Foto: derStandard.at

 

Judith Fegerl in ihrem Arbeitsraum im zweiten Wiener Gemeindebezirk: "Meine Recherchen bestehen aus Schmierzetteln und Telefonnummern."

 

Foto: derStandard.at

 

Installationsansicht der kürzlich eröffneten Personale revers (2010) in der Passagegalerie des Künstlerhauses: eine funktionstüchtige Blutspendezentrale.

 

Fotos: Judith Fegerl, Montage: derStandard.at
Foto: Michael Goldgruber/Stadtpark Krems

 

Lemniskate Protuberantia (2008): die liegende Acht, mathematisches Symbol für Unendlichkeit. Unten: Installationsansicht in der Galerie Stadtpark Krems.

 

Foto: Michael Goldgruber/Stadtpark Krems

 

Follow the White Rabbit (2009): ein Würfel, auf einen alten Spiegel eingraviert, dienst als Schnittstelle zwischen Mensch und vierter Dimension.

 

Foto: Heiner Franzen

 

Simulating Intelligence (2008) in der Kunsthalle Wien: nutzlose Kommunikation, die in ihrer eigenen Neurose gefangen bleibt.

 

Links:
judithfegerl.net
galeriestadtpark.at
k-haus.at
acfny.org
kunstraum.net

Foto: Judith Fegerl

Entweder man trifft Judith Fegerl kurzfristig, weil sie gerade ein paar Tage Halt in Wien macht, oder ein Besuch in ihrem Arbeitsraum im zweiten Wiener Gemeindebezirk will langfristig geplant sein: eine Reise folgt auf ein Gespräch mit AustellungmacherInnen in Berlin, folgt auf eines in Wien, folgt... - vielbeschäftigt und gut vernetzt. Bis Ende Jänner des laufenden Jahres war die Künstlerin als Stipendiatin des Bundesministeriums für Kunst in New York. "Diese Stadt liegt mir gut," sagt sie über ihren Aufenthalt: "Dort schlägt ein ziemlich hoher Puls, das ist genau meine Geschwindigkeit."

Das Wohnatelier bezeichnet Fegerl als Gehirn ihrer Arbeiten. Im Büro türmen sich Papierstapel, Bücher, Zeitpläne sowie Skizzen und Modelle ihrer Werke, mit denen sie die Schnittstelle zwischen anorganischen Maschinen und der fragilen Körperlichkeit des Menschen auslotet: "Ich weiß ganz genau, was ich will, bevor ich überhaupt beginne, etwas anzugreifen", behauptet die Künstlerin: "Das bedeutet sehr viel Recherche im Vorfeld, sowohl auf planerischer Ebene als auch beispielsweise das Material betreffend."

Die Ideen zu einer neuen Arbeit kommen Judith Fegerl einfach. Sobald sie aber weiß, welche Form ihre Konzepte annehmen, beginnt sie das Produktionsrad in Bewegung zu setzen. "Leider ist mein Arbeitsprozess weniger repräsentativ als man das gerne hätte. Ich schreibe nicht sehr viel auf, das meiste bleibt im Kopf. Meine Recherchen bestehen aus Schmierzetteln und aus ein paar Telefonnummern auf Post-its." Sie lacht.

Maschnielle Pulsschläge

Die aktuelle Personale Judith Fegerls in der Passagegalerie des Wiener Künstlerhauses bringt auf den Punkt, womit sich die technikaffine Künstlerin seit Jahren auseinandersetzt. Unter dem Titel revers (2010) hat sie im Ausstellungsraum am Karlsplatz in Kooperation mit dem Roten Kreuz eine temporäre Blutspendezentrale eingerichtet. Hinter den pulsierend beleuchteten Paravants, die man aus Krankenhäusern zum notdürftigen Schutz der Privatsphäre von PatientInnen kennt, verstecken sich Schläuche, Kabel, Spritzen, Desinfektionsmittel, technische Geräte zur Überwachung der Herzfrequenz und Liegen - alles Mittel, die am Eröffnungsabend auch eingesetzt wurden, um die Körper der BesucherInnen anzuzapfen und auf diese Weise den Grenzen zwischen Kunst und Leben buchstäblich auf den Grund zu gehen. "Mich interessiert die Berührung von Maschine und Mensch", sagt Judith Fegerl: "Selbst wenn die Technik im Vordergrund zu stehen scheint, können sich die BetrachterInnen in meine Installationen und Objekte hineindenken - eine emotionale Rezeption meiner Arbeiten ist immer möglich."

Bei der raumgreifenden Installation revers zielt die Künstlerin aber nicht nur auf die emotionale Ebene ab. Mit dem Aufruf, Blut abzugeben und es in einen Kreislauf aus aktiver künstlerischer Aneignung und passiver Wiederverwertung einzuspeisen, lässt sie die BesucherInnen unweigerlich mit dem Kunstraum verschmelzen und zu Ko-AutorInnen des performativen Settings werden. Die Berührungspunkte von Mensch und Maschine sind dabei vielfältig: Die BesucherInnen sind nicht nur unmittelbarer Bestandteil der Arbeit, wenn sie sich dazu entschließen, auf einer der Liegen Platz zu nehmen und Körpersäfte einzubringen. Auch jede Verweigerung dies zu tun, ist als eine Form der Partizipation bei dieser bio-sozialen Plastik zu lesen.

