Heiße Debatte vor kühler Brüsseler Architektur: "Dass die EU Menschen für die Wirtschaft macht, ist Nonsens."

Foto: STANDARD/photonews.at/Schneider

Vizekanzler Pröll: "Die FPÖ des Jahres 2000 war etwas anderes, heute gilt: In der derzeitigen Aufstellung ist die FPÖ kein Partner für mich."

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Romy Grasgruber: "Wo bleibt die christlich-soziale Verantwortung der ÖVP, wenn Maria Fekter spöttisch von Arigonas ,Rehleinaugen‘ spricht?"

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Zwischen Nulltoleranz und Scheunentor-Utopismus: Vor der EU-Kommission in Brüssel stritten Lichterketten-Initiatorin Romy Grasgruber und Vizekanzler Josef Pröll über Arigona, Uni-Frust und politische Hörigkeit. Die Fragen stellte Gerald John.

Standard: Frau Grasgruber, Sie haben eine Lichterkette rund ums Parlament inszeniert. Was wollten Sie den Politikern mitteilen?

Grasgruber: In Wahlkämpfen wird seit langem mit Rassismus, Homophobie und Antisemitismus versucht, Wählerstimmen zu fangen. Diese gefährlichen Inhalte kommen deshalb in der Mitte der Gesellschaft an, weil sich die Großparteien, vor allem aber die ÖVP, nicht scharf genug abgrenzen. Die Lichterkette sollte zeigen, dass es eine andere Politik geben muss, ohne das Schüren von Hass und Feindseligkeit. Sie war ein Pro-Test für Werte wie Menschenwürde, Respekt und Vielfalt.

Pröll: Gratulation zum Zivilengagement, das ist eine enorme Bereicherung für die Demokratie. Wie Sie da übers Internet mobilisiert haben – einfach genial. Doch einen Vorwurf lasse ich nicht im Raum stehen: dass die ÖVP in die Nähe rechter Hetze rücke.

Grasgruber: Blau-Schwarz hat es gegeben, das können Sie nicht wegreden. Ein schönes Gegenbeispiel ist Deutschland, wo sich CDU-Politiker von extrem rechten Parteien abgrenzen und Nazi-Aufmärsche verhindern.

Pröll: Ich lasse mich nicht ins Nazi-Eck stellen, da bin ich empfindlich. Die FPÖ des Jahres 2000 war etwas völlig etwas anderes als die deutsche NDP, die nationalsozialistische und rassistische Politik betreibt. Heute ist die FPÖ da natürlich anders zu bewerten. Ich hatte 2008 die Chance, eine Regierung mit der FPÖ und dem BZÖ zu bilden, habe aber die große Koalition gewählt – auch gegen große Widerstände in der ÖVP. Diese klare Abgrenzung gilt bis heute: In der derzeitigen Aufstellung ist die FPÖ kein Partner für mich.

Grasgruber: Die ÖVP hat Martin Graf mitgewählt. Ich geniere mich für Österreich, dass er Dritter Nationalratspräsident wurde.

Pröll: Genieren Sie sich für Demokratie? Graf wurde im freien Spiel der 183 Abgeordneten gewählt. In der ÖVP habe ich keinerlei Klubzwang ausgeübt.

Grasgruber: Ich halte Graf für keinen waschechten Demokraten, er ist Mitglied einer als rechtsextrem eingestuften Burschenschaft. Aber nicht nur da vermisse ich Distanz zum rechten Rand, sondern auch bei der unmenschlichen Asylpolitik ...

Standard: ... die Sie per Transparent an der Minoritenkirche vor dem Büro von Innenministerin Maria Fekter angeprangert haben ...

Grasgruber: ... weil Asylwerber exzessiv in Schubhaft gesteckt werden, keinen Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Und weil Fekter Flüchtlinge als Feindbilder instrumentalisiert – wie die FPÖ. Dafür ernten wir auch international Kritik.

