Wien - Gut 1,2 Millionen Wiener sind am 10. Oktober wahlberechtigt, 150. 000, so schätzen die Grünen, werden bis Freitag eine Wahlkarte beantragen. Eine davon ist die Großmutter des grünen Gemeinderatsabgeordneten Martin Margulies - auch wenn sie selbst davon vermutlich gar nichts weiß: "Meine Großmutter lebt in einem Pflegeheim und ist leider sehr dement." Seine Mutter habe als Sachwalterin der Großmutter im Geriatriezentrum angerufen, in Sachen Wahlen nachgefragt - und erhielt laut Margulies eine erstaunliche Antwort: Man habe die Wahlkarte - wie für alle anderen Bewohner des Geriatriezentrums - bereits bestellt. Nicht verwendete Stimmzettel würden am Wahltag vernichtet, versicherte man im Geriatriezentrum weiter.

Margulies bezweifelt dennoch, "ob das alles mit rechten Dingen zugeht", und fordert, dass die Verwendung der Wahlkarten lückenlos dokumentiert wird. Denn er befürchtet, dass "der SPÖ jedes Mittel recht ist, um ihre absolute Mehrheit zu erhalten". Für die Roten konterte Landesparteisekretär Christian Deutsch: "Die ungeheuerlichen Vorwürfe der Grünen richten sich selbst." Im Büro der zuständigen Stadträtin Sandra Frauenberger (SP) wird versichert, dass Wahlkarten vom Pflegepersonal nur beantragt würden, wenn die betreffende Person ihre Zustimmung gegeben habe.

Eine weitere Beobachtung regt die Grünen auf: Auf Wiener Märkten würden besonders türkischstämmige Wiener von SP-Wahlhelfern mit dem Ziel angesprochen, eine Vollmacht für deren Wahlkarten-Bestellung zu erhalten. Allein dass das rechtlich möglich ist, ärgert die grüne Verfassungssprecherin im Parlament, Daniela Musiol. Sie fordert ein Expertenhearing, bei dem etwa über die Frage diskutiert werden soll, ob die Briefwahlstimmen wirklich erst acht Tage nach der Wahl bei der Behörde eingelangt sein müssen. Auch die Beantragung einer Wahlkarte müsse, meint Musiol, persönlich erfolgen. Derzeit ist dafür bloß der Name und eine Personenidentifikation - etwa die Passnummer - notwendig.

Namenlose Briefwahlkuverts

Eine andere Begleiterscheinung des Wählens per Wahlkarte regt wiederum die Volkspartei auf: Briefwähler werden nicht über die Kandidaten informiert; sie erhalten bloß den Stimmzettel, während es für jene, die im Wahllokal wählen, einen Aushang mit den Kandidaten gibt. Dem Briefwahlkuvert beigefügt ist ein Schreiben, das darauf verweist, dass man sich bei einer telefonischen Hotline oder auf www.wahlen.wien.at über die antretenden Politiker zwecks Vorzugsstimmenvergabe informieren kann. "Demokratiepolitisch bedenklich, dilettantisch und ärgerlich", findet VP-Stadträtin Isabella Leeb. (Andrea Heigl/DER STANDARD-Printausgabe, 7.10.2010)