Walter Dorner: "Ein Finanzlandesrat sagt nur: Die haben ein Batzen-Defizit, das Krankenhaus sperren wir zu."

Foto: STANDARD\Cremer

Alois Stöger: "Derzeit ist der Spitalsbereich so kompliziert geregelt, dass er de facto nicht geregelt ist."

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STANDARD: Das Gesundheitssystem gilt als Paradebeispiel für die chronische Unreformierbarkeit Österreichs. Warum ist dieser Bereich so besonders zäh?

Stöger: Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Aber natürlich muss man auch dieses System weiterentwickeln. Daher habe ich nach dem erfolgreichen Kassensanierungspaket nun die Diskussion zur Spitalsreform begonnen.

STANDARD: Sehen Sie das auch so optimistisch wie der Minister?

Dorner: Ein Minister muss optimistisch sein. Die primäre Frage jeder Reform ist: Was kann ich für den Patienten tun? Die zweite Frage ist die der Finanzierung, die darf man aber nicht überbewerten. Ich weiß auch nicht, warum man sich an der Gesundheit so festkrallt. Es gäbe so viele Reformbereiche in dieser Republik, die viel wichtiger sind. Ich stimme dem Minister zu, dass wir ein gutes System haben. Aber jeder will die beste Reform machen, und durch diese wahnsinnige Drängerei ist das gemeinsame Vorgehen gefährdet.

STANDARD: Sie haben kürzlich sogar gefordert, den Hauptverband abzuschaffen.

Dorner: Das war natürlich eine sehr provokante Aussage, aber ganz bewusst gemacht. Das Zusammenwirken bringt uns etwas, aber nicht ein apodiktisches Dekret (der "Masterplan Gesundheit" des Hauptverbandes, Anm.). Wir sind Partner, wir haben ja auch Verträge - und dann wird man nicht einmal zu Gesprächen eingeladen, sondern es wird an die Öffentlichkeit getragen: Wir wollen die absolute Macht. Aber mittlerweile hat sich das wieder beruhigt, wir sind wieder in Gesprächen.

STANDARD: In Österreich werden 10,5 Prozent des BIPs für Gesundheit ausgegeben, das ist über dem EU-Schnitt, ebenso wie die Lebenserwartung. Die Zahl der gesunden Jahre liegt hingegen drei Jahre unter dem Durchschnitt. Wo ist da der Systemfehler?

Stöger: Da geht es um Rahmenbedingungen wie das Arbeitsumfeld, soziale Lage oder Lebensstil - das macht viel aus. Daher habe ich etwa den nationalen Aktionsplan Ernährung entwickelt. Außerdem gelingt es zunehmend, die betriebliche Gesundheitsförderung zu stärken.

Dorner: Das Thema Prävention ist trotz aller Bemühungen ein Stiefkind. Ein blendendes Beispiel ist das Rauchen in Österreich. Das ist ein Wahnsinn, da schwellen mir die Zornesadern. Die Menschen sind unzufrieden, aber auch die Gastronomie. Da muss sich der Minister noch einmal etwas überlegen. Ich will nicht sagen, er ist säumig - er ist zu gutmütig. Ich wäre da viel radikaler.

Stöger: Ich bin da sehr radikal, weil ich ganz klar sage, die Gesetze sind einzuhalten, die Bezirkshauptmannschaften haben die Aufgabe, zu prüfen. Man kann immer über die Geschwindigkeit der Entwicklung streiten, aber der Gesetzgeber sagt nun erstmals, dass das Nichtrauchen normal ist und dass die Raucher Rücksicht zu nehmen haben.

STANDARD: Andernorts ist es längst selbstverständlich, dass in Lokalen gar nicht geraucht wird. Warum kann sich Österreich nicht dazu durchringen?

Stöger: Ich freue mich über jedes Gasthaus, das zum Nichtraucherlokal wird. Dadurch steigt auch die Qualität der Gaststätten.

Dorner: Aber mit der aktuellen Regelung öffnet man der typisch österreichischen Mentalität Tür und Tor - dem Schlendrian.

STANDARD: Ist das aktuelle Gesetz der Weisheit letzter Schluss?

Stöger: Der Weisheit letzter Schluss wäre es, wenn die Menschen nicht mehr rauchen. Wir stehen da in einem Spannungsverhältnis zwischen der Freiheit der Menschen und staatlicher Anordnung. Wir müssen die Herzen und Köpfe Menschen erreichen, da ist schon viel geschehen. Wir wissen zum Beispiel, dass die Menschen weniger in ihren Wohnungen rauchen, das ist schon gut, dann rauchen Kinder weniger mit.

STANDARD: Zur Spitalsreform: Wie wollen Sie es schaffen, statt der neun Ländergesetze ein Krankenanstaltengesetz durchzusetzen?

