Im Standard vom 4./5. Juni hatte ich das Konzept eines Europäischen Währungsfonds (EWF) skizziert: Er sollte die Anleihezinsen auf einem Niveau unterhalb der nominellen Wachstumsrate stabilisieren und durch Ausgabe von Eurobonds eine gemeinschaftliche Finanzierung der Eurostaaten ermöglichen. Die Vergabe der Mittel soll an klare Richtlinien gebunden werden.

Peter Rosner (Standard, 7. 6.) hält dies für eine Gefährdung der Demokratie: Niedrige Zinsen würden "das Begehren der Staaten an solchen Krediten steigen lassen." Dann aber würde der EWF die Kreditvergabe von Bedingungen abhängig machen und so direkt in die Gestaltung der Staatsausgaben und der Steuern eines Eurolandes eingreifen.

Die Gefahr besteht, wenn der EWF als Rettungs- und Disziplinierungseinrichtung konzipiert wäre. Genau das kann aber verhindert werden, wenn er, wie ich schrieb, Teil einer Politik ist, welche "die zwischen der Real- und Finanzwirtschaft vermittelnden Preise (im Raum: Wechselkurs, in der Zeit: Zinssatz) stabilisiert (...). Denn die Aktivitäten auf den Finanzmärkten produzieren Preise, die in nahezu grotesker Weise von den Fundamentalgleichgewichten abweichen." Die jetzige Politik stellt somit die eigentliche Gefahr für die Demokratie dar, weil die Kombination aus untragbar hohem Ziniveau und Sparpolitik die Existenzbedingungen von immer mehr Menschen (von Griechenland bis Portugal) verschlechtert) - Nährboden für Antidemokraten seit je.

Es muss also ein anderer Weg gefunden werden, dazu bedarf es einer systemischen Diagnose des Schuldenproblems. Meine lautet: Liegt der Zinssatz über der (nominellen) Wachstumsrate des BIPs, so ist eine nachhaltige Konsolidierung der Staatsfinanzen im Euroraum unmöglich.

Tatsächlich ist dies im Euroraum seit 30 Jahren der Fall. Unter dieser Bedingung darf jeder Schuldnersektor nur weniger Kredite aufnehmen als er an Zinsen für die bestehenden Verbindlichkeiten zu zahlen hat ("Primärüberschuss"). Daher forderten die Ökonomen: Der Staat muss sparen und so einen Primärüberschuss erreichen.

Leider hat die Wissenschaft übersehen, dass diese Budgetbeschränkung auch für den Unternehmenssektor gilt, und der ist viel wichtiger als der Staat. Folge: Die Unternehmer reduzierten ab Anfang der 1980er-Jahre ihre Kreditaufnahmen und Realinvestitionen nachhaltig, dies dämpfte das Wirtschaftswachstum markant und ließ Arbeitslosigkeit und Staatsschuld steigen.

Die privaten Haushalte erwirtschaften permanent Primärüberschüsse: Sie sparen im Durchschnitt mehr, als sie an Zinserträgen einnehmen (auch ein Teil des Gewinn- und Lohneinkommens wird auf die Seite gelegt).

Da die Summe aller Primärbilanzen null beträgt, kann eine Budgetkonsolidierung nur in Ländern mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen gelingen (das Ausland als vierter Sektor hat dann das Primärdefizit). Für den Euroraum bedeutet dies: Da alle "Problemländer" auch Defizite in der Leistungsbilanz aufweisen, ist eine Konsolidierung durch Sparen unmöglich, solange der Zinssatz über der Wachstumsrate liegt. Unter dieser Bedingung spart man bis zum Umfallen. Gegen die Zinseszinsmechanik nutzt Sparen nix.

Fazit: Das positive Zins-Wachstums-Differenzial stellt die systemische Hauptursache der Staatsschuldendynamik dar. Die US-Politik berücksichtigt dies: Seit Anfang der 1990er-Jahre wird das Zinsniveau unter die Wachstumsrate "gedrückt", zusätzlich hält die Notenbank den Anleihezins durch Ankauf von Staatspapieren niedrig ("quantitative easing").

Genau dies ist auch der Hauptzweck des EWF-Vorschlags: die Zinsen auf niedrigem Niveau zu stabilisieren.

Die These von Peter Rosner, dass dann die Schuldnerländer noch mehr Kredite begehren würden, halte ich für grundfalsch. Gelingt es nämlich, das Gewinnstreben durch niedrigere Finanzierungskosten (und andere begleitende Maßnahmen) wieder auf die Realwirtschaft zu fokussieren, so wird ein höheres Wirtschaftswachstum Budgetdefizite und Staatsschuld senken. - Die Sorgen von Peter Rosner würden sich so auflösen lassen. (Kommentar der anderen, Stephan Schulmeister, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.6.2011)