Miss Li: "Dancing The Whole Way Home" (DevilDuck Records/Hoanzl 2009)

Coverfoto: DevilDuck Records

Der Seltsame-Mädchen-Pop scheint sich mittlerweile zu einem quasi-offiziellen Genre gemausert zu haben, mit der Doppel-Käthe Nash & Perry und nicht zu vergessen Lily Allen an der Spitze. Und wie die von der Heavy Rotation in den Radios wohlvertrauten Namen schon andeuten, dürfte es sich dabei - ähnlich der Vampirromanze in der Literatur - weniger um eine neue Bewegung handeln als um etwas, das schon immer da war und nun endlich vom Mainstream begierig in Empfang genommen wurde.

Linda Carlsson kann man jedenfalls nicht vorwerfen, auf den fahrenden Bummelzug aufgesprungen zu sein: Ende 2006 veröffentlichte sie ihr erstes Album unter dem Pseudonym "Miss Li". Es folgten musikalische Mehrlingsgeburten - und so kommt es, dass innerhalb von nur zweieinhalb Jahren mit "Dancing The Whole Way Home" schon das vierte Album des schwedischen Workaholics auf dem Markt ist; dazwischen war sogar noch Platz für ein "Best of".

 

Anders als bei den oben Genannten bilden hier Gitarre/Bass/Schlagzeug ein recht klassisches Grundgerüst, in das je nach Songstimmung Bläser oder Streichereinheiten sowie Lindas Pianospiel eingeklinkt werden; auf Elektronik und "zeitgenössische" Ein-bissel-von-allem-Produktion wird verzichtet. Die 60er Jahre stellen einen unverkennbaren Bezugspunkt dar, und nicht nur im Titelstück hört man die Kinks durch. Aber vielleicht - mit Blick auf die Miss Li eigene Freude an rhythmischer Abwechslung - muss das musikalische Geschichtsbewusstsein gar nicht weiter zurückstrapaziert werden als bis zu Tanzschul-Zeit. Immerhin gibt es auch in Dalarna (was in etwa der schwedische Mittelwesten ist) rührig-moderne Lehrer, die ihren Zöglingen Rhythmen anhand von Exempeln aus der "aktuellen" Hitparade - Das ist ein Foxtrott, erkennt ihr das nicht? Jetzt führ ich euch mal ein Beispiel für eine Polka vor, da wärt ihr nie draufgekommen - erklären.

... derlei Aufschlüsselungen können so manchen Lieblingssong für alle Zeiten kontaminieren. Aber falls Linda jemals solcherart traumatisiert wurde, hat sie es noch in ihrer Schulzeit erfolgreich verarbeitet, indem sie zum Ausgleich in einer Metalband spielte. Immerhin hat sie diese spezielle Tresortüren durchdringende Stimmlage - Typ Poly Styrene oder auch Beth Ditto -, die sie dazu prädestinieren würde, als singende Alarmanlage in harten, schnellen Rocksongs zu funktionieren. Aber: Sie hat eine Entscheidung für den Pop getroffen, hält sich also weitgehend im Zaum, miaut, schmeichelt und quiekt - ergreifend geradezu, wie ihr die Stimme in der Girl-Pop-Huldigung "The Boy In The Fancy Suit" wegbricht.

Natürlich ist das alles wohlkalkuliert und unendlich kokett - exakt in gleicher Weise, wie Miss Li in ihren Songs aufdringliche Typen abblitzen lässt  (he's a dirty old man with the zipper all way down), nachdem sie vorher noch ein wenig mit ihnen gespielt hat (it feels so good fooling  a richie, richie like you), oder doofe Geschlechtsgenossinnen auszählt (pretty lady, what's inside that polythene brain?). Die Abrechnung mit dem shallow Bourgeois Shangri-La ist zwar kaum tiefgründiger als ebendieses, bietet aber mit like a throw up in a Gucci bag she's coming here to brag ein hübsches Bild, das sich gut in einer Folge von "Desperate Housewives" machen würde. - Nebenbei bemerkt haben Einsätze von Miss Li-Songs in TV-Serien wie "Grey's Anatomy" das ihrige getan, Lindas in Schweden bereits etablierten Namen (siehe auch das nächste Video) allmählich über die Landesgrenzen hinauszutragen.

Wenn Miss Li also als sowas wie die Independent-Variante von Nash/Perry/Allen & Co angesehen werden kann, dann gilt dies primär für die wirklich gelungene musikalische Umsetzung. Textlich nimmt sie sich im Vergleich etwa zu Kate Nashs pärchensubversiver Tirade "Foundations" oder Lily Allens fieser Ironie à la everything's cool as long as I'm getting thinner relativ brav aus. Miss Lis Credo im Abschluss-Song lautet denn auch eher bescheiden: I know there's a lot of stupid girls in this world / but I don't want to be like them - "seltsame Mädchen" sind eben keine Riot Grrrls - guess I will end up as a lonely ugly drunk on a bench - aber irgendwann entdeckt sie vielleicht doch noch die Courtney in sich. (Josefson)