Wie unterschiedlich das hehre Ideal der Basisdemokratie ausgelegt werden kann, das führen die Grünen derzeit in den Wiener Bezirken Josefstadt und Mariahilf vor. Im Achten gibt es mit Heribert Rahdjian einen grünen Bezirksvorsteher, der von vielen in der Stadt geschätzt wird - nur nicht von einigen Leuten in seiner Bezirkspartei. Die Landes-Grünen sahen erste Reihe fußfrei dabei zu, wie Rahdjian abmontiert wurde, nun tritt er mit einer eigenen Liste an. Die Bezirks-Schwarzen und -Roten können sich schon einmal die Hände reiben. Fast ein Drittel aller Stimmen in der bürgerlichen Josefstadt erhielten die Grünen 2005; auf eine historische Bezirkseroberung folgt nun grünes Stimmen-Splitting.

Ganz und gar nicht untätig war die Landespartei in Mariahilf. Susanne Jerusalem wurde dort auf Wunsch der Rathausgrünen als Bezirksvorsteher-kandidatin eingesetzt, gegen den Willen eines Teils der Bezirkspartei. Wie das in einem basisdemokratischen System geht? Indem man sich eine Delegiertenliste zusammenzimmert, mit der die präferierte Kandidatin garantiert eine Mehrheit bekommt. Das Ergebnis ist dasselbe wie in der Josefstadt: Grün kandidiert gegen "Echt Grün" , den Bezirksvorsteher wird wohl keine der beiden Fraktionen stellen. Vor einigen Monaten durften sich die Stadt-Ökos noch berechtigte Hoffnungen machen, die Gegend zwischen Gürtel und Ring grün einzufärben. Bleiben wird ihnen nun nur der siebente Bezirk. Ausgerechnet dort, wo für grüne Verhältnisse astronomische Stimmenanteile möglich schienen, zerfällt die Bewegung.

Willkommen in der politischen Realität: In Wien und anderswo konkurrieren die Grünen mit Parteien, in denen bei Personalentscheidungen hierarchisch durchgegriffen wird. Solche intransparenten Prozesse kann man goutieren oder nicht. Jedenfalls weiß man als Bürger, woran man ist. Die Grünen versuchen hingegen, das Bild von den netten Basisdemokraten aufrechtzuerhalten, bei denen jeder mitreden darf.

Gleichzeitig verlangen gewisse Positionen gewisse Figuren, die einzusetzen die Parteiführung nicht befugt ist. Das Ergebnis sind seltsame Listenerstellungsprozesse. Und dann gibt sich die Parteispitze verblüfft davon, dass die Ergebnisse dieser Wahlen nicht alle glücklich machen. Die Grünen müssen ja nicht gleich sämtliche internen Wahlen abschaffen. Mehr Mut zur Führung brauchen sie auf jeden Fall; allerdings wird eher die Hölle zufrieren, als dass ein grüner Parteichef sich traut, die allumfassende Basisdemokratie infrage zu stellen.

Virulent wird dieses Problem in Wien spätestens bei möglichen Koalitionsverhandlungen. Sollte die SPÖ am 10. Oktober ihre absolute Mehrheit verlieren, wird sie sich davor hüten, mit den Grünen zu koalieren. Da kann Parteichefin Maria Vassilakou noch so sehr mit einem Regierungssessel liebäugeln: Bis über jeden Satz in einem Koalitionsübereinkommen bis in die hintersten Winkel der diskursfreudigen Stadtpartei abgestimmt wurde, hat die ebenfalls zusammenarbeitswillige ÖVP wohl schon längst ein Papier mit der SPÖ unterzeichnet. Ganz abgesehen davon, dass die Grünen derzeit alles andere als das Bild eines stabilen Regierungspartners abgeben.

Es ist ein schwieriger Spagat zwischen grünem Wunsch und parteipolitischer Wirklichkeit. Solange er nicht gelingt, dürfen die Grünen von den (Wiener) Wählern nicht erwarten, dass sie ihnen das Regieren zutrauen. (Andrea Heigl, DER STANDARD, Printausgabe, 12.8.2010)