Das Argument des Ökonomen Peter Rosner, dass durch niedrige Zinsen "das Begehren der Staaten an solchen Krediten steigen" würde (Standard, 8. 6.), ist natürlich richtig und längst bestätigt. Denn genau diese Entwicklung konnten wir bei Einführung des Euro und vor der Krise beobachten: Die Zinsaufschläge für Anleihen der heutigen PIGS-Staaten sanken, von beinahe einem Renditeniveau wie heute kommend auf einige wenige Basispunkte zusammen, mit eben jenen Folgen, die Rosner für das Schulmeister-Modell (Standard 4. und 9. 6.) beschreibt.

Ebenso widerspricht Schulmeister seinen eigenen Thesen: Wenn tatsächlich das Zins-Wachstums-Differenzial allein ausschlaggebend für den Anstieg der Staatsverschuldung wäre, und das laut Schulmeister in den USA seit Anfang der 90er-Jahre nicht mehr existiert, warum sind dann die Staatsschulden der USA regelrecht explodiert, und das schon vor der Finanzkrise, bzw. warum steigen sie weiter? - Wir kennen die Antworten (Golfkrieg I, Afghanistankrieg 2, Platzen der Internet-Bubble, ...), mit dem "Zins-Wachstums-Differenzial" besteht allerdings kein Zusammenhang. Auch Japan praktiziert seit ziemlich genau zwei Jahrzehnten eine Nullzinspolitik, ohne dass dadurch die Staatsverschuldung reduziert werden konnte - ganz im Gegenteil.

Schulmeister geht auch von falschen Grundlagen aus. Es ist unredlich, das nominelle Zinsniveau mit dem realen Wirtschaftswachstum zu vergleichen. Würde er hingegen das reale Zinsniveau heranziehen, das für diese Betrachtung relevant wäre, dann würde er erkennen, dass wir derzeit auch in der Eurozone negative Realzinsen sehen, sowohl in Bezug auf die Leitzinsen, also auch bei den Staatsanleihen der Nichtproblemländer (also zum Beispiel Deutschland oder Österreich). Dennoch steigen die Staatsschulden weiter, in Schulmeisters Welt nicht vorstellbar, in der realen allerdings schon.

Ein weiteres praktisches Problem der Schulmeister'schen "Theorie" ist auch die Frage, welches Wachstum für die Festsetzung des "richtigen" Zinssatzes relevant ist: das durchschnittliche Wachstum der Eurozone (1, 6 %), der höchste Wert (Estland 4,9 %), der niedrigste Wert (Griechenland -3,5 %), das Wachstum des größten Landes (Deutschland 2,6 Prozent), der Wert für 2011, 2012, 2015 oder 2020, oder doch das (un)gewichtete arithmetische, geometrische Mittel/Median? Egal, denn wenn die Schulmeister'sche Theorie richtig wäre, für Griechenland wäre ohnehin jeder positive Zinssatz zu hoch.

Und mittels welcher ökonomisch glaubwürdigen Theorie lässt es sich rechtfertigen, dass Gläubiger für das Risiko eines Staates mit 7 % Staatsverschuldung (Estland) und eines Staates mit 143 % Staatsverschuldung (Griechenland) eine identische Prämie erhalten sollen?

Fazit: Schulmeisters Ausführungen sind weder theoretisch kohärent noch empirisch belastbar, ein ernsthafter Diskurs darüber ist ähnlich müßig wie die Auseinandersetzung mit der Behauptung der "Kreationisten", dass die Erde erst 6000 Jahre alt wäre. (Kommentar der anderen, Markus Fichtinger, DER STANDARD, Printausgabe, 15.6.2011)