"The City Under The Sea" (2007) von Lisa Ruyter. Die 41-jährige Amerikanerin lebt und arbeitet seit 1996 in Wien. Sie vertritt eine der klassischen malerischen Positionen in der großen Kunsthallen-Schau.

Foto: Tania Marcadella

Der Untertitel der Schau: "Stars in a Plastic Bag".

Wien – "Wien ist viel billiger als London. – Und cooler." Nach einem prüfenden Blick ist klar: Jannis Varelas meint das völlig ernst. "Wien ist vielleicht nicht vielfältiger, aber interessanter. Die Leute hier sind verrückt." Ein Kompliment. Varelas hat in Athen, Barcelona und am renommierten Royal College in London studiert. 2007 lud ihn Galeristin Ursula Krinzinger als Artist in Residence nach Wien ein. Und der 32-Jährige blieb hier hängen, hat inzwischen unweit der Karlskirche ein Atelier gefunden: Geboren 1977 in Athen, lebt und arbeitet in Wien.

Lebt und arbeitet in Wien III: Auf diese Formel bricht es die Kunsthalle Wien – nach den großen Ausstellungen im Jahr 2000 und 2005 – also nun (ab 5.3.) bereits zum dritten Mal herunter: Eine Art Wiener Leistungsschau, eine "Neuvermessung des künstlerischen Plafonds" . Kunsthallen-Direktor Gerald Matt: "Möglich ist immer nur subjektive, aber möglichst qualitätsvolle und spannende Momentaufnahmen zu machen. Entscheidend ist die Professionalität, Sensibilität und Inspiration der Kuratoren."

Von den ortsfremden Kuratoren (Xenia Kalpaktsoglou, Biennale Athen; Raphaela Platow, Cincinnati; Olga Siblova, Moskau, unterstützt durch Angela Stief von der Kunsthalle) erwartet sich Matt eine Perspektive, "unbehindert von internen Betriebsblindheiten und lokalen Cliquenstrukturen" . 32 künstlerische Positionen hat die Vermessung durch das internationale Kuratorenquartett ergeben: aus 600 eingereichten Portfolios wurden 130 ausgewählt und letztendlich bei einer Spurensuche in der Stadt, Touren durch Ateliers, Galerien und Off-Spaces verdichtet. Platow: "Fünf lange Tage und Nächte, eine superintensive Zeit" in der sich auch ein Wien-Bild herauskristallisierte.

Anziehungskraft von Wien

Raphaela Platow, die das Contemporary Arts Center in Cincinnati leitet, findet es immer wieder interessant, dass Künstler aus verschiedensten Teilen der Welt von einer bestimmten Stadt angezogen sind. In Wien habe man neben österreichischen Künstlern etwa auch Kunstschaffende aus Griechenland, Dänemark, Polen, Rumänien, Russland oder aus den USA getroffen, schildert die Kuratorin ihre ersten Eindrücke. "Im Vergleich zu Paris oder New York scheint Wien aber keine Stadt zu sein, die viele Künstler aus Asien anzieht. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ein reger Austausch mit Lateinamerika stattfindet." Nähern wir uns einer globalisierten Kunst, die überall ähnlich durchmischt ist? "Die Kunstwelt ist mehr oder weniger global. Gleichzeitig sind wir von einem bestimmten Umfeld geprägt, sodass es doch so etwas wie eine lokale Ausdrucksform gibt".

Und die Positionen hinter diesen lokalen Ausdrucksformen gilt es in eine "internationale Umlaufbahn" zu bringen. Die beiden ersten Ausgaben von Lebt und arbeitet in Wien konnten laut Matt dazu beitragen. Dass es im Vergleich zum Jahr 2000 nun ungleich mehr Überblicksschauen gibt, die die aufstrebende junge Szene der Hauptstadt abbilden, stört Matt nicht. In einer größeren, belebteren und dadurch für den Einzelnen unüberschaubareren Szene, sei die Kunsthalle "quasi ein Entree zu den Ateliers der Künstler" .

Etwa zu jenen von Lone Haugaard Madsen, Markus Krottendorfer und dem eingangs erwähnten Jannis Varelas. Dessen aufwändige, collageartig zusammengesetzte Zeichnungen bannen den Blick. Es sind faszinierende, weil rätselhafte, oft auch unheimliche Zukunftswesen, gespeist aus Bildern aller vorhergegangenen Epochen: inspiriert von Fabelwesen und Masken verschiedenster Kulturkreise, mit Gliedmaßen, die dem Bauhaus-Vokabular entnommen sind, und mit Leibern, angefüllt mit Gesichtern von Ikonen der Moderne oder der Literatur. Es sind tiefschwarze Geschöpfe unserer Kultur. Das Monströse, das seinen Figuren oft attestiert wird, ist nicht im Frankenstein'schen Sinn zu verstehen. Das Monströse sei vielmehr menschlich; eine Reaktion auf das Trauma einer standardisierten, konformen Gesellschaft, die er mit seinen Arbeiten reflektiert und analysiert.

Das Analytische ist in der Arbeit der Dänin Lone Haugaard Madsen wesentlich. In der Institutionskritik wurzelnd, stellt die 35-Jährige Fragen nach den Bedingungen des Ausstellens und der Kunstproduktion: Welche Kontexte bestimmen ein Kunstwerk? Was macht eine Institution aus? Modellhaft gesprochen: Während Madsen sich früher mehr über die außenliegenden Dimensionen, über die Rahmen der Institutionen annäherte, deren Wände filmisch oder fotografisch abtastete, wendet sie sich heute mehr seinen Volumina, also der künstlerischen Produktion selbst zu: Die Objekte ihrer Installationen spiegeln Produktionsprozesse wider – die eigenen und jene anderer. Sie nutzt Leinwände eines "gescheiterten" Malers, arbeitet Gießkanäle zu Skulpturen um oder recycelt Teppiche, die in einem Callcenter, das zuvor in ihrem Atelier untergebracht war, an den Wänden Geräusche schlucken sollten.

Veraltetes Weltsystem

Eine kritische, fotografische Position nimmt der 33-jährige Markus Krottendorfer ein. Sein Interesse für die Komplexität sozialer, politischer und wirtschaftlicher Gefüge führt ihn an entlegene Orte der Welt, etwa zu den ältesten Ölfeldern in Aserbaidschan, zum riesigen Staudammprojekt in China, aber auch nach Deutschland, in vom Braunkohletagebau geprägte Ortschaften. Krottendorfers Fotografien, die sich der Ästhetik des Einzelbilds entziehen, dokumentieren aber nicht nur Orte und Momente bevor sie endgültig verschwinden, sondern, wie Krottendorfer betont, "geschichtlich veraltete Weltsysteme" . – Varelas, Madsen und Krottendorfer: drei von 32 Sternen im bunten Plastiksackerl. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 06./07.02.2010)