Christiane Rösinger: "Songs Of L. And Hate" (Staatsakt/Good2Go 2010)

Coverfoto: Staatsakt/Good2Go

50 Jahre alt wird Christiane Rösinger kommenden Jänner und kann immer noch so authentisch traurig klingen wie ein kleines Mädchen, dem die Eiskugel aus der Tüte auf den Boden geplumpst ist. - Was den Tonfall anbelangt, mind you, nicht die Wortwahl: So verschlissen und verrissen, so verbissen und verschissen / So verschleimt und verkeimt und versport ... Der Song "Verloren" kommt mit nicht mehr als einer Aneinanderreihung von Partizipien, einem einfachen Pianoakkord und in der Steigerungsstufe mit Schlagzeug und Gitarre aus - und, oh, welche Dramatik, kommt dabei doch zustande. Die Mundharmonika am Schluss hätt's gar nicht mehr gebraucht.

Fast sieht es wie ein Familienfoto aus, wenn Rösinger gemeinsam mit einem weiteren Wahlberliner das Cover von Bob Dylans Album "Bringing It All Back Home" aus 1965 nachstellt: Sie gibt den Altmeister selbst, Andreas Spechtl von Ja, Panik wirft sich gekonnt in die Pose der Ehefrau von Dylans damaligem Manager. Nur das herumliegende popkulturelle Verweisgut hat sich etwas aktualisiert - unter anderem ragt im Hintergrund die Debüt-Platte von Rösingers erster Band, den Lassie Singers, ins Bild. Ist auch schon wieder fast 20 Jahre her.

"Aber fragt mich einer: Wie ist dir's zumute? Grad so, als ob das Herz recht angenehm verblutet."

Nach dem Ende der Lassie Singers legte Rösinger einen fliegenden Wechsel zu Britta hin, und spätestens hier wurde es zur Trademark, die schon zuvor oft und gerne geschmähte Liebe nur noch als das L-Wort zu bezeichnen ... daher die logische Abwandlung des (fast) gleichnamigen 1971er Albumtitels von Leonard Cohen. Womit das Zitate-Spiel - trotz Zusammenarbeit mit Spechtl, der derlei Strategien mit seiner Band auf ein neues Level gehoben hat - auch schon wieder vorbei ist. "Songs Of L. And Hate" enthält auch nur eine einzige Coverversion, nämlich Jackson Brownes "These Days", das die meisten unweigerlich mit Nicos dunkler Stimme verbinden werden. In Rösingers ins Deutsche übertragener Version wird der Schwebezustand, in dem sich der Song zu befinden scheint, noch leichter - zugleich schlägt Rösinger damit eine Brücke zu ihrem legendären Lied "Phase" aus Lassie Singers-Zeiten, das bei einem Blutdruck von 15:6 zustande gekommen sein muss.

Rösinger bzw. Britta gebührt auch die Ehre, Ja, Panik schon lange vor dem später einsetzenden Hype Rosen gestreut zu haben - die musikalische Zusammenarbeit mit Spechtl kann daher nicht verwundern. Die Breaks und Tempowechsel in den Songs "Es geht sich nicht aus" und "Es ist so arg" erinnern am stärksten an das, was man von Spechtls Band kennt - und beide, im Bundesdeutschen nicht so übliche, Formulierungen unterstreichen den Einfluss noch einmal. Spechtl spielt Gitarre, Schlagzeug und Klavier und hält sich gesanglich weitgehend im Hintergrund. Das Gstanzl "Berlin" stimmen die beiden aber gemeinsam an: "Wenn die Parkausflügler dann die Schwäne füttern und die Allerblödsten es gleich weitertwittern / Wenn die Ökoeltern sich zum Brunchen treffen und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen / Ja, dann sind wir alle in Berlin ..." Wäre leicht, das beim nächsten Gastspiel in "hier in Wien" umzumodeln, schließlich passt es 1:1.

"Die Midlife-Crisis? Die hatte ich doch schon! Ich warte auf die Altersdepression."

Nur selten geht es ins Uptempo, wie beim Lassie-Singers-Boogie "Haupsache raus"; meistens gibt Rösinger zu sparsamer Instrumentierung die Knef des Prekariats. Während aber Hildegard vor 60 Jahren noch Friedrich Meyers "Illusionen" besang, ist Rösinger schon lange bei der "Desillusion" angekommen. Insbesondere das Stück "Sinnlos" enthält einen derartigen Overkill an Elend, dass man dabei nicht ganz ernst bleiben kann. Klar, Rösinger spielt mit der Traurigkeit und bietet sie als Gemeinsamkeit schaffende (und damit letztlich aufbauende und sogar aufheiternde) Erfahrung an. Dass das durchaus drollig wirken und damit zum Problem werden kann, wenn frau etwas wirklich ernst meint, dürfte Rösinger aber bewusst sein.

... weshalb einige Stücke jenseits aller Liebäugelei liegen: Sei es "Es geht sich nicht aus", die Schimpftirade "Verloren" oder das mit einer sanft gezupften Gitarre und ein wenig Hall auskommende Schlussstück "Kleines Lied zum Abschied". Da wird nicht auf Pointen und Mitsingen geschielt, das ist einfach nur ehrlich: "Und wär es nicht so furchtbar traurig / Ich hätt mich tot gelacht." (Josefson)