"Not Given Lightly. A Tribute to the Giant Golden Book of New Zealands Alternative Music Scene" (Morr/Hoanzl 2009)

Coverfoto: Morr

Tally ho! Während der britische und der amerikanische Platzhirsch noch um die Wette röhrten, aus welchem Land die bessere Gitarrenmusik komme, hatte die Meute vom anderen Ende der Welt längst die Jagd aufgenommen. Und am Ende vielleicht sogar die Nase vorn - jedenfalls wurde Neuseeland-Pop in den 80ern zu einer Mischung aus Geheimtipp und dem ganz großen Ding. The Clean. The Chills. Verlaines. Tall Dwarfs. Bailter Space. Jean-Paul Sartre Experience. Able Tasmans. Chris Knox. Und und und. Versammelt primär im legendären Label Flying Nun Records, zeichnete die diversen Bands vor allem eines aus: Frische. Die sie sich bis heute bewahrt haben.

Das Berliner Label Morr Music hat nun fast seinen gesamten Künstlerkatalog aufgeboten, um dem "Giant Golden Book of New Zealands Alternative Music Scene" mit Coverversionen zu huldigen. Und einen freien Regentag zu nutzen, um sich mit einem Stapel alten Flying Nun-Vinyls vor die Anlage zu setzen und abwechselnd die Originale und die neuen Versionen anzuhören, kann ich nur weiterempfehlen. Der Morr-typisch melancholische Sound erhöht die Nostalgie, in die man sich dabei glücklich hineinduselt, noch beträchtlich.

Etwa bei Lali Puna, Morrs Aushängeschild, für das Begriffe wie "Indietronica" oder "Laptop-Folk" überhaupt erst erfunden wurden. Sie machen den Anfang mit einer ätherischen Version von Jean-Paul Sartre Experiences "I Like Rain", getragen wie stets von Valerie Trebeljahrs unvergleichlicher Stimme. Ihre Meisterschaft in Sachen Coverversionen hatte sie zuvor schon mit "Papa Was A Rodeo" der Magnetic Fields und Phil Oakeys "Together in Electric Dreams" bewiesen; und demnächst soll ja auch die lange Pause, in der es außer Sampler-Beiträgen nichts Neues von den Weilheimern zu hören gab, zu Ende sein.

Unvergessen: The Chills ...

Auf "Not Given Lightly" indes geht es weiter mit den Newcomern People Press Play (bei aller Konzeptualität drehen sich Label-Sampler letztlich ja auch darum, noch unbekannte Musiker zu promoten, und Morr macht das seit Jahren äußerst geschickt). Das dänische Quartett erfreut mit einer Shoegazing-Version eines frühen Chills-Songs, "Kaleidoscope World", der im Original noch als beschwingt schrammelnder Pop-Song daherkam. Die 1980 in Dunedin gegründeten The Chills - neben The Clean wohl die bekannteste Band Neuseelands; und zumindest auf dem Papier gibt es sie immer noch - hatten ihrerseits aber nicht minder geisterhafte Klänge im Programm. Zum Beispiel "Pink Frost", das wirklich auf jeder "Best of '84"-Compilation enthalten sein sollte: Ein unglaublich schöner Song, dessen sich hier gleich zwei Formationen angenommen haben. Dieter Sermeus alias The Go Find aus Belgien, relativ brav klingend, und die Berlinerin Masha Qrella, die eben erst ein Album mit Kurt Weill-Neuinterpretationen herausgebracht hat. "Pink Frost" legt sie tanzbar an und versieht es mit Disco-Geigen, die Frank Farian Boney M. kaum anders verpasst hätte. Und überraschenderweise ist das irgendwie näher am Original als Sermeus' Version - fängt es doch die Dynamik ein, die der Chills-Song bei aller Melancholie auch hatte.

Die Grundstimmung des Originals gibt auch das Duo Tarwater mit seiner elektronischen Ausgabe von "Death and the Maiden" der Verlaines wieder, einer weiteren großen Band aus Dunedin. Nur der kuriose Mittelteil mit der Karussell-Musik findet bei Tarwater keine Entsprechung; und Ronald Lippoks unendlich lakonischer Gesang drückt sowieso allem, was Tarwater machen, seinen Stempel auf. - Prägnante Stimmen ist auch gleich das richtige Stichwort für den hier ebenfalls geehrten Graeme Jefferies. Der war Mitbegründer von This Kind Of Punishment, zog später nach Deutschland (wo er sich unter anderem am "Sonnenallee"-Soundtrack verewigte) und rief The Cakekitchen ins Leben. Jefferies kann - zu schwindelerregendem Effekt - nach Belieben zwischen den Stimmlagen wechseln und dabei wie der Jabberwocky aus "Alice im Wunderland" klingen - für das Münchner Trio Saroos, die sich hier an "Prisoner of a Single Passion" machen, eine ordentliche Steilvorlage.

... und Chris Knox

Gänzlich unbeschwert entert das Duo It's A Musical "All My Hollowness To You" der Tall Dwarfs. Ella Blixt und Robert Kretzschmar spielten schon auf ihrem Vorjahresalbum "The Music Makes Me Sick" gekonnt mit der Zweierperspektive - hier wird ein eigentlich galliger Song über einen One-night stand in ein zweifach gekrähtes I want to screw you! umgemünzt und der Song nahezu ins Gegenteil der ursprünglichen Stimmung verkehrt. Und über die Tall Dwarfs führt der Weg direkt zu Chris Knox, einem der umtriebigsten und an zahlreichen Bandprojekten beteiligten Musiker der Insel(n). Sein großartiger Song "Not Given Lightly", der der Compilation den Titel gab, erschien zum ersten Mal 1988 auf Knox' Soloalbum "Seizure". In der ruhig durchlaufenden Version von B.Fleischmann ist er fast genauso gut - nur die Getriebenheit, mit der sich Knox gegen Ende von "Not Given Lightly" immer mehr in seine Liebeserklärung hineinsteigert, fehlt.

... ja, und dann gäbe es noch Sin Fang Bous und Electric President und American Analog Set, und und und. Das ist vielleicht das einzige, was es an der Compilation zu "bemäkeln" gäbe: Sie ist unglaublich umfangreich - nicht weniger als zweieinviertel Stunden lang, davon 70 Minuten Neuseeland-Covers auf CD 1 und dann noch einmal fast soviel an Originalmusik der beteiligten Bands auf CD 2. Nachdem Morr wie gesagt einen haustypischen Sound pflegt, kann einem die Tracklist vor lauter gezupften Gitarren, Glöckchenklängen aus dem Keyboard und Stimmen, die hauchzarter als ein After Eight daherkommen, schon mal vor den Augen verschwimmen. Aber wer auf CD 2 in eine sanfte Trance zu gleiten beginnt, den holt spätestens Track 7 wieder daraus hervor: "Kudos", ein knalliger Gitarrenpop-Song von einer jungen Band namens Surf City. Natürlich aus Neuseeland.
(Josefson)