Foto: SØLVE SUNDSBØ
Foto: SØLVE SUNDSBØ

Es gibt bestimmte Überzeugungen, die sind zu schön, um wahr zu sein. Eine von ihnen besagt, dass zu gewissen Zeiten dicke Damen das gängige Schönheitsideal waren. Als Beweis dienen den Verfechtern dieser These die Venus von Willendorf oder die Fleischklöpse bei Rubens. Sie sind allesamt wundervolle Kunstwerke und prachtvolle Knackwürste. Irgendwann in der Zukunft wird man wahrscheinlich Bilder der Sängerin Beth Ditto ausgraben und dasselbe über unsere Gegenwart sagen.

Als Beweis, dass zu Beginn des dritten Jahrtausends Fleischesfülle en vogue war, wird dann das Ende kommender Woche erscheinende V Magazin herhalten müssen. Das amerikanische Modemagazin bestückt seine neueste Ausgabe zur Gänze mit dicken Damen. Sie posieren vor den Linsen der weltweit namhaftesten Fotografen. Kleider tragen sie nur fallweise, wahrscheinlich weil ihnen die Größen der Designerkleider, in die sie schlüpfen sollten, nicht passten.

In der Modeszene wird die Ausgabe, von der bereits die wichtigsten Bilderstrecken im Internet zirkulieren, dennoch heiß erwartet. Wahrscheinlich weil sie pünktlich zum Jahresanfang das schlechte Gewissen der Branche beruhigt. Wir wollen nie wieder mit Magermodels arbeiten, war der am öftesten geäußerte Vorsatz für das neue Jahr. Genauso wie der zweite Vorsatz, nämlich in Zukunft statt zu Champagner zu Sekt zu greifen, wird auch er nicht eingehalten werden.

Wäre auch wirklich schwer: Dicke bekommen nur in Dove-Kampagnen und in amerikanischen Musicals eine Chance (Hairspray), und auch dort müssen sie mindestens genauso agil sein wie ihre um 30 Kilo leichteren Kolleginnen. Die Wahrheit ist nämlich: Seit der Antike sind für schön gehaltene Frauen schlank - zumindest im westlichen Kulturkreis. Darin ist sich die Wissenschaft einig (man lese zum Beispiel bei Winfried Menninghaus nach). Die Darstellung von dicken Damen ist weniger Beweis für ein bestimmtes Schönheitsideal als von gängigen Fruchtbarkeitsvorstellungen.

Diese Erkenntnis wirft ein ganz neues Licht auf die Damen des V Magazins: Man wird das Heft nicht als Diskussion unserer Schönheitsideale sondern als Beitrag zur Ankurbelung der Geburtenrate sehen müssen. Das ist löblich und unterstreicht das große moralische Bewusstsein der Mode. Vivat 2010! (hil/derStandard.at, 04.01.2010)