"Los Santos Inocentes" aus Bogotá im Brut.

Foto: Mauricio Esguerra

Wien - Der kolumbianische Videokünstler Carlos Motta präsentiert derzeit auf Einladung der Wiener Festwochen zwei Videoinstallationen zum Thema Demokratie. Auf 13 Monitoren wird sein Projekt La Buena Vida gezeigt, das ein politisches Stimmungsbild aus zwölf südamerikanischen Städten einfängt: Zwischen 2005 und 2008 hat Motta 400 Interviews mit Menschen aller Bevölkerungsschichten geführt, sie zur Demokratie im eigenen Land und der US-amerikanischen Außenpolitik befragt.

Im Nebenraum ist seine Installation Six Acts: An Experiment in Narrative Justice zu sehen. Auf öffentlichen Plätzen der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá ließ Motta sechs Darsteller Friedensansprachen verlesen, die politische Führer Kolumbiens zwischen 1903 und den 1990er-Jahren gehalten haben. Die englisch untertitelte Installation thematisiert die systematische Eliminierung politischer Stimmen: Alle zitierten Politiker wurden wegen ihrer ideologischen Einstellung ermordet.

Mit den Themen Politik, Gewalt und dem Land Kolumbien beschäftigt sich auch das kolumbische Mapa Teatro: Seine Doku-Performance Los Santos Inocentes / Das Fest der Unschuldigen Kinder ist im Brut im Künstlerhaus zu sehen.

Den Kern des Stücks bildet das titelgebende Fest, das jährlich am 28. Dezember in Gedenken an den Kindermord von Bethlehem gefeiert wird. In der Stadt Guapí, der afrokolumbianischen Diaspora, wird der Tag in merkwürdiger Weise zelebriert: Männer verkleiden sich als Frauen, setzen Plastik-Horrormasken auf und streifen mit Peitschen bewaffnet durch die Stadt. Alle Unmaskierten, die sich an diesem Tag auf die Straße trauen, werden damit geschlagen. Das Ritual erinnert einerseits an die Sklavenzeit, andererseits scheint es aber auch als Katalysator für die Gewalt zu dienen, die die Bevölkerung erleiden muss, seitdem die Region von Drogenkartellen, Guerillas und Paramilitärs umkämpft wird.

Heidi und Rolf Abderhalden (Text und Inszenierung) versuchen diese Verbindung in ihrem Stück herauszuarbeiten. Die Bühne (Rolf Abderhalden, Santiago Sepúlveda), die für eine Geburtstagsfeier der Hauptdarstellerin Heidi Abderhalden geschmückt ist, dient als Ausgangspunkt des Berichts einer 2009 realisierten Reise nach Guapí. Unterstützt wird die Erzählung von einer Videodokumentation der Reise, die auf eine Leinwand projiziert wird. Langsam baut sich eine bedrohliche Spannung auf, bis eine lange Filmsequenz das befremdliche Peitschenritual zeigt. Dazwischen schiebt sich mit den Mordgeständnissen eines verhafteten Paramilitärs immer stärker die Atmosphäre von Gewalt, die auf der Bühne von fünf Darstellern in Performance-Akten, begleitet von eindringlichen Toneffekten, widergespiegelt wird.

Peitschen knallen

Seine besondere Kraft schöpft Los Santos Inocentes vor allem aus der fesselnden Mischung von Erzählung, Film, Performance und Livemusik. Wer dramatisch aufbereitetes Wissen über Kolumbien erwartet, wird enttäuscht sein. Das Mapa Teatro will keine intellektuelle Geschichte erzählen, sondern eine emotionale Situation herausarbeiten.

Wenn Julian Díaz mit einer Peitsche auf den Bühnenboden eindrischt, erschreckt das laute Knallen das Publikum zunächst. Doch die bittere Anstrengung, mit der er trotz wachsender Erschöpfung weiterschlägt, wird zu einem Kommentar der Mordgeständnisse des Paramilitärs, die anschließend über den Bildschirm laufen: Die Peitschenschläge werden zu einem nonverbalen Aufschrei gegen die politische Gewalt. "Unser Stück soll ein Gefühl provozieren, es soll Denken durch Erfahrung erzeugen", sagt Rolf Abderhalden. Dieser Plan ist vollständig aufgegangen. (Sabina Zeithammer, DER STANDARD - Printausgabe, 10. Juni 2011)