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Am Platz gibt es derbygemäß keine Freundlichkeiten, ansonsten sind die großen Merseyside-Teams sich aber erstaunlich wohlgesonnen

Foto: Reuters/Noble

Ich werde nie mein erstes Wiener Derby vergessen. Es war der 12. Juni 1993 und die letzte Runde der Bundesligasaison. Mein Vater, mein über drei Jahre jüngerer Bruder und ich (damals 8) pilgerten aus der Steiermark ins Praterstadion. Einer reiste neutral an, einer als Rapidler, einer als Austrianer. Die Austria gewann 4:0 und wurde Meister nach Tordifferenz (was dem unglücklichen Zweiten Austria Salzburg ermöglichte, in der Folgesaison ins UEFA Cup-Finale vorzustoßen).

Ich erinnere mich an kein Tor mehr, wohl aber an die Szenen nach dem Spiel. Die Austria-Fans stürmten das Feld. Drei von ihnen hatten nichts besseres zu tun als vor dem Rapid-Sektor zu tanzen und zu gestikulieren. Wir sahen diese drei an jenen Tag noch einmal: Am Parkplatz, als sie Dresche von Grün-Weißen einstecken mussten. Es war das letzte Mal, dass ich ein Wiener Derby besuchte.

In Liverpool gibt es auch ein Traditionsderby zwischen Everton und Liverpool. Seit 1962 wird dieses Duell durchgehend in der höchsten englischen Liga gespielt - so lange wie kein anderes. Am vergangenen Wochenende fand es zum insgesamt 214. Mal statt. Und anders als man es von großen Derbys in Wien oder vielen anderen Städten dieser Welt sagen könnte, wird es auch das "Friendly Derby" genannt.

In Vorfeld dieses Spiels entstand eine Diskussion in den derStandard.at-Foren zum Verhältnis zwischen diesen beiden Klubs. 

Liverpool-Fans würden Everton hassen, lautete eine Meinung.
Das sei Unsinn und widerspreche diesem inoffiziellen Titel, erwiderte ich.
So "friendly" sei das Derby aber gar nicht mehr, meinte ein anderer wiederum.

Genug Widerspruch, um sich diesem Thema detaillierter anzunehmen, meine ich.

Gespaltene Geschichte

Everton und Liverpool, das war früher Everton. 1892 spaltete sich der Klub in einem Streit über die Eigentumsverteilung und den Besitz der Anfield Road. Während der neugegründete Liverpool FC eine Liga tiefer an der Anfield Road blieb, zog der Everton FC einen Kilometer gen Norden in den Goodison Park. Dazwischen liegt in Liverpool nur der Stanley Park. 

Trotz dieser kontroversen Geschichte, entwickelte sich keine echte Feindschaft zwischen den beiden Klubs in der erfolgreichsten Fußballstadt des Landes. Der Grund scheint auf der Hand zu liegen: Anders als in vielen anderen Städten gibt es keine kulturellen, politischen, sozialen oder religiösen Trennlinien zwischen den Anhängerschaften - und bedingt durch die geographische Nähe entwickelte sich auch keine Rivalität zwischen Stadtteilen.

Zwar gab es immer wieder Phasen, in denen sich die Fans ein wenig nach politischer Zugehörigkeit oder Religion richteten, aber die Durchmischung quer durch alle Schichten wurde dadurch nicht gebrochen. Der böse Gegner ist in dem Fall bis heute oft der Ehepartner, Bruder, Nachbar oder Arbeitskollege - also jemand den man gerne häckerlt und zwei Tage nach der Niederlage nicht sehen will, aber kein Feind. Und so gehen viele Leute auch in dieser Konstellation gemeinsam zu den Spielen.

Geld ist schlecht für die Freundschaft

Tatsächlich ist der Einwand des oben genannten Users aber nicht falsch. Die Beziehungen kühlten zwischen den beiden Klubs in den vergangenen Jahrzehnten etwas ab. Nach den Ausschreitungen im Heysel-Stadion (1985) wurden alle englischen Klubs über Jahre aus europäischen Bewerben ausgeschlossen, was neben den in dieser Zeit dreifachen Titelgewinnern Liverpool auch die damals starke Everton-Mannschaft mögliche Titel kostete. Die Evertonians nahmen den Reds das übel.