Pröll: Der Vorwurf der Unmenschlichkeit kommt einem leicht über die Lippen, wenn man keine Verantwortung tragen muss. Wir sind eben keine linken Utopisten, die alle Scheunentore aufmachen wollen, aber auch keine Nulltoleranzler, die Asyl, Zuwanderung und Sicherheitspolitik zu einer unguten Melange vermischen.

Grasgruber: Schon im Grundsatzprogramm betreibt die ÖVP doch genau das, indem sie Recht auf Identität, Heimat und Sicherheit in einem Absatz vermischt.

Pröll: Das ist eine falsche Interpretation, wir trennen klar. Auf der einen Seite Asyl für alle, die Asyl brauchen, aber nicht für jene, die das Asylrecht missbrauchen. Auf der anderen Seite Zuwanderung, soweit sie der Arbeitsmarkt verträgt – und ja, diese kann ein Riesenpotenzial für Österreich sein.

Standard: Warum schiebt Österreich dann eine perfekt integrierte junge Frau wie Arigona Zogaj ab?

Pröll: Wenn der Verfassungsgerichtshof urteilt, dass bereits mit dem ersten Bescheid die Illegalität des Vaters und der nachgeholten Familie rechtskonform festgestellt wurde, dann kann man nicht darüber hinwegsehen.

Grasgruber: Gesetze lassen sich ändern! Arigona Zogaj spricht perfekt Deutsch und will Krankenschwester werden. Genau diese Arbeitskräfte werden gesucht, doch was passiert? Sie wird ausgewiesen. Gleichzeitig sagt Ihr Außenminister, dass wir mehr Zuwanderung benötigen. Sinnvoll wäre ein Bleiberecht für alle Menschen, die mehr als fünf Jahre hier sind ...

Pröll: ... und sich ihr angebliches Recht ersessen haben? Dieses Prinzip kann ich nicht akzeptieren. Steuerbetrug soll auch nicht legal werden, nur weil ihn jemand fünf Jahre lang praktiziert hat. Ein Bleiberecht wäre ein Signal, dass jeder kommen soll.

Grasgruber: Nein, wir reden nur vom Status quo. Das wären 14.000 Menschen, deren Potenzial wir ganz pragmatisch nützen sollten.

Standard: Man hätte Zogaj auch humanitären Aufenthalt gewähren können. Doch es schien, als wollte Fekter ein Exempel statuieren.

Pröll: Wir schlagen aus dem Fall kein Kapital. Die Innenministerin hat geltendes Recht zu vollziehen.

Grasgruber: Wo bleibt die christlich-soziale Verantwortung der ÖVP? Davon merke ich nichts, wenn Fekter spöttisch von Arigonas "Rehleinaugen" spricht.

Pröll: Legen Sie Ihr Fekter-Trauma ab! Diese Republik muss sich nicht vorwerfen lassen, zu wenige Flüchtlinge aufgenommen zu haben. Österreich war jahrzehntelang ein Hotspot mit einem Zehntel der Einwohner Deutschlands, aber gleich vielen Asylwerbern. So manches andere Land hat sich da die Hände abgeputzt.

Standard: Wenn die EU aber nun, wo der Ansturm anderswo längst größer ist, die Flüchtlinge gleichmäßig verteilen will, sagt die "Europapartei" ÖVP reflexartig Nein.

Pröll: Weil wir dabei auch noch die Last anderer aufgebürdet bekommen sollten. Diese muss jetzt hauptsächlich von den großen EU-Ländern geschultert werden.

Standard: Was erwarten Sie sich von der EU, vor deren Schaltzentrale wir sitzen, Frau Grasgruber?

Grasgruber: Oje, ich fürchte, da kann ich nur zu großen Worten greifen. Ich will eine EU, wo das Menschenrecht zuerst kommt und Wirtschaft und Politik für die Menschen gemacht werden – und nicht, wie derzeit, umgekehrt.

