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Eine Frage von Gewicht und Masse: Der US-amerikanische Lichtkünstler James Turrell baut mit Lichttunneln und -röhren Räume aus Licht.

Foto: EPA/SIGI TISCHLER

Mit Andrea Schurian sprach er über das Lebenselixier Licht.

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STANDARD: Christo hasst es, Verpackungskünstler genannt zu werden. Wie geht es Ihnen mit der Bezeichnung "Lichtkünstler"?

Turrell: Das ärgert mich nicht. Ich denke aber, Sie können diesen Namen auch den Impressionisten geben, oder William Turner, Casper David Friedrich, Caravaggio, Velasquez, Goya. Sie alle waren Lichtkünstler, in ihren Arbeiten spielte Licht eine wichtige Rolle.

STANDARD: Was ist Licht für Sie? Material? Etwas Immaterielles, das Sie der materiellen Welt entgegensetzen?

Turrell: Immer Material. Es ist eine Art Grundnahrungsmittel, auch durch die Haut nehmen wir Licht auf. In dunklen Jahreszeiten nehmen Depressionen bekanntlich zu. Licht ist Lebenselixier. In unserer Kultur verwenden wir Licht meist, um andere Dinge zu er- und beleuchten; aber mein Interesse gilt der Dinglichkeit, der Materialität von Licht an sich. Ich möchte, dass Licht in der gleichen Weise geschätzt wird wie anderes Material. In der Art, wie ich es verwende, sehen es die Menschen nicht sehr oft. Aber es unterscheidet sich nicht sehr von dem Licht, das wir aus Träumen kennen. Wir sehen es mit geschlossenen Augen. In meinen Installationen tauchen diese Assoziationen auf. Erstaunlich ist eigentlich nur, dass man dieses Licht auch mit offenen Augen sehen kann, nicht nur im Traum.

STANDARD: Spirituelle Menschen setzen das Göttliche mit Licht gleich. Ist das auch ein Aspekt Ihrer Arbeit?

Turrell: Ich weiß nicht, ob ich das so sagen würde. Aber ich glaube, Erfahrungen in der physikalischen Welt können den Weg in die spirituelle Welt bereiten. Licht ist immer ehrlich und wahrhaftig. Es gibt kein künstliches Licht: Es wird immer etwas verbrannt, um Licht zu erzeugen. Dieses Licht ist charakteristisch für das verbrannte Material, von dem wir die Temperatur kennen, mit der es brennt. Durch das Licht, das sie ausstrahlen, wissen wir also, woraus die Sterne bestehen. Das sind ganz reale Dinge, die uns die physikalische Welt und ihre Vergänglichkeit verstehen lassen. Wir können das Licht auf Wellen untersuchen; von einem anderen Blickwinkel zeigt es sich als Partikel. Es ist erstaunlich: Wenn das Licht merkt, dass wir es beobachten, zeigt es so etwas wie Bewusstsein.

STANDARD: Stimmt es, dass Sie Pilot in Postflugzeugen waren und dabei sehr spezielle Lichtsituationen erlebt haben? Hat Sie das zu Ihrer Arbeit inspiriert?

Turrell: Man sieht vom Cockpit aus wunderbare Lichtsituationen: Sonnenauf- und -untergänge, die einfallende Dämmerung. Aber ich erkannte auch, dass Licht die Sicht verdeckt: Wenn Licht untertags die Atmosphäre erhellt, sehen wir keine Sterne mehr. Das Gleiche passiert in kleinerem Zusammenhang: Wenn Sie auf der Bühne stehen und Ihnen Licht ins Gesicht scheint, dann sehen Sie das Publikum nicht, aber das Publikum sieht Sie. Man kann also die Sicht mit Licht sowohl ermöglichen als auch einschränken. Und man kann mit Licht Räume bauen und Architektur mit Licht zeichnen. Das mache ich.

STANDARD: Warum realisieren Sie Ihre Sky-Spaces oft abseits der wichtigen Kunstzentren? Auch Ihr Museum in Argentinien ist Stunden von der nächsten Stadt entfernt.

Turrell: Mitunter arbeite ich auch im Kunstkontext wie dem PS1 in New York. Aber ich mag, wenn man Kunst in die Natur bringt, so wie man die Natur in die Kunst holt. Irgendwann bin ich draufgekommen, was ich mache: Im Prinzip verkaufe ich nichts anderes als blauen Himmel und färbige Luft. Das machen andere auch - erfolgreicher. Aber sie haben nie wirklich einen blauen Himmel geliefert. Also habe ich beschlossen, in der Natur zu bleiben. Wenn man irgendwo im Nirgendwo ist, ist man meiner Kunst vielleicht am nächsten. Ich liebe hohe Berge und das trockene Klima; aber auch milde Küstenstreifen wie in England. Ich liebe es, mit den unterschiedlichen Lichtqualitäten zu arbeiten. Licht verändert sich immer.

STANDARD: Sie würden gern einen Sky-Space am Gefechtsturm im dritten Bezirk in Wien realisieren. Was genau planen Sie für diesen Cat, den Contemporary Art Tower?

Turrell: Eine Öffnung des Gebäudes nach oben. Einen Blick von drinnen hinauf in den Himmel. Es wäre großartig, gäbe man diesem martialischen Gebäude einen neuen Sinn. Für mich wäre es eine große Herausforderung, diese Stahlkonstruktion zu öffnen. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 15. November 2010)