Das Urheberrecht ist 300 Jahre alt, den Anforderungen der gegenwärtigen Mediengesellschaft entspricht es immer weniger. Plädoyer für eine Neuordnung und für Verteilungsgerechtigkeit im digitalen Raum.

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Die World Intellectual Property Organisation (WIPO) hat am 26.April den Welttag des geistigen Eigentums ausgerufen. Das dem Urheberrecht verwandte Copyright erlebt zudem heuer den dreihundertsten Jahrestag seiner Konstitution. Doch viel zu feiern gibt es nicht. Das Urheberrecht wird immer ambivalenter, da es sich heute weniger um ein Urheber- sondern eher um ein Industrierecht handelt. Es dient weniger den Interessen der Kreativen, sondern denen der verwertenden Industrie, deren Lobbies immer stärker die Entwicklung der Gesetze bestimmen.

Die dadurch ausgelöste Dynamik ist fatal. Abgesehen von wenigen Stars, verhilft das Urheberrecht Künstlern und Künstlerinnen kaum zu relevantem Einkommen. Die Musikerin Courtney Love fasste auf der Digital Hollywood Online Entertainment Conference das Problem so zusammen: "Heute möchte ich über Piraterie sprechen. Was ist Piraterie? Piraterie ist der Diebstahl künstlerischer Arbeit ohne dafür bezahlen zu wollen. Ich spreche nicht von napsterähnlicher Software. Ich spreche über die Verträge der Major Labels."

Aber nicht nur bei der Vergütung der Künstler hapert es, auch in der kulturellen Produktion stellt das Urheberrecht eine immer größere Hürde dar. Das reicht vom Dokumentarfilm, wo Aufnahmen nicht nutzbar sind, weil die Hintergrundmusik aus dem Radio eruiert und lizenziert werden müsste, bis zur breiten Masse der Internetnutzer und -nutzerinnen, deren alltägliches Samplen zu Strafverfolgung führen kann.

So kann es nicht weitergehen. Wir treten für eine Neuordnung des Urheberrechts ein, damit Kreative auch von ihrer Arbeit leben können und damit Alltagsverhalten, das auf aktuellen Technologien beruht, nicht weiter kriminalisiert wird. Es stellen sich grundsätzliche Fragen:

Erstens, wen und vor wem soll ein Urheberrecht schützen? Es soll Kreativen einen Schutz gewähren, um für Leistungen entsprechend entlohnt zu werden und das Problem von Plagiaten in den Griff zu bekommen, aber auch der breiten Bevölkerung Rechtssicherheit geben. Darüber hinaus soll es noch öffentliche Interessen schützen, damit innovative Prozesse nicht abgebremst werden.

Zweitens, wie kann das Urheberrecht an aktuelle und künftige Technologien angepasst werden? Auch mehr als zehn Jahre nach Napster steckt die Diskussion über rechtliche Anpassungen an aktuelle Technologien, die Tag für Tag von Millionen von Menschen verwendet werden, in den Kinderschuhen. Grund ist ein gerichtliches Fehlurteil im Falle von Napster, das die Illusion eröffnete, die Probleme wären durch Verbote lösbar. Tatsächliche Auswege zeigen sich in der Einführung einer Kulturpauschale oder auch durch "compulsary licensing" - eine Analogie zur bereits existierenden Verwertungsregelung durch Radiosender.

Kunst der Aneignung

Drittens, welchen Stellenwert haben freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Kunst in einer vernetzten Welt? Derzeit ist die Verwendung von Werken im Privatrahmen nicht beschränkt. Doch wo hört das Private im Netz auf und wo fängt das Öffentliche an? Ist eine Facebookseite oder ein E-Mail-Verteiler privat? Auch im professionellen kreativen Bereich stellt sich die Frage, wie mit Sampling, Appropriation Art und ähnlichen Methoden umgegangen werden soll. Derzeit ist ein Gutteil aller digitalen Kunst und Kultur kriminalisiert.

Viertens, wie viel Kontrolle verträgt eine demokratische Gesellschaft? Derzeit lobbyieren die verwertenden Industrien auf Hochtouren um höchst bedenkliche Gesetze zu etablieren, die eine komplette Durchleuchtung schlicht aller elektronischer Geräte ermöglichen soll. Müssen sich wirklich alle Nutzer kreativer Inhalte belauschen und digital perlustrieren lassen? Die Debatte um "three strikes out" - der Verlust des Online-Zugangs bei drei urheberrechtlichen Verletzungen - zeigt, mit welcher Skrupellosigkeit die Industrie bereit ist vorzugehen. Das Internet darf nicht zu deren kommerzieller Spielwiese degradiert werden. Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund.

In den letzten dreihundert Jahren ist die Gesellschaft deutlich dynamischer und offener geworden, das Urheberrecht hingegen immer restriktiver. Man sollte den runden Jahrestag zum Anlass nehmen, nicht einfach weiter an der Verschärfungsschraube zu drehen, sondern in einer breiten gesellschaftlichen Debatte bestimmen, wie Verteilungsgerechtigkeit im digitalen Raum der nächsten Jahrzehnte aussehen soll. (Felix Stalder, DER STANDARD, Printausgabe, 28.4.2010)