Pröll: Diese Unschärfe macht mich auch immer so rasend, wenn ich mit meinen "Freunden" von Attac diskutiere. Dass Menschen für die Wirtschaft gemacht würden, ist Nonsens. Wo wird denn der soziale, ökologische Fortschritt entwickelt, wenn nicht in der EU?

Grasgruber: Das Sozialsystem wird sukzessive abgebaut, weil nur die Wettbewerbsfähigkeit zählt.

Pröll: Überhaupt nicht. Wir stehen ja gerade deshalb in der Kritik der Industrie, weil wir uns nicht vom American Way plattmachen lassen. Wir lassen uns auch nicht von Banken einspannen, sondern sorgen dafür, dass die Menschen ihr Leben weiter finanzieren können.

Standard: Die Regulierung kommt aber nur schleppend voran – wegen der Macht der Bankenlobbyisten, sagen Europaparlamentarier.

Pröll: Denen kann ich nur sagen: Change it! Wer glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben, muss um eine Mehrheit kämpfen.

Grasgruber: Üben die Banken vielleicht keinen Druck aus?!

Pröll: Doch. Aber Gewerkschaften und NGOs noch viel mehr. Man kann die Banken für unsympathischer halten – in Zeiten wie diesen sind sie das auch. Doch nie war ich solchen Untergriffen ausgesetzt wie als Umweltminister im Kreuzfeuer von NGOs.

Grasgruber: Banker haben doch viel mehr Macht ...

Standard: ... und beschweren sich bei Politikern persönlich, statt mühsame Demos zu veranstalten.

Pröll: Nicht einmal am Höhepunkt der Krise bin ich so unter Druck gekommen, dass ich nicht frei in meiner Entscheidung war.

Standard: Vertrauen Sie dem Versprechen der Politiker, sich für die Zukunft der Jungen einzusetzen?

Grasgruber: Nicht sehr. Ich fürchte, dass nun bei der Bildung gespart wird, dabei ist sie das Allerwichtigste für die Zukunft, auch was Integration betrifft. Und dann steht auf den Plakaten der Wiener ÖVP auch noch: "Reden wir über Bildung am besten auf Deutsch." Das halte ich für absolut inkompetent. Bilinguale Schulen sind eine Bereicherung und wirken sich enorm positiv auf den deutschen Spracherwerb aus.

Pröll: Ich garantiere, dass bei Forschung, Entwicklung und vor allem Bildung weit weniger gekürzt wird als in anderen Bereichen.

Standard: Die Unis schreien aber bereits aus Geldnot auf.

Pröll: Weil sie ein Vermassungsproblem der Sonderklasse haben.

Grasgruber: Unsere Akademikerquote ist doch die zweitniedrigste aller OECD-Staaten.

Pröll: Weil die Vergleichsstatistik Äpfel mit Birnen vermischt – und weil es in den überlaufenen Studien zu wenige ins Finale schaffen. Bei diesen Zuständen können Studierende nicht ihr Potenzial ausspielen. Der Weg der bedingungslos offenen Türen für alle muss zu Ende sein.

Grasgruber: Es gibt nicht zu viele Studierende, sondern zu wenige Ressourcen. Jeder hat ein Recht auf universitäre Bildung.

Pröll: Dieses Recht ist nicht infrage gestellt. Aber um Leistung sollte es wohl auch gehen.

Standard: Könnten Sie sich vorstellen, für eine Partei zu arbeiten?

Grasgruber: Ich finde es gut, wenn es andere tun, aber mein Weg ist es nicht. Weil es wohl ein gewisses Diktat von oben gibt, das es Jungpolitikerinnen schwermacht, ihre eigene Linie zu verfolgen.

Pröll: Sie unterschätzen, wie stark sich die Parteilinie von jenen beeinflussen lässt, die etwas verändern wollen. Ich war mit 32 Jahren nicht einmal ÖVP-Mitglied – jetzt, mit 41, bin ich Parteiobmann. Meine Empfehlung: Gehen Sie in die Politik!

Grasgruber: Da bin ich schon. (Gerald John, DER STANDARD Printausgabe, 17.7.2010)