Portal 2 (Valve/EA) ist für Windows, Mac, PS3 und Xbox 360 erschienen

Foto: Valve
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Es ist eine wunderbare Analogie, dass "Portal" als eine Art Testlauf, kleines Projekt eines achtköpfigen Teams begann. Wie die von einem psychopathischen Computersystem festgehaltene, durch eine Serie von Mausefallen gejagte und ums Überleben denkende Protagonistin Chell selbst, war es alles andere als eine "gmate Wiesn", dass ein Rätselspiel im Egoshooter-Design von der Spielerschaft angenommen wird. Es war auf ganzer Ebene ein Erfolg: Selten überraschte und faszinierte in den vergangenen Jahren ein Werk wie dieses mehrdimensionale Labyrinth. Seit vergangener Woche gibt es ein zweites Game dieser Magnitude: "Portal 2".

In den Fängen der künstlichen Intelligenz

Die Fortsetzung kann als ausgefeilte Vision des Originals betrachtet werden - mit dem gleichen cleveren Fundament, aber mit ein wenig mehr "Umpf" und den Produktionsqualitäten eines Pixar-Streifens. In der Haut der Probantin Chell erwacht man einige Jahre nach der Zerstörung des feindlichen Supercomputers GLaDOS und einem künstlich hervorgerufenen Tiefschlaf in einem nicht mehr ganz taufrischen Hotelzimmer. Wachgerüttelt von einem tollpatschigen Gesellen in Form eines von der Decke hängenden übergroßen Roboterauges namens Wheatley, dauert es nicht lange, um die Wahrheit zu realisieren: Anstatt in Freiheit befindet man sich ein weiteres Mal in den Testlabors von Aperture Science und GLaDOS lebt. Gezeichnet vom Versuch der Zerstörung sind die clean gezeichneten Testkammern von Pflanzen durchwachsen und die durchgeschmolzenen Synapsen des alles kontrollierenden Systems machen Chell dafür verantwortlich.

Durch die Wand und aus dem Verstand

Beleidigt wie ein übermächtiger Bösewicht nur sein kann, muss man sich fortan den mit Fallen gespickten Rätselparcours der Versuchsanstalt stellen. Zwischen Selbstschussanlagen und toxischen Wasserbecken ist das Ziel immer gleich: Gelange lebend zum Ausgang. Ausgestattet mit einer "Portal Gun" wird dabei allerdings weniger das Koordinationsvermögen, als die räumliche Vorstellungskraft und der Intellekt gefordert. Um an schier unerreichbare Orte gelangen zu können, wirft man mit dem futuristischen Werkzeug auf Knopfdruck einen Eingang und einen Ausgang an die Wand. Damit kann praktisch jedes noch so ferne Fleckchen erreicht werden, das in Sichtweite ist. Um Schalter zu betätigen, gilt es Würfel zum Beschweren zu besorgen oder Laserstrahlen sprichwörtlich durch Raum und Zeit zu leiten. Im weiteren Verlauf komplizieren Sprungbretter sowie Lacke zur Beschleunigung und zur Federung die Aufgaben.

Geistig befriedigend

Wie ein Spielball im zynisch-verstörenden Schlagabtausch der Leitcharaktere merkt man herzhaft lachend und springend kaum, wie man stufenlos die Schwierigkeitsskala nach oben schnellt. Erst gegen Ende des rund sechs Stunden dauernden Ausbruchsversuchs laufen alle praktisch gelernten Möglichkeiten zusammen. Jede Testkammer weiß zu fordern, aber es dürfte wohl den unzähligen Eigenversuchen der Entwickler zu verdanken sein, dass keine der Problemstellungen einen frustrierenden Beigeschmack mit sich bringt. Jedes Mal aufs Neue fühlt man sich wie von einem Güterzug frontal erwischt, um nach einigen verunsicherten Schritten festzustellen, dass man nicht überrollt, sondern auf einen adrenalinbetriebenen Ritt geschnallt wurde. Durch die Lüfte von einem ins andere Portal fallend entdeckt man sich bereits im intellektuellen Vakuum wissend dann doch die Lösung.

