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"Die Helmpflicht für Kinder drückt dem Radfahren den Stempel einer gefährlichen Tätigkeit auf", sind sich die RadfahrerInnen-Interessensgemeinschaften einig.

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Zukünftig soll jede Gemeinde entscheiden, welche Straße von RadfahrerInnen benutzt werden darf und welche nicht.

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Die Begutachtungsfrist der 23. Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) und zur Förderung des Radverkehrs endet am Montag den 21. März. RadfahrerInnen-Interessensvertretungen üben Kritik.

Kein Dialog

Im Regierungsprogramm 2008 bis 2013 ist verankert, den Radverkehrsanteil in Österreich auf zehn Prozent zu verdoppeln. Unter anderem durch die Schaffung radverkehrsfreundlicher rechtlicher Rahmenbedingungen. Die Vorteile eines hohen Radverkehrsanteils liegen auf der Hand: Klimaschutz, Beitrag zur Gesundheit, höhere Verkehrssicherheit und Entlastung privater und öffentlicher Budgets. Vorausgeschickt: Obgleich sich VCÖ, IG-Fahrrad (IGF) oder auch das Institut für Verkehrswissenschaften der Technischen Universität Wien (bi.vw) seit Jahrzehnten intensiv mit dem Fahrrad auseinandersetzen und über aktuelle Studienergebnisse verfügen, wurde der Entwurf der 23. StVO-Novelle mit keiner der angeführten Institutionen im Vorfeld diskutiert.

Scheinbare Verbesserungen

IG-Fahrrad (IGF), Verkehrsclub Österreich (VCÖ) und die Radlobby ARGUS sind sich einig: Manche der von Bundesministerin Doris Bures präsentierten Verkehrssicherheitsmaßnahmen der StVO-Novelle bringen auf den ersten Blick Verbesserungen für RadfahrerInnen mit sich, wie etwa die flexible Benutzungspflicht für Radwege, ein allgemeines Rücksichtnahmegebot oder die Einrichtung von Fahrradstraßen. Doch bei genauerer Betrachtung ist der Wurm drin. Zu den Paragraphen, die für die RadfahrerInnen-Interessensvertretungen schlichtweg abzulehnen sind, zählen die Radhelmpflicht für Kinder bis zehn Jahre sowie die Umwidmung vorgezogener Aufstellbereiche an Kreuzungen vom Fahrrad- auf den Motorradverkehr.

"Große Chancen vertan"

Die Änderung der Benutzungspflicht für Radwege in eine flexible Benutzungspflicht für Radwege hat es in sich: Laut Gesetzesentwurf erscheint "eine grundsätzliche Aufhebung der Benützungspflicht nicht adäquat", womit man sich für "die Schaffung der Möglichkeit, einen nicht benützungspflichtigen Radweg festzulegen" entscheidet. Das bedeutet laut IGF und VCÖ neue kostenintensive Verkehrsschilder und keine bundesweite Regelung: Jede Gemeinde entscheidet für sich, welche Straße von RadfahrerInnen benutzt werden darf und welche nicht. "Beim Wegfall der Radwegbenutzungspflicht werden große Chancen vertan", sagt Alec Hager von der IGF, und weiter: "Radverkehr ist Verkehr und gehört auf die Straße." Ob das nicht Verkehrsbehinderungen und ein erhöhtes Unfallrisiko mit sich bringe? Hager orientiert sich am Safety in Numbers-Prinzip: Je mehr Radfahrer, umso sicherer wird der Verkehr." Deshalb plädieren die Vertreter der Fahrradlobbys eine einheitliche und verbindliche Aufhebung der Benützungspflicht.

"Vorgezogenen Haltelinien" nur noch für Motorräder

Unter bestimmten Voraussetzungen darf man mit einspurigen Fahrzeugen an stehenden Kolonnen vorbei fahren, um sich weiter vorne aufzustellen. In zahlreichen Städten Österreichs sind solche "vorgezogenen Haltelinien" für RadfahrerInnen schon Praxis. Nun soll nach einem Gespräch der Interessensvertretung für BikerInnen, Red Biker Wien, mit Verkehrsministerin Doris Bures laut §9 der StVO diese Möglichkeit "auf Motorräder eingeschränkt sein, weil diese schneller wegfahren können als mehrspurige Fahrzeuge, was bei Fahrrädern und Motorfahrrädern nicht gewährleistet ist."

Martin Blum vom VCÖ empfiehlt dringend, von der Idee Abstand zu nehmen. "Motorräder sind die Verkehrsmittel mit dem größten Risiko verletzt oder getötet zu werden. Es ist ein höherer Lärmpegel erlaubt als für Pkw und bezogen auf Gewicht und den Energieverbrauch sind sie die am wenigsten energieeffizienten Fahrzeuge im Straßenverkehr", weiß der Experte. Weshalb VCÖ und IGF eine Verankerung der existenten "Vorgezogenen Fahrrad-Haltefläche" in der StVO fordern.

