Hoffnungsschimmer

Erste wieder aufgebaute Häuser weisen in die Zukunft, tuckernde Schulbusse voll mit lärmenden Kindern, das Gemeindehaus frisch renoviert. Seit Anfang Oktober gibt es einen neuen Bürgermeister in Srebrenica, ein Muslim, der seinen Gemeinderat aus allen Ethnien zusammengesetzt hat. Ein politischer Hoffnungsschimmer in einer Gemeinde, in der die Täter noch immer neben den Opfern leben. "Einige wurden verhaftet", erzählt eine junge Frau, "aber viele werden wohl unbehelligt bleiben." Arbeitsplätze sind hier immer noch Mangelware. Wie im restlichen Land auch leben die Menschen vor allem von Transferzahlungen ausgewanderter Verwandter. Wer Land besitzt, versucht sich mit Landwirtschaft über Wasser zu halten, oder arbeitet gelegentlich am Finanzamt vorbei.

"Bauern helfen Bauern"

Ein junger Mann tritt vor dem Büro von Namir Poric nervös von einem Bein auf das andere. Alle hier kennen Namir. Er arbeitet vor Ort für die österreichische Hilfsorganisation "Bauern helfen Bauern (BhB)", eine private Organisation, die sich für Rückkehrer, Arme und alte Menschen einsetzt. "Die helfen dir sicher", hat man Kemal gesagt. Seit 5 Uhr Früh steht er hier, hofft, dass Namir kommt, bevor ihn jemand sieht. Es ist ihm unangenehm, um Hilfe zu bitten. Aber er sieht nur diesen Weg. Kemal ist ein klassischer Rückkehrer. Seine Frau Sultana hat er in einem Flüchtlingslager kennengelernt. Zuletzt wurde sein Asylantrag in Frankreich abgelehnt. Einen Job konnte er weder auf der "föderativen Seite" von Bosnien noch in der Republika Srpska finden.

Nun will er wieder dorthin, wo er geboren ist. Sein Elternhaus ist eine ausgebrannte Ruine, aber das Grundstück und ein paar Quadratmeter Wald sind da. Das Holz will er als Brennholz verkaufen. Auf Pump hat er sich ein Pferd gekauft, der wichtigste Partner der Familie beim Projekt "Neuanfang". Aus den wenigen noch verwendbaren Ziegelsteinen seines Elternhauses hat Kemal dem Pferd einen provisorischen Stall gemauert. Für sich selbst und seine Familie hat Kemal einen Raum in einem zerstörten Haus von Bekannten hergerichtet. "Wir kommen zurecht", meint Sultana optimistisch. Ein kleiner Herd, ein abgetrennter Schlafplatz, Teppiche am Boden. Kein Wasser und kein Strom. Höchstens 15 Quadratmeter. Fürs erste eine Bleibe. Aber keine mit Zukunft.

Geschäft mit Brennholz

Deswegen steht Kemal heute hier, vor Namirs Büro in Bratunac. Er möchte BhB um ein Holzhaus für seine Familie bitten. Häuser, die die private Organisation seit Jahren in Zusammenarbeit mit lokalen Bautrupps für Heimkehrer auf den Grundstücken erbaut, auf denen ihre zerstörten Häuser stehen. Fast 800 im gesamten exjugoslawischen Gebiet sind es mittlerweile, alleine 345 in der Gemeinde Srebrenica. Wenige Tage später hat Kemal die Zusage für das Haus. Er konnte nachweisen, dass das Grundstück ihm gehört. Sobald es aufhört zu schneien, soll das Baumaterial geliefert werden, das Haus wird innerhalb weniger Tage stehen. Eine Motorsäge gehört auch noch zur Starthilfe von BhB. Den Rest schafft Kemal selbst, davon ist er überzeugt.

WC und Bad nicht serienmäßig

Sie sind nicht groß, die Häuser, die BhB baut, strahlen aber eine gewisse Gemütlichkeit aus. WC und Bad sind serienmäßig nicht vorhanden. Die alte Hava ist über den Winter in das von Izet in Pirici gezogen. Ihr eigenes liegt viel zu weit abseits, hat keinen Stromanschluss. In dem Einzimmer-Häuschen werden also in nächster Zeit vier Personen auf engstem Raum leben. Izet, seine Frau, seine Mutter und die alte Frau. Die vier freuen sich über Besuch aus Österreich. Schließlich haben sie, haben Freunde und Nachbarn BhB viel zu verdanken. Lebensmittel, Brillen, Strom, Öfen, Ausbildung für die Kinder, Kühe, Schafe. BhB versucht so gut wie möglich, die Ärmsten zu unterstützen. Vermittelt den Frauen der Strickgruppe Geschäfte und bringt die Teppichknüpferinnen mit potenziellen Abnehmern zusammen. Neider natürlich inklusive. Deswegen gelten für die Zusage eines Hauses strenge Regeln.

