Dieter Flury ist Soloflötist und Geschäftsführer der Wiener Philharmoniker sowie Professor an der Kunstuniversität Graz.

Foto: Van Bakel

Flury hat auf Fragen von Daniel Ender über Sinn und Wert der Veranstaltung Antworten gemailt - und eine Gegenfrage.

Standard: Wie gefällt Ihnen die neue Konzertkleidung für die Philharmonikerinnen, die sie am 1. Jänner 2011 erstmals offiziell tragen werden?

Flury: Zusammen mit unseren Kolleginnen haben wir beschlossen, dass auch unsere Damen einheitlich gekleidet auftreten werden. Die Kleidung, die für das Neujahrskonzert angefertigt worden ist, habe ich noch nicht gesehen, ich lasse mich gerne überraschen.

Standard: Das Neujahrskonzert der Philharmoniker im Musikverein ist eine der prominentesten Visitenkarten Österreichs. Ist denn dieses Bild der Nation in der Welt noch zeitgemäß?

Flury: Die gleiche Frage können Sie natürlich zu unserem Beethoven-Zyklus auch stellen. Diese Musik, gleich ob die von Beethoven oder Meisterwerke der Strauß-Familie, ist mir so ein Anliegen, dass ich mich amputiert fühlen würde, wenn ich sie nicht mehr spielen dürfte, nur weil Sie feststellen, dass ihre Schöpfer schon seit längerem gestorben sind.

Standard: Welche Botschaft soll das Neujahrskonzert eigentlich vermitteln?

Flury: Wenn ich die Botschaft in Worte fassen könnte, würde sich das Konzert erübrigen. Ich kann es nicht, deshalb spielen wir.

Standard: Wie wichtig ist das Konzert für die Philharmoniker - ideell und vor allem finanziell?

Flury: Wir haben mit den ersten Fragen beim Ideellen begonnen, und das ist gut so, denn das Geld kommt dann schon, wenn die Kunst stimmt. Beziffern lässt sich der Wert allerdings kaum, denn das Neujahrskonzert ist ein wesentlicher Bestandteil der Marke Wiener Philharmoniker. Die Einnahmen daraus setzen sich aus Karten- und Senderechte-Erlösen, Schallplatten- und DVD-Einnahmen sowie Sponsorgeldern zusammen, die man mehr oder weniger eng dem Neujahrskonzert zuordnen kann.

Standard: Wenn man unter "Neujahrskonzert" googelt - und zwar unter "News" -, dann ist Ihre Veranstaltung kaum mehr zu finden. 2008 haben Sie eine Wortmarke eintragen lassen, Sie sind auch rechtlich gegen andere Veranstalter vorgegangen. Wie geht es da weiter?

Flury: Der Schutz der Wortmarke gibt uns Mittel, gegen allzu unverschämte Trittbrettfahrer vorzugehen.

Standard: Kommen wir zum Eigentlichen: Worin liegt genau die hohe Kunst, Wiener Walzer, Polka und Co so zu spielen, dass es "swingt"?

Flury: Letzten Endes geht es um das gemeinsame Hören und Spüren. Ein Walzertakt ist nicht zu vergleichen mit dem Dreivierteltakt einer Polka Masur. Auch ein Walzer "walzert" manchmal mehr und manchmal weniger in dem Sinne, wie ihn Bruno Walter charakterisiert hat: Eins - zwei - und vielleicht noch die Drei.

Standard: Ein Vorurteil besagt, der jeweilige Dirigent könne agieren wie auch immer, die Philharmoniker würden doch so spielen, wie sie wollen. Gibt es da auch ein Körnchen Wahrheit?

Flury: Keiner unserer Dirigenten dirigiert gegen die Eigendynamik des Orchesters, sondern nützt sie und spielt mit ihr.

Standard: Wie ist die Chemie mit Franz Welser-Möst?

Flury: Blindes Verständnis, man hört und spürt gemeinsam.

Standard: Auf dem Programm des Neujahrskonzerts findet sich diesmal neben den "üblichen Verdächtigen", der Strauß-Familie, Lanner und Hellmesberger, auch Franz Liszt. Zu Letzterem hat das Orchester kein besonders inniges Verhältnis - oder täuscht der Eindruck?

Flury: Franz Liszt ist in den vergangenen Jahren nicht nur in unseren Programmen seltener vorgekommen, als es seinem tatsächlichen künstlerischen Wert entsprechen würde. Das Liszt-Jahr ist somit auch ein sehr willkommener Anlass, dem gegenzusteuern.

Standard: Sie sind einer der Humorspezialisten des Orchesters, haben "humoristische Arrangements" geschrieben. Wodurch ergibt sich Humor in der Musik?

Flury: Humor ist vielfältig, und nichts ist so humorlos, wie ihn zu definieren. Aber die Überraschung, eine sorgfältig hergestellte Erwartungshaltung zu enttäuschen und damit bewusst zu machen, eine plötzliche Erkenntnis zu vermitteln, verbunden mit dem Lachen über die eigene Borniertheit, zu all diesen Bestandteilen des Humors bietet die Musik so viel Gelegenheit, dass man fast trübsinnig werden könnte, wie viele Hörer eine Haydn-Symphonie ohne ein einziges Lachen "absolvieren".

Standard: Hatten Sie als gebürtiger Schweizer anfangs Schwierigkeiten mit der Mentalität der Wiener?

Flury: Ja, aber nun bin ich so weit eingewienert, dass ich sie liebe und hasse.

Standard: Auf der Philharmoniker-Homepage heißt es, das Neujahrskonzert stamme "aus einer dunklen Episode der österreichischen Geschichte." Wäre es nicht an der Zeit, diese Wurzeln beim Namen zu nennen?

Flury: Glauben Sie wirklich, dass irgend jemand nicht versteht, dass damit die Schrecken des Dritten Reiches gemeint sind?
(DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2010 / 1./2.1.2011)