Georg ist 21. In der vierten Schulstufe hat er eine Klasse übersprungen und beim Abitur in Karlsruhe einen Schnitt von 1,4. Die Schule war trotzdem eine Herausforderung: Georg war nicht nur hochbegabt, sondern dicklich und wurde oft für ein Mädchen gehalten. "Nicht die coole Person, die man auf Partys mitnimmt", sagt er heute, lacht aus seinem Jungen-gesicht und zeigt seine hübschen Zähne. Eigentlich wollte er Künstler werden. Nach einem Jahr Zivildienst und ein paar Jobs (DHL-Paketzusteller, Praktikum als Regieassistent, Sprechstundenhilfe beim Vater ...) kam er nach Wien, um Politikwissenschaften zu studieren - auch, weil er nirgendwo für ein Musikstudium aufgenommen wurde. Aber dann kam die Audimax-Besetzung, und die war viel spannender, ein "Seminar in angewandter Politikwissenschaft", wie Georg es nennt. Er wollte etwas Sinnvolles machen: Tingeln mit einer Band war es genauso wenig wie ein Studium. Ob Georg typisch für seine Generation ist, weiß er nicht. Vielleicht ist er so etwas wie ein Vorbote auf manches, das in Ansätzen schon da ist. "Ich treffe radikalere Entscheidungen als viele andere!", sagt er, will Mediator werden und gibt selbst schon Seminare in gewaltfreier Kommunikation (GFK). Er ist außerdem bei den Pioneers of Change ("Akteure des Wandels für eine nachhaltige Gesellschaft") und engagiert sich bei der Demokratischen Bank (ein von Attac initiiertes Banken-Modell). Und: Wenn er noch mehr (wache) Zeit zur Verfügung haben will, um alle Vorhaben voranzutreiben, experimentiert er auch schon einmal mit seinem Schlaf.

Georg wirkt wie jemand von einem anderen, vielleicht besseren Planeten, wenn lächelnd einen veganen Glückssalat verspeist. Er trinkt "selten" Alkohol ("nicht produktiv am Tag danach"), kifft nicht, raucht nur, wenn er Alkohol trinkt, Kaffee vielleicht zweimal im Jahr ("Ich möchte so wach sein, wie mein Körper es mir sagt!"), Fleisch isst er prinzipiell keines, nur wenn er absolut Lust darauf hat. Manchmal hört er sich an wie ein durchgeknalltes New-Age-Kid: "Bei aller Radikalität möchte ich situationsorientiert bleiben!" Heißt: Er will nicht allzu streng mit sich sein.

Ist er trotzdem und geht für sein Alter meist früh schlafen, weil er gerade sein Leben neu strukturiert. Das macht er so, als wäre er nicht 21, sondern 42. "Ich bin ein selbstdirigierter Student!", sagt er. In seinem Zimmer hängt ein großes Flipchart, so etwas wie sein persönlicher Studienplan, und darauf steht eine ganze Menge, was er noch machen möchte: Mediationsausbildung, GFK-Studienreise in die USA, Dragon Dreaming ("ein integratives, partizipatives Management-Tool"), Tanzen, Reference Point Therapy, Buch schreiben, Französisch lernen ("weil es eine wunderschöne Sprache ist"). "Mein Kopf ist leider begrenzt, man kann sich nicht mit allem beschäftigen!", sagt er verzweifelt. Er kauft, sooft es geht "bio", war zwei Mal in seinem Leben bei H&M, die Schuhe, die er trägt, sind aus Leder, "aber Geld ist zu knapp, um sich vegane Treter zu kaufen". Es ist ein spannender Gedanke, sich Georg mit 40 vorzustellen. Wohin hat sein Weg ihn gebracht? Was ist auf der Strecke geblieben? Er war schon in China, Griechenland und den USA - und einmal in Frankreich. Dorthin ist er getrampt, zum "non violent communication"-Festival in die Nähe von Bordeaux. Ob er selbst einmal ein Auto fahren wird? "Hoffentlich ein Elektroauto", sagt er. Den Führerschein hätte er schon, aber manchmal auch ein schlechtes Gewissen wegen jeden gefahrenen Kilometers. (mia, DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.10.2010)