In den gegenwärtigen Scharmützeln über Griechenland, den Euro und die Zukunft der EU, wie sie in Fernsehen, Radio und Druckmedien ausgetragen werden, haben sich drei Positionen herausgeschält.

Die eine neonationalistische wird etwa durch die schrille Stimme des FP-Europaabgeordneten Andreas Mölzer vertreten. Diese Position suggeriert, dass uns die Entsolidarisierung mit den ärmeren EU-Ländern ökonomische Vorteile bringen würde. Ich bin kein Ökonom, aber die Argumente des glaubwürdigen ökonomischen Sachverstandes, der eindringlich vor einem solchen Schritt warnt, erscheinen triftig. Ganz abgesehen von den katastrophalen Folgen bedeutete die Aufkündigung von Hilfe das Ende eines integrierten Europas.

Die zweite, hochoffizielle, krankt daran, dass sie halbherzig und defensiv ist. Sie operiert mit der schlichten Halbwahrheit, dass Länder wie Griechenland, Portugal oder Irland schlecht gewirtschaftet haben und endlich ihre Hausaufgaben machen müssen. Die zugesagte Hilfe wird überwiegend ökonomisch gerechtfertigt, nicht aber politisch. Die österreichische Regierung sagt ihren Bürgern nicht, dass es um die politische Zukunft Europas geht und dass das Scheitern dieses Projektes ein politischer Super-GAU wäre, den niemand wirklich wollen kann, schon gar nicht reiche kleine Staaten wie Österreich.

Das Problem mit Attac

Die dritte Position wird in Österreich vor allem von Attac vertreten. Sie klingt auf den ersten Blick vernünftig-kritisch, vor allem in Hinblick auf die sozialen Probleme der Jugend etwa in Spanien und Italien. In ihrer Konsequenz aber ist sie womöglich noch katastrophaler als die bösen Vorschläge der Rechtspopulisten.

Die Anti-Globalisten in Athen, Madrid und Wien schieben alle Schuld auf den globalen Kapitalismus, auf die EU und die Spekulanten. Dieses Unbehagen ist nicht unberechtigt. Absurd wird eine solche Kritik indes, wenn die Demokratie ganz pauschal gegen den Markt verteidigt oder die Finanzhilfen für Griechenland und andere Länder mit vermeintlich edlen antikapitalistischen Motiven denunziert und zugleich die Menschen in diesen Ländern angestachelt werden, die Sparprogramme nicht aufzuweichen, sondern pauschal zu vereiteln. Wenn es einen Fehler der EU gegeben hat, dann bestand der in der verzögerten Finanzhilfe. Das opportunistische Zappeln Angela Merkels vor einem Jahr, Griechenland zu unterstützen, hat die Finanzkrise verschärft und die Bonität der schwächeren europäischen Volkswirtschaften untergraben.

Logik des Transfers

Was entgegen der Rhetoriken von ganz rechts und weit links notwendig wäre, ist eine sichtbare politische Solidarität, die durchaus egoistisch ist. Denn die ökonomische Krise in einigen südlichen Ländern ist eben nicht nur das Ergebnis von Misswirtschaft und nicht nur das Resultat von Spekulanten, sondern ist auch dem Umstand geschuldet, dass diese Ökonomien ein Gefälle aufweisen, das sich auf absehbare Zeit nicht ändern wird und die Logik des Transfers notwendig macht.

Das gilt innerhalb von Nationalstaaten, etwa in Belgien, in Deutschland, Spanien, aber auch in Österreich ebenso wie im europäischen Verbund. Ob die Menschen in den reicheren Ländern dazu bereit sind, ihre Stimme für eine solche Politik zu geben, zu der es nicht wirklich eine Alternative gibt, wird zum zentralen Problem. Und sie werden das nur tun, wenn sich mit Europa das Gefühl eines vorteilhaften Wir verbindet.

Die Einführung des Euro war - und dies nicht klar zu sehen und zu formulieren, war ein Kardinalfehler - mehr als eine ökonomische Entscheidung. Sie hat aus der Europäischen Union einen politischen Gesamtkomplex gemacht, der mehr ist als ein halbwegs integrierter Markt, eine lose Assoziation von Nationalstaaten oder eine europäische Filiale der Uno. Ironischerweise sind es die ökonomischen Herausforderungen der Union, die die Verantwortlichen zwingen, Farbe zu bekennen, dass wir uns längst in einem Zug befinden, der im positiven Fall zu einer stärkeren politischen Integration führt. Zu ihm gehört auch eine gemeinsame Sozial- und Finanzpolitik.

Lange Zeit war dabei die bundesdeutsche Regierung die Lokführerin. Merkels Politik macht deutlich, dass diese Stelle verwaist ist. Aber es gibt doch - Prinzip Hoffnung - ein Europäisches Parlament und eine Europäische Kommission.

Um selbst ökonomisch zu überleben und Europa einen gewissen Widerhall in der Welt zu verschaffen, bleibt Europas Regierungen und Bürgern nichts anderes übrig, als die Integration zu beschleunigen - gegen die Halbherzigkeiten der Nationalpolitiker mit ihren diversen Populismen, die niemals die politische Verantwortung für ihre Vorschläge übernehmen können und die selbst hoffen müssen, sie niemals in die Tat umzusetzen. Die unterlassenen Hilfeleistun-gen von heute würden wie ein Bumerang auf uns zurückkommen.

In gewisser Weise ist uns Griechenland, ob es uns gefällt oder nicht, faktisch so nahe geworden wie Kärnten oder das Burgenland. Wir brauchen heute mehr Europa mehr denn je, politisch und symbolisch.

Wolfgang Müller-Funk, Jg. 1952, Kulturphilosoph und Essayist, lehrt derzeit am Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Wien. (Wolfgang Müller-Funk, Kommentar der anderen, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 27.5.2011)