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So geht das bei M.I.A.: Sie ist schnell, impulsiv, angriffslustig und haut mit ihrem neuen Album auf sämtliche Tasten zwischen Noise-Rock und Hip-Hop.

Foto: REUTERS/Mario Anzuoni

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Der "New York Times"-Kritikerin, die ihren Grammy-Auftritt am errechneten Tag der Geburt ihres Babys als verantwortungslose Inszenierung geißelte, wischte M.I.A. gleich eins aus, indem sie deren Handynummer via Twitter preisgab.

Foto: APA/AP/Matt Sayles

Hamburg - Bevor überhaupt nur ein Wörtchen über ihre neuen Songs getwittert werden konnte, hatte M.I.A. mit "Born Free" einen Song ins Netz gestellt, dessen Video die Konfrontation suchte: Es zeigt, wie US-Milizen eine Gruppe von Rothaarigen auf ein Minenfeld schicken, ein Kind per Kopfschuss töten. Am Ende des Neun-Minuten-Clips von Romain Gavras fliegen zerfetzte Körper durch den Wüstensand. Das ging selbst dem Clip-Portal YouTube zu weit und wurde noch am Tag der Veröffentlichung verbannt.

"Google nicht und selbst Gott nicht"

Zum Video selbst möchte M.I.A. sich eigentlich gar nicht äußern. Sie nimmt "Born Free" im DAPD-Gespräch zum Anlass, über "wahre Gewalt" zu sprechen. "Ich habe auf YouTube Videos gefunden, die wirkliche Morde zeigen, Morde an tamilischen Frauen und Kindern. Die Leute finden das anscheinend nicht sehr schockierend. Es ist interessant zu sehen, wie sehr und wie weit wir die Realität beiseiteschieben und den Fake wie Realität behandeln."

"Born Free" bringe diese Gewalt auf den Tisch, da, wo sie hingehört, findet Maya Arulpragasam alias M.I.A. "Wenn wir Gewalt sehen, schweigen wir normalerweise. Es scheint, als ob niemand etwas dagegen tun kann. Die Vereinten Nationen nicht. Und das ganze Geld nicht. Google nicht und selbst Gott nicht."

Nichteinverstandensein

Man darf der britischen Tamilin zwar eine kalkulierte Provokation vorwerfen, "Born Free" steht aber in einer Linie mit dem kompletten neuen Album: Die 12 Songs auf "Maya" (Indigo) bilden eine große Collage aus digitalem Noise-Rock, Dubstep, Dancehall und Hip-Hop, deren musikalische Sprache schon das Nichteinverstandensein mit Charts und Rock-Rollen zu Protokoll gibt. Es sägt und knarzt, schnarrt und poltert so schön aus dem Cyber-Labor, besonders, wenn es gerade einmal wehtut. Das bedeutet aber nicht, dass Maya Arulpragasam diesmal ein ähnlicher Schepper-Hit wie "Paper Planes" gelungen ist - dieses auf einem Clash-Sample basierende Pop-Wunder vom Vorgänger-Album, das später im Soundtrack von "Slumdog Millionaire" auftauchte und M.I.A. noch in ganz andere Verwertungswelten katapultierte.

Keine Defensive

Diesmal war eben alles anders. Im Unterschied zu "Kala" (2007), dessen Sounds M.I.A. an verschiedenen Orten quer über die Kontinente verstreut aufsammelte, entstand "Maya" im Studio in Los Angeles. Die Pop-Nomadin mit dem durchaus verkaufsträchtigen Rebellen-Background (ihr Vater Arular war Kämpfer einer tamilischen Studentenorganisation) hatte zwischenzeitlich über ihre Schwangerschaft informiert und teilte auch mit, dass sie mit dem Sohn eines amerikanischen Milliardärs verbandelt sei.

Das war nun seltsam und brachte ihr den Vorwurf politischer Unglaubwürdigkeit ein. Maya Arulpragsam reagierte darauf, indem sie noch mehr Privates öffentlich zur Disposition stellte. Zur Grammy-Verleihung im vergangenen Jahr erschien sie hochschwanger in einem halbdurchsichtigen Kleid, obwohl (oder: gerade weil) für jenen Abend ihre Niederkunft errechnet worden war. Der "New York Times"-Kritikerin, die das als verantwortungslose Inszenierung geißelte, wischte M.I.A. gleich eins aus, indem sie deren Handynummer via Twitter preisgab.

Spiegel der beschädigten Beziehungen zwischen Arm und Reich

So geht das bei M.I.A.: Sie ist schnell, impulsiv, angriffslustig. Sie fügt die Sound-Versatzstücke, die ihr in der Fantasie um die Ohren fliegen, zu zerrissenen Klebebildern zusammen, die vom Leben in der Migration, von Krieg und Gewalt erzählen. Und manchmal auch davon, dass sie nicht mehr über Geld spricht, weil sie's jetzt ja hat. Ihre Stilmischungen spiegeln im besten Falle die beschädigten Beziehungen zwischen Erster und Dritter Welt und zwischen Arm und Reich wieder. Sie dürfen damit für sich in Anspruch nehmen, das längst fällige Update einer Weltmusik zu sein, die traditionell die pittoresken Seiten uns unbekannter Kulturen präsentiert oder den Blues der Globalisierungs-VerliererInnen pflegt.

"Scheiß drauf"

Auf "Maya" legt die Künstlerin aber auch Fährten in vollkommen neue Destinationen aus, im dreiminütigen "Spaces" sind deutliche Hinweise auf den Psych-Folk von Animal Collective zu finden. "Wir haben 'Spaces' in zwei Stunden gemacht. Schneller habe ich noch nie einen Song geschrieben. Als ich das Stück aufnahm, fühlte ich mich von allen verlassen. Das ist der richtige Moment für Gedanken wie diesen: Scheiß drauf, ich mach ich aus dem Staub, ab in den Weltraum." (APA)