Willkommen in der Unwirklichkeit

Begleitet von den köstlich abschätzigen Kommentaren eines außer Kontrolle geratenen Computersystems fühlt man sich nach Abschluss jeder Testkammer wie ein kleiner Nobelpreisträger. Komplettiert wird dieser Traum von einer makellos inszenierten Menschenfalle irgendwo in den Ausläufen des nach all den Jahren immer noch vor Charme strotzenden "Half-Life"-Universums. GLaDOS, Wheatley und alle weiteren Akteure - ob aus Blech oder Fleisch - wurden durch ebenso hervorragende Sprecher wie Skripten zum Leben erweckt. Die an allen Ecken strampelnden, klappernden, zwirbelnden Maschinen wurden mit einem Grad an Perfektion animiert, dass sie an liebenswerte Zeichentrick-Ikonen wie WALL-E erinnern. Die eiskalten, humorvollen Seitenhiebe GLaDOS und die verwirrten Monologe Wheatleys stehen zusammen mit den kinoreifen Dialogen der "Uncharted"-Serie an der Spitze der modernen Videospielerzählungen.

Zwei Gehirne sind besser als eines

Das wahre Potenzial "Portal 2"s hat man allerdings erst dann erkannt, wenn man zu zweit ins Labyrinth hinabgestiegen ist. Zwei Gehirne, vier Augen, vier Beine und vier Portale bedeuten auch ungleich kompliziertere Lösungswege. Abermals ist es der Qualitätsprüfung der Entwickler zu verdanken, dass das Zusammenspiel nicht mit dem gegenseitigen Einschlag der Schädel endet. Es ist erstaunlich belehrend, um wie viel schneller man vorankommt, wenn Probleme aus zwei Perspektiven betrachtet werden. Auf Story-Elemente wurde zwar en gros verzichtet, anstelle dessen erfreut man sich an den an "Dick und Doof" angelehnten Roboter-Protagonisten. Der Paarlauf ist sowohl über den geteilten Bildschirm, als auch online - im Idealfall mit Headset - erlaubt. Wegweisend ist die Verknüpfung von PC/Mac und Konsolenspielen durch die Integration des Spielenetzwerks STEAM in die PlayStation 3-Ausgabe. Will man dieses Feature nutzen, muss lediglich der PSN-Account mit STEAM verknüpft werden. Danach kann man auch außerhalb der PS3-Welt mit Spielern chatten, spielen und auch die virtuellen Trophäen, die Valve bereitstellt, erringen. Besser noch: Alle Käufer der PS3-Version erhalten die PC/Mac-Ausgabe kostenlos dazu. Durch die Online-Speicherfunktion kann man damit unabhängig von der Plattform etwa mal auf der Konsole, dann wieder auf dem Laptop weiterzocken. Und um den Glaubenskrieg erst gar nicht aufkeimen zu lassen: Kooperativ sind die Unterschiede in der Steuerungspräzision praktisch komplett vernachlässigbar. Bleibt zu hoffen, dass in Zukunft auch Microsoft sein Xbox Live-Netzwerk für derartige gelungene Experimente öffnet. STEAM auf der Konsole sollte Schule machen.

Fazit

Beim zweiten Anlauf zu überraschen, mag schwer möglich sein. Doch "Portal 2" beweist als eines von wenigen erlesenen Werken, dass es abseits des Mainstreams noch viele Perlen zu entdecken gibt. Gleichzeitig zeigen die Entwickler, dass Innovation nicht nur am Handy für 79 Cent aufgehen kann. Das ist ein waschechter Blockbuster, der umzingelt von Shooter-Zombies mit Puzzeln und nicht mit Action zu begeistert weiß. Valve hat sich lange Zeit gelassen, aber das geschafft, was nur wenigen in dieser Konsolengeneration gelungen ist: Die Spielewelt auf den Kopf zu stellen.

(Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 24.4.2011)

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