Eigentlich zähle ich nicht zu den Leuten, die ständig über die ÖBB ablästern, aber seit ich gestern mit dem "Railjet" von Bregenz nach Wien gefahren bin, bleibt mir keine Wahl. Der Railjet, so scheint mir, soll so etwas sein wie die Speerspitze zugbauerischen Fortschritts. Tatsächlich empfinde ich ihn als seelenlosen Technokratenzug, der an elementaren Bedürfnissen des zugfahrenden Volkes vorbeizielt.

Wenn man früher am Morgen mit dem Zug fuhr, hatte man gute Chancen auf eine prolongierte Nachtruhe. Man zog in einem leeren Abteil zwei gegenüberliegende Sitze zu einem Behelfsbett zusammen oder legte sich quer über eine Sitzreihe hinweg zur Ruhe. Nicht rasend komfortabel, aber für ein nettes Nickerchen bis in die späten Vormittagsstunden gut genug.

Im Railjet geht das nicht mehr. Da gibt es nur starr nebeneinandergepferchte Hartschalensessel. Will man dennoch in die Waagrechte, muss man sich einkrümmen wie ein Croissant und gekrümmt verharren, um nicht auf den Boden zu fallen. Die Körpermitte hängt zwischen den Stühlen, die Beine ragen als Hindernis für Mitreisende in den Mittelgang. Ein Traumschlafplatz, aber nur für Masochisten.

Also auf in den Speisewagen. Früher saß man allein oder in Gesellschaft im Speisewagen an einem Tisch. Man trank Kaffee oder Bier, redete oder las Zeitung oder sah durchs Fenster, wie das schöne Österreich an einem vorbeifuhr. Im Railjet gibt es keinen Speisewagen mehr, sondern ein "Bistro". Ich habe anderthalb Jahre meines Lebens in Frankreich verbracht und bin dort in aberdutzenden Bistros gesessen, aber ich schwöre, kein einziges ähnelte dem Railjet-"Bistro" auch nur im Entferntesten.

Das "Bistro" ist mit einem einsamen Stehtisch und drei kniehohen Glastischchen versehen, die auf garstige graue Metallsockel aufgesetzt sind. Es gibt keine Sessel, sondern eine einzige, entlang der Glastischchen verlaufende Bankreihe. Diese Umgebung unkommunikativ zu nennen wäre ein Hilfsausdruck. Der Genius, der das "Bistro" ersonnen hat, gehört gescholten und gerichtlich dazu verurteilt, in seinem Bistrowagen rund um die Welt zu fahren. Strafen müssen manchmal grausam sein.

So viel zum Stand der Zugreise-Kultur. Ich schließe mit dem Fluch: Fahr zur Hölle, Railjet! Als überzeugter Nebenbahnenfan freu ich mich auf den nächsten Trip mit der Mariazellerbahn. (Christoph Winder, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 11./12. Dezember 2010)