"Man kann von einer Plünderung des Staates sprechen"

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"Mit ein paar kosmetischen Reformen soll das Volk ruhig gehalten werden"

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"Wenn die Soldaten die Unterstützung der Putschisten nur 15 Minuten aufgegeben hätten, hätte uns das gereicht, um die Kontrolle zu übernehmen"

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"Die Fälscher des angeblichen Rücktrittschreibens Präsident Zelayas werden nicht verfolgt, weil das Dokument verloren gegangen ist"

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Rafael Alegría, Gründungsmitglied der Kleinbauernorganisation Via Campesina, ist im honduranischen "Rat des nationalen Widerstands" aktiv. Die landesweite Bewegung, die nach dem Militärputsch im Juli 2009 gegründet wurde, sieht sich als außerparlamentarische Opposition und will die Reformprojekte des gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya fortsetzen. Berthold Eder traf Alegría, der derzeit auf Einladung des Lateinamerikainstituts Wien besucht, auf einen Kaffee.

derStandard.at: Das honduranische Parlament diskutiert derzeit mehrere Vorschläge, wie die Verfassung des Landes reformiert werden könnte. Dabei geht es unter anderem um den "steinernen" (unveränderlichen) Paragrafen, der eine Wiederwahl des Präsidenten untersagt. Was erhoffen Sie sich von diesen Reformversuchen?

Rafael Alegría: Dabei geht es vor allem um die absurden Regelungen, die derzeit Volksabstimmungen praktisch unmöglich machen. Um ein Referendum einzuleiten, benötigt man derzeit die Unterschriften von sechs Prozent der vier Millionen Wahlberechtigten. Dann müssen zwei Drittel der Abgeordneten zustimmen, und um Gültigkeit zu erlangen, muss sich eine Mehrheit von 51 Prozent der Wahlberechtigten (also nicht der Teilnehmer) für den Vorschlag aussprechen.

So viele Stimmen haben in den vergangenen Jahren nicht einmal alle politischen Parteien gemeinsam erreicht. Die ganze Reformdebatte im Parlament hat nur den Zweck, dem Widerstandsrat, von dem die Forderung kommt, das Wasser abzugraben. Mit ein paar kosmetischen Reformen soll das Volk ruhig gehalten werden.

derStandard.at: Kurz nach unserem Gespräch im Juli 2009 wurden sie verhaftet. Ist Anklage gegen Sie erhoben worden?

Alegría: Die Festnahme war der Polizei offenbar selber peinlich. Ich wurde eingesperrt, weil ich gegen die Ausgangssperre verstoßen hatte. Man brachte mich von einem Polizeirevier zum anderen, in den Journalen dort scheint mein Name allerdings nicht auf. Da Freunde aber wussten, wo ich festgehalten wurde, konnte man die Verhaftung nicht geheimhalten und musste mich nach sieben Stunden freilassen. Anklage wurde nie erhoben.

derStandard.at: Während des Militärputsches wurden mehrere Aktivisten ermordet. Gibt es Versuche, die Täter zu bestrafen?

Alegría: Die Staatsanwaltschaft hat bis heute keine Anklage in diesen Fällen erhoben. Gegen die oberste Ebene des Militärs wurde ermittelt, der Oberste Gerichtshof erteilte den Generälen aber eine Totalabsolution. Der Journalist David Romero wollte vergangene Woche von Parlamentspräsident Juan Orlando Hernández wissen, was gegen die Leute unternommen wird, die die angebliche Rücktrittserklärung Präsident Zelayas fälschten.

Die Antwort war, dass das Dokument leider verlorengegangen sei. Wegen der zwölf seit dem Putsch ermordeten Journalisten will die Regierung jetzt das FBI zu Hilfe rufen, aber bewirkt hat das bisher noch nichts.

derStandard.at: Derzeit ermittelt eine Wahrheitskommission, der mehrere lateinamerikanische Ex-Politiker angehören, wie es zum Putsch kam. Was erwarten Sie sich davon?

Alegría: Bei allem Respekt vor Eduardo Stein (Guatemalas Vizepräsident von 2004 bis 2008, Anm.): die honduranischen Mitglieder der Kommission stehen eindeutig auf der Seite der Putschisten. Julietta Castellanos, die Rektorin der Universität UNAM, hat zum Beispiel bei einem Arbeitskonflikt Militär und Polizei gestattet, den Campus zu besetzen. Ich denke nicht, dass sie es wagen werden, den Staatsstreich als solchen zu bezeichnen.

Der Bericht soll jedenfalls im März vorgelegt werden. Parallel dazu ermittelt eine weitere internationale Kommission, die von Menschenrechtsorganisationen gegründet wurde. Wir werden sehen, inwiefern sich die beiden Berichte unterscheiden.

derStandard.at: Sind die Auswirkungen des Putsches noch zu spüren?

Alegría: Die Putschisten haben mehrere Gesetze erlassen, die weiter gültig sind, darunter ein umstrittener Terrorismusparagraf, die Privatisierung von Wasservorkommen und Bodenschätzen und eine Anordnung, die Teilzeitbeschäftigten untersagt, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Außerdem wurde der staatliche Fernsehsender Canal 8 an einen privaten Investor verscherbelt, was die jetzige Regierung per Sonderdekret rückgängig gemacht hat.

Putschpräsident Micheletti hat sogar Geschirr und Tafelsilber aus der Präsidentenresidenz an seine Freunde verteilt, das ist bewiesen. Man kann von einer Plünderung des Staates sprechen. Von 2009 auf 2010 hat sich die honduranische Auslandsverschuldung mehr als verdoppelt. Auch die Lebensmittelpreise sind drastisch angestiegen. Dass es in Honduras nicht genug Bohnen gab, ist noch nie vorgekommen.

derStandard.at: Wie ist die Menschenrechtslage?

Alegría: Der Konflikt um fruchtbares Land wird immer blutiger. An der Atlantikküste sind erst kürzlich 26 Kleinbauern getötet worden. Die Großgrundbesitzer bauen mit Unterstützung kolumbianischer Berater paramilitärische Gruppen auf, die die Bevölkerung terrorisieren.

derStandard.at: Ein von Wikileaks veröffentlichter Lagebericht der US-Botschaft in Tegucigalpa belegt, dass Washington genau wusste, dass die Absetzung Präsident Zelayas illegal war. Wie erklären Sie sich, dass die USA den Putsch nicht schärfer verurteilten?

Alegría: Meines Wissens war das ein Deal zwischen Obamas Demokraten und den Republikanern, die dafür ihren Widerstand gegen die Bestellung Arturo Valenzuelas zum Unterstaatsekretär für die westliche Hemisphäre aufgaben. Postenschachereien waren ihnen offenbar wichtiger als unsere Demokratie. Leider hat sich die Lateinamerikapolitik der USA unter Präsident Obama kaum verändert.

Während des Putsches haben wir die US-Vertretung ersucht, auf das honduranische Militär Druck auszuüben. Wenn die Soldaten die Unterstützung der Putschisten nur 15 Minuten aufgegeben hätten, hätte uns das gereicht, um die Kontrolle zu übernehmen. Die USA haben großen Einfluss auf die Streitkräfte, weil viele Offiziere dort ausgebildet wurden und auch ihre Bewaffnung von dort kommt. (derStandard.at)