Fahrradstraßenregelung nicht durchdacht

Die Verankerung von Fahrradstraßen in der Straßenverkehrsordnung wird von den Fahrrad-Interessensgemeinschaften ausdrücklich begrüßt. Aufgrund der geltenden Rechtslage seien sie allerdings zukünftig wenig attraktiv: Das Nebeneinander Fahren ist nicht gestattet, das Verlassen der Fahrradstraße geht an jeder Kreuzung trotz Rechtsregel mit Nachrang einher und die Ausnahmeregelungen für motorisierte Fahrzeuge enthält keine eigens geregelte Geschwindigkeitsbeschränkung. VCÖ und IGF fordern die Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung, ein Behinderungsverbot des Radverkehrs sowie eine Nebeneinderfahrerlaubnis.

Studie über Helmpflicht für Kinder "nicht haltbar"

Stein des Anstoßes ist die Einführung der Kinderhelmpflicht für unter Elfjährige. Die ARGUS bezeichnet sie als den "einzigen Punkt, den die Bundesministerin mit sichtbarer Eigeninitiative betreibt", als "populistisch und hinderlich für nachhaltige Mobilität." Die Forderung beruht auf einer Kurzstudie des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (Steiner et al. 2010). Das Institut für Verkehrswissenschaften der Technischen Universität Wien (bi.vw) prüfte die Studie mit folgendem Ergebnis: Die Aussage "bei 900 Kindern wären durch die Helmpflicht Kopfverletzungen vermeidbar", ist nicht haltbar, "weil die intransparente Abschätzung nicht methodisch abgesichert wird, auf verfälschten Grundlagen beruht und wichtige Kontrollen fehlen."

Ebenso hakt es bei den prognostizierten Einsparungen von 1,43 Millionen Euro, "weil keine Einsparung von Gesundheitskosten durch das Radfahren mit berücksichtigt ist." Darüber hinaus ergaben Untersuchungen des Verhaltens von PKW-FahrerInnen beim Überholen von Radfahrern in Großbritannien (Walker 2007), dass RadfahrerInnen mit Helm mit wesentlich weniger Abstand und somit risikoreicher überholt werden, als RadfahrerInnen ohne Helm.

"Besonders kontraproduktiv"

Laut VCÖ ist "eine Helmpflicht für Kinder kontraproduktiv". Martin Blum: "Weltweit konnte in keinem einzigen Staat mit Radhelmpflicht für Kinder eine positive Sicherheitswirkung gemessen oder nachgewiesen werden - auch nicht, was Kopfverletzungen betrifft." Das diesbezügliche Ergebnis der EU-Kommission lautet: "the research carried out until now produced contrastive results. At present is not possible to assess the impact of crash helmet use on road safety." VCÖ und IG sind sich einig: "Die Helmpflicht drückt Radfahren den Stempel einer gefährlichen Tätigkeit auf", was einem verkehrspsychologischen Fehlgriff gleich komme.

Studien, beispielsweise im British Medical Journal, zeigten, dass durch die Helmpflicht für Kinder der Radverkehrsanteil deutlich abgenommen habe - bis minus 50 Prozent. "Das ist besonders kontraproduktiv, weil der Gesundheitsnutzen durch die körperliche Bewegung beim Radfahren um das zwanzigfache höher ist als der Schaden durch das Unfallrisiko", weiß Blum.

Bemerkenswert ist, dass sich sogar die AutofahrerInnen-Clubs sowie die überwiegende Mehrheit der UnternehmerInnen aus der Fahrrad-Branche anschließen. Christian Pekar von der Cooperative Fahrrad: "Ich bin befugt dazu zu erklären, dass eine breite Mehrheit meiner Kollegen der gleichen Auffassung sind und der Maßnahme ablehnend gegenüberstehen." Es brauche keine Helmpflicht sondern eine kindergerechte Straßenverkehrsordnung.

Teufelskreis

Die Helmpflicht für Kinder soll auch am Kindersitz und in Anhängern gelten. "Es fahren sehr wenige Eltern mit Kindern am Rad zur Schule, weil es so gefährlich ist, weil so viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto in die Schule bringen", schildert Alec Hager einen Teufelskreis, den es zu durchbrechen gelte. Aber was sind die Lösungsansätze? "Radfahren - vor allem in der Stadt - muss positiv vermarktet werden", so VCÖ, IGF und bi.vw unisono, "in diesem Bereich würde es wirklich Sinn machen, viel Geld für eine Imagekampagne in die Hand zu nehmen und das Thema Radfahren so zu bearbeiten, dass man in eine Positivspirale gerät. Jeder solchermaßen investierte Euro kommt vierfach zurück." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 17.03.2011)