Mathematische Objekte

Eine Figur, die in Judith Fegerls Arbeiten immer wieder als Repräsentant der Schnittstelle zwischen organischem und anorganischem Material, zwischen Technik und Mensch und - noch allgemeiner - zwischen virtuellen und realen Prozessen auftaucht, ist der weiße Hase. Bei dem vor zwei Jahren in der Ausstellung Asynchronous Circuits in der Galerie Stadtpark Krems gezeigten Objekt Lemniskate Protuberantia (2008) etwa verbindet sich das Interesse der Künstlerin an mathematischen Strukturen des Raums mit der kulturgeschichtlichen Metapher des Hasen, der für Fegerl unter anderem für die vierte Dimension steht. "Auch wenn meine Arbeiten als einzelne Werke funktionieren, zieht sich ein roter Faden durch," erklärt die Künstlerin: "Häufig geht es um Formen der Mathematik, um Endlosschleifen und damit auch um mentale selbstbezügliche Prozesse."

Die Lemniskate, das Symbol für Unendlichkeit, das in der Mathematik als zur Seite gelegte Acht Gestalt annimmt, hat Fegerl mit Lemniskate Protuberantia in eine dreidimensionale Form übertragen und mit weißem Hasenfell überzogen, wodurch das flauschige Werk in einem Schwebezustand zwischen statischem Kunstobjekt und belebter Kreatur verharrt. "Der weiße Hase," so die Künstlerin, "ist eine Art Transporter. Er kommt nicht nur bei Alice im Wunderland vor, sondern zieht sich durch Mythologie und Märchen genauso wie durch die Alltagskultur. Er lässt sich in Filmen wie Matrix oder Mein Freund Harvey aus den 1950er Jahren finden, auch Zauberer verwenden weiße Hasen - die Liste ließe sich unendlich fortsetzen..."

Mehrdimensionale Spiegelungen

Der weiße Hase, den Fegerl ähnlich wie Alice im Wunderland unaufhörlich zu verfolgen scheint, taucht immer wieder auf. Im Titel des Objekts Follow the White Rabbit (2009) etwa, bei dem sie einen so genannten Tesserakt, einen vierdimensionalen Würfel, auf einen alten Spiegel eingraviert hat. Diese geometrische Figur, die sich im dreidimensionalen Raum eigentlich gar nicht darstellen lässt, fungiert als Interface zwischen den BetrachterInnen und ihrem eigenen Ich, das sie wahrnehmen, sobald der Fokus nicht mehr auf die Figur, sondern auf die Spiegelung dahinter fällt. "Der Hase," erklärt Judith Fegerl, "bespricht mögliche Dimensionen der Wahrnehmung. Er ist in meinen Arbeiten nicht als Hase vorhanden, sondern als Material, als Fell, im Werktitel - auf konzeptueller Ebene."

Bis einer der Apparate Judith Feglers fertig gestellt ist, dauert es in etwa zwischen drei Monaten und einem halben Jahr. Das hängt davon ab, ob die Künstlerin Unterstützung zur Seite gestellt bekommt, oder ob sie alleine an Projekten arbeitet. "Viele meiner Maschinen habe ich selbst gebaut," sagt sie, "leider ist aber immer weniger Zeit dazu. Aus Zeitgründen könnte ich mich im Moment nicht in die Werkstatt zum Löten und Schweißen stellen. Deshalb arbeite ich auch mit anderen Leuten zusammen. Dieser Produktionsprozess geht mir aber ab, weil ich mit jedem Stück etwas dazulerne, über das Material, über seine Verarbeitung..."

Reflexionen des Selbst

Im Moment arbeitet Judith Fegerl an zwei größeren Projekten im Bereich der Architektur. Für die Gruppenausstellung NineteenEightyFour, die im Mai im Austrian Cultural Forum in New York eröffnet wird, plant sie eine Lichtinstallation. Den markanten Bau des österreichischen Kulturinstituts wird sie zum Flackern bringen, ähnlich einer Neonröhre, die man gerade einschaltet und die genau in dieser Zwischenphase stecken bleibt. "Ich habe mich viel beschäftigt mit der Repräsentation von künstlicher Intelligenz in Filmen der 1960er, 70er und 80er-Jahre", sagt die Künstlerin, die mit Simulating Intelligence (2008) bereits vor zwei Jahren in der Kunsthalle Wien eine ähnliche Lichtarbeit realisiert hat: "Mich fasziniert der Moment, in dem die Maschine selbständig wird, der Moment, in dem die Intelligenz Störungen unterworfen ist. Das sind autistische Systeme, die nicht mehr mit der Außenwelt kommunizieren. Es sind nutzlose Systeme, die in ihrer Neurose gefangen sind."

Nicht das Außen der Architektur, sondern die unsichtbaren inneren Strukturen des Kunstraum Niederösterreich werden im kommenden Juni im Zentrum Judith Fegerls Einzelpräsentation in Wien stehen. "Die Maschinen, die ich bisher gebaut habe, kann man als Teile eines größeren Körpers bezeichen", hält sie sich bedeckt über das Projekt mit dem Titel Self. Sie verrät nur so viel: "Es wird eine neue Arbeit, die die Grundlage zu allen anderen Arbeiten bildet." Die menschliche, die maschinelle und die architektonische Komponente Fegerls Kunstwerke sollen sich im Kunstraum zu einem prozessual angelegten Metakörper verbinden, der sich im Laufe der Zeit selbst kannibalisiert - man darf gespannt sein. (fair)