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In einer präzisen, messerscharfen Sprache formulierter Schmerz: Herta Müller, Nobelpreis für Literatur 2009.

 

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Sprachlose Freude: Herta Müller mit Gratulanten in Berlin

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Wien - In Herta Müllers drittem Roman Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet aus dem Jahr 1997, der wie schon die Vorgängerromane Der Fuchs war damals schon der Jäger (1992) und Herztier (1994) das Leben im Rumänien der Ceausescu-Diktatur schildert, gerät eine Frau wegen "Landesverrats" in die Mühlen des Geheimdienstes. Als Fabrikarbeiterin hatte sie in die Taschen von weißen, für den Export nach Italien bestimmten Leinenanzügen Zettel mit der Nachricht "Ich warte auf Dich" gesteckt. Später werden es Nachrichten nach Schweden sein: "Viele Grüße aus der Diktatur" . Im Buch wird die Frau gekündigt, die Verhöre beginnen, die Überwachung, die Angst.

Zwölf Jahre später scheint nun die literarische Post über viele Umwege bei der Schwedischen Akademie angekommen zu sein. Obwohl der Name Herta Müller im heiteren Namenraten der letzten Tage öfters ins Spiel gebracht wurde, mag es auf den ersten Blick eine nicht geringe Überraschung sein, dass der 1953 im rumänischen Banat geborenen Autorin der mit 965.000 Euro dotierte Preis zugesprochen wird.

Auf den zweiten Blick wird mit Herta Müller, die als Tochter eines Vaters mit SS-Vergangenheit in die deutschsprachige Minderheit Rumäniens hineingeboren wurde und drei Jahrzehnte später, mit Publikationsverbot belegt, nach Deutschland emigrierte, eine sprachgewaltige, sprachlich facettenreiche Autorin ausgezeichnet, deren Werk die Aufarbeitung nicht nur der Nachkriegszeit, sondern der Geschichte des ehemaligen Ostblocks eingeschrieben ist.

Begonnen hat alles 1982, als Herta Müller mit ihrem Prosaband Niederungen debütierte. Müller zeichnet darin nicht nur eine traumatische Kindheit auf dem Land nach, sondern schildert auch das Leben der Banatschwaben in einer von Angst und Missgunst geprägten dörflichen Antiidylle. Das Dorf als Metapher für Enge und gegenseitige Kontrolle wird Müllers Schreiben grundieren. Noch in Herztier heißt es: "Alle bleiben hier Dörfler. Wir sind mit dem Kopf von zu Hause weggegangen, aber mit den Füßen stehen wir in einem anderen Dorf. In der Diktatur kann es keine Städte geben, weil alles klein ist, wenn es bewacht wird."

Eiterbeulen der Demokratie

Während der Arbeit an Herztier entstanden mit Der Wächter nimmt seinen Kamm (1993) auch die ersten Text-Bild-Collagen, in denen die Autorin wie in Im Haarknoten wohnt eine alte Dame (2000) mit der Schere ausgeschnittene und einzeln wieder aufgeklebte Wörter zu Prosagedichten zusammenfügt. Allerdings grundiert Müller auch diese scheinbar spielerischen Bände, wie all ihre Essays, Kolumnen und Romane mit den Themen Gewalt und Diktatur, Anpassung und Widerstand, Flucht und Exil, Angst und Bedrohung. Für ihr Werk wurde Herta Müller in der Folge in Deutschland und Österreich mit vielen, auch großen, Literaturpreisen ausgezeichnet. Wobei ein Teil der Kritik die "thematischen Wiederholungen" beklagte und vor der Gefahr warnte, über die "Wunden der Diktatur" würden die "Eiterbeulen" der Demokratie übersehen. In einem Vortrag meinte Müller dazu einmal: "Mir wird immer wieder die Frage gestellt, wann ich endlich über Deutschland schreibe. Ich habe jedes Mal Lust zu sagen: Schon die ganze Zeit, aber das merkt ihr nicht."

Nicht nur ihren Themen, auch ihrem Fremdlingsblick und einem in einer präzisen, messerscharfen Sprache formulierten Schmerz ist Herta Müller treu geblieben. Kompromisslos und beharrlich, im Bewusstsein des Nichtankommenkönnens geht sie ihren Weg weiter. Auch in ihrem heuer erschienenen neusten Roman Atemschaukel blendet sie noch einmal in die Zeit nach dem zweiten großen Krieg zurück, als Tausende Rumänendeutsche in russische Arbeitslager deportiert wurden. Unter anderem Herta Müllers Mutter und Oskar Pastior. Mit Pastior, auch er ein großer Autor und Rumäniendeutscher, wollte sie das Buch schreiben. Gemeinsam besuchten sie die Lager. Vor drei Jahren starb Pastior und Herta Müller schrieb das Buch nach langem Zögern allein.

Es ist ein großes Buch geworden, in der Tradition einer Ruth Klüger oder eines Imre Kertész. Ganz am Ende heißt es: "So muss ich von meinem ganzen Schädel wie von einem Gelände sprechen, von einem Lagergelände. Man kann sich nicht schützen, weder durchs Schweigen noch durchs Erzählen. Man übertreibt im Einen wie im Anderen, aber DA WAR ICH gibt es in beidem nicht. Und es gibt auch kein richtiges Maß." (Stefan Gmünder / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.10.2009)