Ich erinnere mich noch recht gut, dass - lang, lang ist es her - zu bestimmten Zeiten im Bregenzer Gasthaus Ummenhofer gebratene Stierseckel serviert wurden. Die männliche Jugend der Stadt nahm dies gerne zum Anlass für eine kulinarische Mutprobe, mittels welcher die tapferen Stierseckelesser von den feigen Stierseckelverschmähern geschieden wurden. Stierseckel (Stierhoden) und andere Innereien sind, so entnehme es der letzten Österreich-Ausgabe der "Zeit", für viele Esser immer noch verpönt. Aber es gibt auch einen Fankreis, der für einen gut gebratenen Seckel oder ein nach allen Regeln der Kunst gekochtes Kuheuter jeden Umweg in Kauf nimmt. Um ahnungslose Wirthausgeher nicht mit der ungeschminkt-brutalen Bezeichnung der Speise zu erschrecken, verwenden die Wirtsleut zuweilen den aus dem Französischen ("Rognons blancs") ins Deutsche übersetzten Tarnnamen "Weiße Nierndln", bei dem der Kenner sogleich weiß, was gemeint ist, der Wald- und Wiesenesser aber gegen die harte Wahrheit abgeschottet wird. Das nenne ich einen höflichen Umgang mit den Gästen!

Die "Wikipedia" verrät unter dem Stichwort "Hoden (Lebensmittel)" übrigens, dass die euphemistische Umschreibung der Stierhoden auch andernorts üblich ist: In alten englischen Kochbüchern sei von "Stones" die Rede; in den USA wiederum spricht man von "Prärieaustern" oder "Rocky Mountain Oysters". Vielleicht fällt ja auch den p.t. Lesern zum Thema "sprachlich taktvoll getarnte Speisen" noch die eine oder andere Assoziation ein.

Damit verabschiede ich mich für heuer von Ihnen und wünsche frohe Feiertage und ein gutes neues Jahr. Ich nehme mir zwei Wochen Urlaub - die nächsten Wörterbucheinträge erscheinen am 12. Jänner 2010.