Nadim Vardags Arbeitsraums in Wien Fünfhaus: ein Zeichentisch und improvisierte Arbeitsflächen.

 

Foto: derStandard.at

Excerpt (Lifeboat) (2009): minimale Bewegungsabläufe und atmosphärisches Beiwerk. Unten: Installationsansicht.

 

Foto: Nadim Vardag

In Excerpt (Cat People) (2005) geht die Protagonistin unaufhörlich vom Licht in den Schatten ins Licht in den Schatten...

 

Foto: Nadim Vardag

Zoetrop (2009): Umkehrung der Prinzipien einer Bewegtbildmaschine und Rekonstruktion zur Endlosschleife.

 

Foto: Nadim Vardag

Reduktionistisches Vokabular: die Installation Ohne Titel (2010) ist bei der Triennale Linz zu sehen.

Links:
www.nadimvardag.com
www.triennalelinz.at
www.kunsthallewien.at

Foto: Otto Saxinger

Ein Wirtschaftsgebäude im Hinterhof eines dezenten Hauses, früher einmal Motoradwerkstatt, noch viel früher Eislager: das schwere Tor aus rot gestrichenem Holz führt in den noch nicht ganz fertig gestellten Arbeitsraum, den Nadim Vardag gemeinsam mit vier AtelierkollegInnen im Eigenbau adaptiert hat.

Den Boden des oberen Stockwerks, in dem der ursprünglich aus Regensburg stammende Künstler seinen Arbeitsbereich eingerichtet hat, stammt aus einem Atelier, in dem er früher einmal gearbeitet hat. Von dort kommen die Holzplanken, die jetzt ihre neue Bestimmung als Zwischendecke gefunden haben. Das Wiederverwerten bereits existierender Materialien zeigt sich aber nicht nur im Arbeitsraum des Künstlers, Wiederaufnahme und Zweckentfremdung sind auch Teil seiner künstlerischen Strategie, mit der er den Medien Film und Kino in ihren unterschiedlichen Facetten nachgeht. "Ich verwende gerne den Begriff Kino anstatt Film", so Vardag, "weil er die Apparatur als solche miteinbezieht."

Reduktionistische Kinovariationen

Um sich der Formensprache des Kinos mit den Mitteln der bildenden Kunst zu nähern, verwendet der Absolvent der Akademie der bildenden Künste Wien Loops - Endlosschleifen der Betrachtung, in die jederzeit eingestiegen und aus denen auch jederzeit wieder ausgestiegen werden kann, ohne dabei etwas Essenzielles von den gezeigten Bildern zu verpassen. "Ich setze die Wiederholung und die Monotonie bewusst als Gestaltungselement ein", behauptet Nadim Vardag, der diese beiden Prinzipien ins Extreme führt: "Ich versuche meine Loops auf ein minimales Moment zu reduzieren. Die kürzeste meiner Endlosschleifen besteht beispielsweise aus nur zehn Frames."

In der Arbeit Excerpt (Lifeboat) (2009) etwa, die auf dem gleichnamigen Film Lifeboat (1944) von Alfred Hitchcock basiert, sieht man nichts weiter als einen Sternenhimmel bei Nacht. In das offensichtliche Studioarrangement ragt der Mast eines Segelbots und bewegt sich kaum. "Das ganze Setting ist emotional stark aufgeladen", so der Künstler, "gleichzeitig ist es wahnsinnig künstlich." In den Endlosschleifen, die Nadim Vardag aus mehr oder weniger bekannten Filmklassikern extrahiert, stützt er sich auf sehr kurze Momente der Bildproduktion, die in den original Filmerzählungen meist nur als atmosphärisches Beiwerk fungieren. "Solche Momente rauszugreifen und unendlich in die Länge zu ziehen, ist für mich spannend, weil sie sich dadurch in der Wahrnehmung ändern. Viele meiner Loops haben aufgrund ihrer Kürze etwas sehr Bildhaftes."

Kinogeschichte der Übergänge

Ähnlich verfährt er bei Excerpt (Le Salair de la Peur) (2008), ein Loop basierend auf der filmischen Arbeit von Henri-Georges Clouzot aus dem Jahr 1953, der zuletzt bei der Ausstellung Lebt und arbeitet in Wien III in der Kunsthalle zu sehen war: das schwarz-weiße Bild eines feingliedrig strukturieren Bambuswaldes, das durch die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Lastwagens in Bewegung und in ein flimmerndes Schattenspiel versetzt wird.

Weniger das Bild an sich, sondern eine Kamerafahrt steht im Zentrum von Excerpt (Cat People) (2005), Nadim Vardags Destillat von Jacques Tourneurs Horrorklassiker aus den frühen 1940er Jahren: Frauenbeine, die an einer Mauer entlanghasten bis sie im dunklen Schatten der Nacht verschwinden. Genau an diesem Punkt setzt der Künstler ein: er lässt die Protagonistin der Szene zwar wieder aus der Schattenwelt auftauchen, jedoch nicht, um wie im Original mit der Erzählung einer Geschichte fortzufahren, sondern um sie wieder von vorne auf ihren Weg entlang der Mauer zu schicken - und wieder und immer wieder.

