Anreise und Unterkunft:
Direktflug mit Austrian Airlines nach Eriwan mehrmals wöchentlich oder mit Aeroflot.

www.marriott.de oder Bed&Breakfast www.villadelenda.com; www.familycarearmenia.org

Grafik: DER STANDARD

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Über Eriwans Dächern thront der heilige Berg Ararat, das Nationalsymbol, das jedoch auf türkischem Boden steht. Kulinarisch hat man aber alles im Griff.

Foto: AP Photo/Photolur, Melik Baghdasaryan

Eriwan, fünf Uhr morgens. Die Frisur sitzt, der Verstand schläft noch. Darf er auch: In Wien ist es jetzt zwei Uhr früh. Die meisten europäischen Flugzeuge landen um diese Unzeit in Armeniens Hauptstadt. Das Erste, was einen hier also in Empfang nimmt, ist tiefschwarze Nacht. Das zweite sind beherzte Taxi- fahrer, die einen in der sonst kargen Ankunftshalle am Flughafen umschwirren. Die Autobahnen sind wie leergefegt um diese Zeit, selbst der zentrale Platz der Republik dämmert noch vor sich hin. Kein blubbernder Dieselmotor, kein schepperndes Radio. Nicht einmal ein Hahn will um diese Tageszeit krähen.

Eriwans Rhythmus schlägt einige Takte langsamer als der so manch anderer Hauptstadt. Noch einmal verschlafen geblinzelt, und die Stadt erwacht: Verdunkelte Mercedes-Limousinen konkurrieren mit quietschenden, russischen Bussen um die zwei Spuren des runden Platzes, die aufgehende Sonne bringt die goldroten Tuffstein-Gebäude zum Leuchten. Zweimal täglich kann man das kurze Schauspiel an den Fassaden er- leben.

Armenien präsentiert sich seinen Gästen im Schwebezustand. Zwischen kommunistischer Vergangenheit und Aufbruch, irgendwo tief verwurzelt im Christentum und doch orientalisch geprägt. Das kleine Land im Kaukasus mit der Größe von Belgien hat kein leichtes Los gezogen. Nur ein Drittel der rund zehn Millionen Armenier lebt noch im eigenen Land. Die jahrzehntelange Diaspora hat den Großteil über den Erdball verstreut.

Im Gegensatz zu den angrenzenden Ländern kann es weder mit Bodenschätzen noch mit Meerzugang punkten. Von den vier Nachbarländern liegt es mit der Hälfte im Clinch: Der jahrzehntelange Streit mit Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach schwelt vor sich hin, der Völkermord an den 1,5 Millionen Armeniern im Ersten Weltkrieg steht offenbar immer noch als unüberwindbare Hürde zwischen der Türkei und Armenien. Nur die Landesgrenzen zu Georgien und dem Iran sind passierbar, die Nachbarschaftsliebe ist mehr pragmatischer Natur.

Über Eriwans Dächern thront mit seinen 5137 Metern der heilige Berg Ararat. Sehnsuchtsvoll blicken die Armenier auf ihr Nationalsymbol - das jedoch auf türkischem Boden steht. Der Legende nach soll Noah mit seiner Arche auf den schneebedeckten Gipfeln gestrandet sein. Erst im April dieses Jahres wollen Forscher die Überreste des biblischen Schiffes entdeckt haben. Der verehrte Berg ist zugleich Namensspender für das zweite Nationalheiligtum: den armenischen Brandy. Der mundet auffallend gut im Malkhas Club in Eriwan, während man russischen Geschäftsmännern samt armenischer Begleitung zuprostet und sich vom Livejazz einlullen lässt. Die dicken Zigarren, die man zu später Stunde gereicht bekommt, runden das Keller- Erlebnis ab.

Das Nachtleben in der Hauptstadt kontrastiert mit den hunderten Klöstern, die über das gesamte Land verteilt sind. Ältere Gebetsstätten findet man kaum auf der Erde. Im Zickzackkurs geht es über das armenische Hochland, ins 50 Kilometer entfernte St. Geghardkloster. Aus dem Lautsprecher des Reisebusses tönt blechern Hotel California. Panflötenversion, Endlosschleife. Der Blick versucht Reihe um Reihe der vorbeigleitenden Marillenplantagen zu erfassen, ab und zu fliegen Schafe durchs Bild.

Am Eingang des oberen Azat-Tales steht es dann endlich, das armenisch-apostolische Kloster - schweigend, erhaben. Im Jahr 301 begannen Mönche, die Gebetsräume in die Felswände zu klopfen, verborgen im Schutz der Berge. Der Wind pfeift über die schroffen Felsen, die Katze des einzigen Mönches zerlegt schmatzend eine Taube, ein Gebirgsbach plätschert hinter den dicken Klostermauern. Mehr ist nicht zu hören.

In der nahegelegenen Ortschaft Garni steht ein hellenistischer Tempel auf einem Felsvorsprung. Tiridates I. hat ihn sich im ersten Jahrhundert errichten lassen. Ein paar Meter daneben zeugen noch Ruinen von der ehemaligen Festung armenischer Könige, die Überreste eines alten römischen Bades belegen eine weitere Epoche, die ihre Spuren hinterlassen hat. Aus hinter Büschen versteckten Lautsprechern dudelt leise Duduk-Musik. Überflüssig - die Mystik des Ortes erfasst die Besucher auch ohne armenische Flötenbeschallung beim ersten Anblick.

Spätestens wenn sich die folkloristischen Klänge als Titanic-Soundtrack entpuppen, ist man froh um das Stamperl Granatapfelwein, das einem die zwei Bäuerinnen am Parkplatz einflößen. Wortlos bieten sie an, was seit Jahrhunderten auf die gleiche Art und Weise hergestellt wird: getrocknete Marillen, aufgezogen an Bindfäden, Hefeteigfladen mit Frischkäse, Walnüsse in geliertem Sirup.

Die zahnlose Verkäuferin lächelt so unwiderstehlich, dass man gleich drei Stück der wurstartigen Nussstangen für die Fahrt zurück kauft. Sicher ist sicher.

Aber es ist nicht notwendig. In Armenien wird aufgetischt, dass sich die Balken biegen. Der Bürgermeister von Va-yots Dzor will die wenigen ausländischen Besucher, die sich so weit ins Landesinnere wagen, persönlich empfangen und verköstigen. In einem überdimensionalen Wirtshaus im Tal kommt die gesamte Regierungsmannschaft des Dorfes zusammen. Ohne einer gemeinsamen Sprache mächtig zu sein, wird mampfend kommuniziert, bis zu den drapierten Wodkaflaschen auch wirklich alles geleert ist, was aus der Küche kommt: Tomaten- und Gurkensalat, Humus mit Koriander, gefüllte Weinblätter, Reis mit Huhn, Fladenbrote, in die man Ziegenkäse und frische Kräuter einwickelt. (Julia Herrnböck/DER STANDARD/Printausgabe/13.05.2011)