Der Kaffee dampft und die Bureks brutzeln schon in der Pfanne. Die alte, zahnlose Frau ist aufgekratzt, liebt es, wenn Besuch da ist. Der wird wie immer überschwänglich begrüßt. Später werden sicher noch Nachbarn vorbei kommen, um Hallo zu sagen und ein paar Worte zu plaudern. Wenn sie Lust und Zeit haben, auch die serbischen. Man versteht sich und weiß, dass man aufeinander angewiesen ist in schwierigen Zeiten. Über die Vergangenheit wird geschwiegen.

Gemischte Gefühle

So ist auch die Strickgruppe von Azra eine gemischte: "Man fragt nicht nach der Ethnie." Azra und ihr Mann waren unter den ersten, die ein Holzhaus von BHB bekamen, mittlerweile leben sie in einem Steinhaus. Mehmed hat einen Job in der nahen Autofabrik, sie ist mit dem vierten Kind schwanger. Mehmed will nach den drei Töchtern unbedingt einen Sohn, obwohl sie sich eigentlich kein viertes Kind leisten können. "Und jetzt ist auch noch die Autofabrik in Schwierigkeiten." Die Wirtschaftskrise macht auch vor Bosnien nicht Halt. Der Verkauf der Stutzen und Hauben bringt zumindest ein kleines Nebeneinkommen. Die zwei älteren Mädchen müssen schließlich zur Schule.

Vor dem Krieg besuchten Srebrenicas Schulen etwa 11.000 Kinder, aktuell sind es nur mehr etwa 10 Prozent davon. In der Gemeinde lebten damals etwa 40.000 Menschen, 70 Prozent muslimisch. Jetzt steht der Bürgermeister einer 10 000-Menschen-Gemeinde vor, weit mehr als die Hälfte der Bürger sind bosnische Serben. Als Muslim hierher zurückzukommen, ist auch eine politische Angelegenheit. Viele der Vertriebenen leben nach wie vor in den Flüchtlingslagern.

Geldquellen

Der politische Konflikt schwelt aber nur unter der Oberfläche. Die "normalen" BürgerInnen bemühen sich um ein reibungsloses Zusammenleben, meiden "gewisse" Menschen, sprechen lieber nicht über Vergangenes. Die zerstörte Moschee wurde mittlerweile wieder aufgebaut, 2000 Vertriebene sind in den letzten Jahren zurückgekommen. Nicht viele. "Es gibt zu wenige Jobs hier", erzählt der neue Bürgermeister Osman Suljic, ebenfalls ein Rückkehrer. Er wurde auch von den Vertriebenen aus der Gemeinde gewählt, die jetzt woanders leben, eine Ausnahme in Bosnien. Suljic hat sich viel vorgenommen. Vor allem will er neue Firmen hierher holen. Und Srebrenicas Heilquellen wieder zu Geldquellen machen.

Hilfsorganisationen wie BhB haben einen großen Beitrag zum bisherigen Aufbau der Gemeinde geleistet. Nach Srebrenica fließen kanadische, niederländische, internationale und eben österreichische Spendengelder. Die internationalen Hilfsorganisationen sind allerdings schon wieder am Abziehen. "Wir bleiben, es gibt noch genug zu tun", beteuert Landolf Revertera von BhB und erzählt von dem Bäcker, der auf Betreiben der Hilfsorganisation nun Menschen gratis mit Brot beliefert, die sich keines leisten können. Erst vor kurzem hat sie der Leiter des OSCE-Büros vor Ort auf diverse Baracken aufmerksam gemacht, in denen bosnische Serben unter extremsten Umständen leben. "Korak po korak", "Schritt für Schritt" werde die Lage erst besser. Und es sind kleine Schritte, selbst 13 Jahre nach dem Massaker.

Erinnern und vergessen

"Das Leben geht weiter und wir wollen nicht die ganze Zeit über Vergangenes definiert werden. Krieg war schließlich nicht nur hier", wehrt sich Amra dagegen, dass Srebrenica von Fremden immer sofort mit dem Etikett des Dramas versehen wird. Amra betreut das Memorialcenter in Potocari. Ihre Tochter ist 18 Monate alt. Ihren Großvater hat die Kleine nie kennengelernt. Der wurde 1995 erschossen. Vor drei Tagen hat man seine Leiche gefunden. "Ich möchte, dass  meine Tochter vom Massaker und seinen Ursachen weiß. Aber ich will nicht, dass sie hasst", meint Amra nachdenklich. "Die Zeit des Hasses ist vorbei." (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 18.12.2008)