Stöger: Das ist eine wichtige Herausforderung, der ich mich gerne und mit Überzeugung stelle. Ich will, dass die Landesregierungen entscheiden, wie das konkrete Versorgungsgeschehen aussieht, aber dass es österreichweit gemeinsame Vereinbarungen und Parameter dafür gibt. Auch die Veränderungen in der Medizin müssen sich abbilden. Ein Beispiel: Die Dauer der Anwesenheit in einem Krankenhaus hat sich massiv reduziert - zum Nutzen der Patienten. Gleichzeitig sind manche Menschen nachher nicht versorgt. Es geht auch darum, die Schnittstellen zum Sozialsystem zu stärken.

STANDARD: Ist der Abbau der Akutbetten, bei denen Österreich über dem EU-Schnitt liegt, ein Ziel?

Stöger: Was sagt ein Bett aus? Gar nichts. Man muss immer schauen: Was brauchen die Patienten vor Ort, wo sind die Stärken eines Krankenhausstandortes, und wo kann man sich von etwas trennen?

Dorner: Für mich hat die Spitalsreform derzeit noch sehr unscharfe Konturen. Ich bin in einem Punkt beim Minister: Dass die Spitalsreform patientenorientiert zu geschehen hat und nicht finanzorientiert. Ein Finanzlandesrat schaut nicht darauf, welche Leistungen in den Spitälern erbracht werden, der sagt nur: Die haben ein Batzen-Defizit, das sperren wir zu. Der denkt nicht daran, dass die Bevölkerung auch eine Nahversorgung braucht. Dann kommt der Bürgermeister von irgendwo und sagt zum Landesrat: Bei mir geht das nicht, du musst an das und das denken. Eigentlich wollen die Länder ja alles haben, sie wollen noch mehr föderalisieren, sie wollen das Geld vom Bund und von den Krankenkassen, und dann entscheiden, was sie damit machen. Das ist Verstaatlichung, auch wenn es die Länder machen.

STANDARD: Wie erklären Sie den Ländern, dass sie Kapazitäten zurückfahren müssen?

Stöger: Es geht darum, im Spitalsbereich Planung und Steuerung in eine gemeinsame Verantwortung zu legen. Derzeit ist das nicht der Fall. 65 Prozent zahlt der Bund, die Länder entscheiden aber zu 100 Prozent über das Geld, obwohl sie nur einen Anteil von 20 bis 25 Prozent im eigenen Budget spüren. Das funktioniert nicht. Die Versorgungsstruktur ist außerdem ländergrenzenüberschreitend sicherzustellen. Dass Machtfragen auch eine Rolle spielen, ist klar. Aber es braucht neue Entscheidungsstrukturen. Derzeit ist der Spitalsbereich so kompliziert geregelt, dass er de facto nicht geregelt ist.

STANDARD: E-Health wird in Österreich nur "unzureichend und zögerlich eingesetzt", kritisiert das Wifo in einem aktuellen Papier.

Stöger: Das Wifo soll sich das einmal europaweit anschauen. Wir sind da sehr, sehr weit. Wir haben für alle Menschen die E-Card, der nächste Schritt ist die E-Medikation. Damit kann es gelingen, die Qualität der Verschreibung zu verbessern. Wir wissen, dass oft zu viel verschrieben wird, und wir brauchen in Zukunft Ärzte, die da den Überblick haben. Das System wird jetzt in Pilotprojekten getestet. Gesundheitsdaten brauchen aber einen hohen Datenschutz, da bin ich sehr sensibel. Der Patient muss alles kontrollieren können.

Dorner: Ich sehe das differenzierter. Die Idee ist nicht schlecht, die E-Medikation ist wichtig, dazu bekennen wir uns. Aber das Problem liegt im Detail. 70 Prozent der Patienten wollen das gar nicht. Und die EDV-Firmen wollen nur ein Geschäft daraus machen, denen hängt schon die Zunge bis zum Boden. Es gibt Hindernisse, weil die Industrie so gierig ist und nicht in Ruhe entwickeln lässt.

Stöger: Bei einer Neueinführung spielen sicher viele Interessen eine Rolle. Wir geben genug Geld für EDV aus, dass man erwarten kann, dass gute Dienstleistung angeboten wird. Das wird noch ein wenig ein Kampf, aber so ist es.

STANDARD: Was soll die E-Card in zehn Jahren können?

Dorner: Für uns ist klar, dass auf die E-Card wesentlich mehr Dinge draufsollen als bisher, Notfalldaten, Allergien oder Impfungen. Ich halte nichts davon, dass man sie zur Bürgerkarte macht.

Stöger: Die E-Card soll die Schlüsselkarte für den Zugang zum elektronischen Gesundheitsakt sein. Man könnte auch Laborbefunde oder Elemente des Mutter-Kind-Passes darauf abbilden.

"Im Spannungsverhältnis zwischen der Freiheit der Menschen und staatlicher Anordnung" sieht Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) die Raucher-Debatte. Ärztekammer-Präsident Walter Dorner wäre in dieser Frage "viel radikaler". (Andreas Heigl, STANDARD-Printausgabe, 24.5.2011)