"Viele der Filme, die ich als Ausgangsmaterial verwende, stammen aus den 1950er Jahren", so Vardag, der sein Interesse an der Filmgeschichte folgendermaßen erläutert: "Von Mitte bis Ende der 1950er Jahre hat das Kino eine Wende durchlebt. Zwischen Film Noir und Nouvelle Vague ist viel Innovatives passiert und die Inszenierung in Schwarz-Weiß war zu diesem Zeitpunkt sehr ausgereizt. Solche Momente des Umbruchs interssieren mich."

Fotografische Experimente

Eine weitere Endlosschleife ist im Moment bei der Triennale in Linz zu sehen. Im Gegensatz zu Vardags Excerpts stützt sich Zoetrop (2009) aber nicht auf bewegte Filmbilder, sondern auf eine der wissenschaftlichen Fotografien von Étienne-Jules Marey aus den 1880er Jahren, in denen der Erfinder mit dem Zoetrop experimentiert hat. Es handelt sich dabei um eine Apparatur, die aus einer drehbaren Trommel mit Sehschlitzen besteht und auf deren innerer Wand meist gezeichnete oder fotografierte Bewegungsstudien Bild für Bild zu sehen sind. Im Fall des Zoetrops von Marays, der als französisches Pendant zum Foto-Pionier Eadweard Muybridge gilt, befinden sich zehn kleine Vogel-Plastiken im Inneren. Flügelschlag für Flügelschlag erzeugen sie die Illusion einer Bewegung, sobald man die Trommel dreht und den Blick durch die Schlitze richtet.

"Für diese Arbeit habe ich jeweils neun von den zehn Vögeln aus der Fotografie des Apparts herausretourchiert", erklärt Nadim Vardag, "dadurch entstehen zehn unterschiedliche Frames, die ich im Anschluss wieder zu einem Loop montiert habe. Damit wird das Prinzip des Zoetrops umgekehrt: die Trommel steht still und der Vogel fliegt im Kreis." Ein sehr konkret und präszise vom Künstler ausformuliertes Moment, das das Prinzip des Loops implizit und explizit reflektiert, da sowohl die kreisende Bewegung der Endlosschleife als auch ihre zeitliche und räumliche Abgeschlossenheit evident werden: "Die Szene hat etwas Tragikomisches und bringt meine Faszination für den Loop auf den Punkt." In Linz wird dieses Video, das auch als Serie von Einzelbildern existiert, auf einem Kamerastativ gezeigt.

Installative Grauzonen

Zentral in Nadim Vardags künstlerischer Arbeit sind auch die Präsentationsform, das Display und vor allem das Zu- und Miteinander seiner Werke im Ausstellungsraum. "Es geht mir häufig um Bildflächen an sich, ob dies nun die auratische Leinwand des Kinos ist, auf der ein Film gezeigt wird oder ob es sich um jene des prototypischen Ausstellungsraums handelt."

Ebenfalls bei der Triennale in Linz ist eine seiner skulpturalen Installationen zu sehen. Ohne Titel (2010) besteht aus 110 Leuchtstoffröhren, die der Künstler parallel zueinander und im Cinemascope-Format auf einem Gestell aus Edelstahlrohren montiert hat. Gleißend weißes Licht und Hitze erzeugt das Objekt, das durch die Formensprache des Kinodispositivs die Idee des neutralen Ausstellungsraums - im wahrsten Sinn des Wortes - ausleuchtet und dabei jenen Fetisch des Nicht-Zeigens zelebriert, der so typisch für Nadim Vardags Arbeiten steht. Erst das Spiel mit Absenz macht sein Installation so präsent, denn der Künstler schafft damit Projektionsflächen für zukünftige und vergangene Narrationen.

So streng seine Arbeiten auf den ersten Blick auch wirken mögen, die punktgenaue Konzentration Vardags auf Foto-, Film- und Kinotechniken sowie auf die dazugehörigen Apparaturen und Momente der Bildwerdung lassen seine Raum-Installationen zu sinnlichen Anordnungen werden. Der Loop dient ihm dazu, einen Zwischenraum in der Zeit zu konstruieren, ein Raum, der gleichsam auf eine Zeit vor dem Kino wie auf eine Zeit nach dem Kino verweist. "Wer im Immergleichen des Loop etwas Neues erlebt", schreibt Diedrich Diederichsen über die Endlosschleife als zeitgenössisches Modell kultureller Produktion, "hat es mit einem viel härteren Neuen zu tun, als wer dies in einer Struktur erlebt, in der das Auftreten des Neuen vorgesehen ist." Nadim Vardags Arbeiten fordern einen heraus, sie strengen die Wahrnehmung an - jedoch nicht mit dem Ziel, bloße Verwirrung zu stiften, sondern durch Irritation über den Nullpunkt der Selbstwahrnehmung hinauszukommen; oder abschließend nochmals in den Worten Diederichsens: "Tja, im Loop kommt man weiter." (fair)