Der in Salzburg geborene Virgil Widrich verbrachte seine Kindheit in einem mehr als 500 Jahre alten Haus auf dem Mönchsberg. Nach einem Kurzbesuch der Filmakademie Wien ging er 1990 nach Hollywood, es folgten diverse Kurzfilme und Multimediaprojekte. Widrich ist Gründungsmitglied der Filmproduktionsgesellschaft Amour Fou und CEO der checkpointmedia AG. Er ist künstlerischer Leiter von "Das große Welttheater.

Ausstellung 90 Jahre Salzburger Festspiele", die im Salzburgmuseum noch bis 26. Oktober 2010 zu sehen ist.
www.salzburgmuseum.at

Foto: Corn

Die Salzburger Festspiele sind ja deshalb in Salzburg, weil Hofmannsthal und Max Reinhardt befunden haben, dass diese Stadt eine ideale Bühne ist. Salzburg wurde von italienischen Architekten gebaut und ist deswegen eine österreichische Besonderheit. Es gibt das schöne Zitat von Karl Kraus "Wenn die Salzburger Salzburg gebaut hätten, wär' bestenfalls Linz draus geworden."

Die Stadt ist auch für das falsche Klima gebaut, solche Plätze sind ja typisch für wärmere Gegenden, wo auch draußen Theater gespielt wird, das kann man ja in Salzburg fast nie, weil es dann regnet oder zu kalt ist. Es ist also eine sehr schöne Stadt in der falschen Klimazone. Deswegen sind die Festspiele dort, und das hat das Salzburg-Bild massiv geprägt und das Mozart-Bild auch. Die Pflege von Mozarts Werk und die Pflege der Stadt als Bühne sind die Eckpfeiler.

Was wäre Salzburg ohne die Festspiele, müsste man sich fragen. Ich glaube, es wäre immer noch eine sehr schöne Stadt, vielleicht nicht ganz so gut erhalten, weil man nicht so viel Wert drauf gelegt hätte. Sicher würde die Stadt auch kulturelle Aktivitäten setzen wie jede Stadt heutzutage, die ein bisschen größer ist und einen ambitionierten Bürgermeister hat. Es ist davon auszugehen, dass es auch Musik gäbe und Theater, aber wohl nicht in der Qualität und nicht in der heutigen gesellschaftlichen und budgetären Verankerung. Das Festspielgesetz ist einzigart-ig, das die öffentliche Hand dazu verpflichtet, diese Institution zu finanzieren. Dadurch konnten die Festspiele langfristig planen und auch eine dauerhafte Kompetenz aufbauen. Ein Festival hat im Unterschied zum Repertoirebetrieb den Luxus der Urlaubszeit und die Freiheit von dem Zwang, permanent Auslastung erzielen zu müssen. Mein Vater war fast 30 Jahre lang Pressechef der Salzburger Festspiele in der Karajan- und in der Mortier-Ära, deswegen war ich schon als Kind oft bei Proben dabei. Mit Kultur haben uns die Eltern aber nicht gequält, das hat alle Kinder sehr interessiert, es war nie ein Zwang.

Mir war nur nie klar, was mein Vater eigentlich arbeitet, weil ich habe ihn immer nur Zeitung lesend im Büro gesehen, und ich habe mich gefragt, warum er dafür bezahlt wird. Schön war, dass viele Künstler bei uns zu Gast waren, Karten spielend und Projekte besprechend mit uns und unserem Nachbar Peter Handke. Als Kind hat man keinen Begriff für Berühmtheit, da weiß man gar nicht, was das ist. Da war keine Scheu vor Leuten, die man vom Abendessen oder vom Schwimmbad im Garten kennt. So schön das Elternhaus auf dem Mönchsberg auch ist - es tut jedem gut, das elterliche Haus zu verlassen. Filme machen kann man in Salzburg nicht wirklich. Generell ist Salzburg nicht so bedeutend, wie es selber glaubt. Die Salzburger Festspiele sind sicher herausragend auf der ganzen Welt, aber es gibt auch andere Orte, wo aufgerüstet wird im kulturellen Qualitätswettbewerb. Die Gästestruktur hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr gewandelt. Früher, zur Karajan-Zeit, war alles monoman, da gibt's einen Meister, und alle anderen haben zu applaudieren und nichts zu sagen. Damals waren die Gäste viel älter, viele deutsche Industrielle, die mit ihren teuren Autos vorgefahren sind und das Programm war auch für sie gemacht. Das hat sich ziemlich geändert. Ich glaube, der Vorwurf, das Publikum sei überaltert, ist selber schon überaltert. Ich glaube, dass wahnsinnig viel passiert für das junge Publikum. Das lokale junge Publikum ist halt endlich in einer so kleinen Stadt. In der Saison gehört eigentlich jeder Winkel der Stadt den Touristen, da wird alles überrannt, auch der Mönchsberg. Dafür ist es dann interessant, wenn im September so eine Endzeitstimmung heraufzieht, wenn dann alles geschlossen ist und alle Salzburger auf Urlaub sind. Und wenn es dann auch noch früh kalt wird und im Oktober und die Touristen weg sind und gleichzeitig die Salzburger, dann hat die Stadt schon eine ganz eigene Stimmung. Oder Salzburg bei minus 25 Grad, wenn niemand auf der Straße ist, das hat auch was. Wenn ich immer in Salzburg lebte, würden mir die Touristen vermutlich mehr auf die Nerven gehen. Man wird ja ununterbrochen nach denselben Wegen gefragt. Es gibt einen Ort in Salzburg, an dem ich nur einmal war und an den ich wahrscheinlich nie wieder komme: Als ich etwa 18 war, wurde der Turm der Franziskanerkirche eingerüstet, und wir sind da hinaufgeklettert bis auf die goldene Spitze und haben auf dem Dach eine Flasche Sekt getrunken, das war ein unvergesslicher Moment. Aber vielleicht erleb ich ja noch eine Sanierung und bin noch nicht zu alt, da hinaufzukraxeln. (Tanja Paar/DER STANDARD/Rondo/23.07.2010)