Henner Fürtig ist Direktor des Hamburger GIGA Instituts für Nahost-Studien.

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derStandard.at: Wie lang kann Hosni Mubarak noch an der Macht bleiben?

Fürtig: Dienstag ist ein ganz entscheidender Tag. Die Opposition inklusive der Muslimbrüder haben zu einem Generalstreik und einem großen Marsch auf den Präsidentenpalast aufgerufen. Wenn tatsächlich die erwarteten Millionen Menschen auf die Straße gehen, ist die letzte Gelegenheit für Mubarak gekommen, mit Anstand von seinem Amt zurückzutreten.

derStandard.at: Wenn er das nicht will? Welche Möglichkeiten hat er noch?

Fürtig: Die letzte Gelegenheit wäre eine entsprechende Übereinkunft mit dem Militär, das in den letzten Jahren zu ihm gehalten hat. Wir dürfen nicht vergessen: seit 1952 sind alle ägyptischen Präsidenten aus dem Militär gekommen. Mubarak selber war Luftwaffengeneral. Insofern ist die Verbindung sehr eng. Das Militär muss sich jetzt also entscheiden, wenn es sich nicht schon entschieden hat. Angesichts des bisherigen Verhaltens gehe ich aber nicht davon aus, dass am Dienstag in die Massen geschossen wird. Das Militär wird eher entsprechenden Druck auf Mubarak ausüben.

Im Gegensatz zu Militäroligarchien, die wir aus Südamerika vergangener Jahrzehte kennen, ist das ägyptische Militär ja keine politische aktive Kraft. Es wirkt im Hintergrund, hat aber eine enorme Wirtschaftsmacht. Aktuell wird die Armee sich wahrscheinlich als Retterin des Vaterlandes gerieren und eine Übergangsphase begleiten, die am Ende wieder zu einer Zivilregierung führt. Ich bin ziemlich sicher, dass es keine dauerhafte Militärregierung geben wird.

derStandard.at: Wen will das Militär an der Spitze dieser Regierung? Mohamed ElBaradei?

Fürtig: Das Grundproblem ist, dass sich innerhalb der zersplitterten, klein gehaltenen und enorm geschwächten Opposition bisher keine Integrationsfigur aufbauen konnte. Man muss abwarten, wie groß die Chancen von ElBaradei sind. Er genießt zwar im Westen einen exzellenten Ruf, ist Friedensnobelpreisträger, konnte sich aber in den Jahren seiner Abwesenheit keine Basis in Ägypten aufbauen. Viele Oppositionsgruppen sehen zwar den Vorteil, dass man in ihm ein Gesicht für die Opposition hätte. Man kennt ihn aber zu wenig und weiß nicht, wie man ihn einschätzen soll.

derStandard.at: Wie hoch schätzen Sie die Eskalationsgefahr für den Dienstag ein?

Fürtig: Die Gefahr ist natürlich da. Es wird entscheidend davon abhängen, wie sich das Militär verhält. Was Mubarak allerdings nicht machen kann, ist, den Schießbefehl zu geben, um dann festzustellen, dass die Einheiten seinem Befehl nicht mehr gehorchen. Das wäre für ihn das Debakel schlechthin.

derStandard.at: Wie gerechtfertigt ist die Angst der USA und Israels vor einer Islamisierung Ägyptens?

Fürtig: Ich glaube, das wird maßlos übertrieben. Die Muslimbruderschaft ist zwar die stärkste Oppositionskraft in Ägypten, muss aber als moderat bezeichnet werden. Sie hat offiziell der Gewalt zur Erreichung politischer Ziele abgeschworen. Die Bruderschaft ist zwar keine demokratische Kraft in sich, aber bereit, sich demokratischen Spielregeln zu beugen. Ich wage aber die Prognose, dass sie bei freien Wahlen keineswegs die absolute Mehrheit gewinnen wird.

Die Bruderschaft hat übrigens sehr geschickt verstanden, sich nicht gleich an die Spitze der Opposition zu stellen. Das hätte es der Regierung zu einfach gemacht, wieder mit der islamistischen Gefahr zu drohen und auch den Westen wieder ganz auf ihre Seite zu ziehen. Erst jetzt hat sie sich klar zur Opposition bekannt, um ihre Chancen nicht zu schmälern.

derStandard.at: Welchen Einfluss hat die USA auf die Geschehnisse?

Fürtig: Einen großen, davon kann man ausgehen. Die USA unterstützen das ägyptische Militär jährlich mit über einer Milliarde Dollar. Das ist eine enge Verbindung. Entsprechende Gespräche finden sicher statt. Und zwar im Sinne der Bewahrung der inneren ägyptischen Stabilität. Es könnte sein, dass die USA am Ende sagt, dass das nur ohne Mubarak möglich sein wird.

derStandard.at: Würden die USA Mubarak auch gegen die Bitte Israels fallen lassen, Mubarak zu unterstützen?

Fürtig: Israel fürchtet natürlich in allerersten Linie das Aufkommen islamistischer Kräfte. Das ist nachvollziehbar, aber Israel weiß auch genau, dass die Bruderschaft nicht mit Al Kaida zu vergleichen ist.

Die Frage ist, wie weit die Ereignisse, die ja in Tunesien ihren Ausgang genommen haben, auch noch auf andere Länder in Arabien auswirkt. Alle Autokratien im Nahen und Mittleren Osten stehen jetzt zur Disposition. Von Jemen über Jordanien bis nach Syrien: man muss sich hier auf einiges gefasst machen. (derStandard.at, 31.1.2011, Manuela Honsig-Erlenburg)