Mit der Katastrophe von Hillsborough kam es aber zu einem abermaligen Zusammenrücken der Stadt. In einer herausragenden Art betrauerten blaue und rote Fans den Verlust der 96 Toten. Über den zeitgleichen Sieg Evertons im zweiten FA Cup-Halbfinale jubelten die Fans des Vereins nicht, sobald sie von der Nachricht erfuhren (was gar nicht unbedingt den tiefen Respekt vor dem anderen Klub zeigte, sondern die Gewissheit, dass jeder mit Fans Liverpools verwandt oder befreundet war). Ein Band von Everton- und Liverpool-Schals wurde daraufhin zwischen den beiden Stadien gespannt. Das nur wenige Wochen später folgende FA Cup-Finale in Wembley zwischen den beiden Mannschaften gilt als Monument für den Respekt zwischen den beiden Vereinen und Fangruppen.

Schnupfen

In den folgenden Jahren sollten einige Zwischenfälle das Verhältnis stören. Vor allem der finanzielle Unterschied in jüngsten Jahren und der sportliche Erfolgsgraben zwischen den Klubs (der sich nun ja nahezu wieder schließt) sorgten für Verstimmungen. Auch vereinzelte Ereignisse trübten das Bild: 1999 wurde der aus dem Everton-Nachwuchs stammende Liverpool-Fanliebling Robbie Fowler von den Blues mit "smack head"-Chören bedacht (das bedeutet in etwa "Heroinjunkie"). Als er vor dem Toffees-Sektor einen Elfer verwertete kniete er zweimal an der Torlinie nieder und imitierte dort das Ziehen einer Line. Die ganz freundschaftliche Stimmung früherer Jahre war sichtlich vorbei.

Nichts desto trotz entwickelte sich weiterhin keine echte Feindschaft und viele rote und blaue Fans gehen immer noch Seite an Seite zu den Derbys. Niemand muss in Liverpool fürchten, mit dem falschen Trikot in die falsche Gasse abzubiegen.

Selbst verbindende Gesten gab es bis in die jüngere Vergangenheit. Als der Mord an einem 11-jährigen Everton-Fan durch eine Jugendgang 2007 die Stadt erschütterte, lud Liverpool dessen Familie zu einem Champions League-Spiel gegen Toulouse ein. Beide Mannschaften spielten mit schwarzen Schleifen am Arm und zum Gedächtnis an den Buben wurde unter geschlossenem Applaus vor "You'll Never Walk Alone" jener Song an der Anfield Road gespielt, zu dem normalerweise Everton im Goodison Park das Feld betritt (Z-Cars, ein zur Fernsehserien-Melodie umgeschriebenes Volkslied).

Zurück zum Start?

All diese Geschichte mündet nun in Gespräche über die Rückkehr in ein gemeinsames Stadion. Fast 120 Jahre nach der Klubspaltung gelten sowohl der Goodison Park (40.157 Plätze) als auch die Anfield Road (45.362) als zu klein. Da beide Vereine einen neuen Spielplatz wollen, aber mit der Finanzierung Probleme haben, könnte im Stanley Park ein gemeinsamer mit 65.000 Sitzen entstehen. Keine Geringeren als Liverpool-Legende Kenny Daglish und Everton-Trainer David Moyes zeigten sich jüngst gesprächsbereit. Solche Kaliber äußern sich nicht zufällig zu einem solchen Thema. Es scheint, als würden die Klubs die Fans auf eine Vernunftehe vorbereiten.

Große Gesten hin oder her. Eine Herzensangelegenheit wäre das für die Wenigsten. Unmöglich scheint es allerdings nicht. Die Gespräche unter Fans in britischen Foren drehen sich oft mehr um die Eitelkeit, wer damit wen retten würde, als um eine prinzipielle Ablehnung.

Es wird sich zeigen, wie weit die Freundschaft wirklich geht. (tsc, derStandard.at 18.10.2010)


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