Fotos: E. Nguyen, Gilles Martin Raget
Fotos: E. Nguyen, Gilles Martin Raget
Fotos: E. Nguyen, Gilles Martin Raget
Fotos: E. Nguyen, Gilles Martin Raget
Fotos: E. Nguyen, Gilles Martin Raget

Der bärtige Wuschelkopf Giovanni Barbiere würde mit einer dicken Zigarette zwischen den Lippen auch gut nach Jamaika passen. Anstatt aber dort die Steel-Drums zu bearbeiten, pickt der Seemann emsig wie ein hungriges Hühnchen mit zwei Fingern Reiskörner vom Teakdeck einer pechschwarzen Wally-Segelyacht, die ein gut gelauntes himmlisches Kind vor sich her bläst. Einem Besucher war die Lunchbox nach einer Windböe an Bord der Tango entkommen. Ist das letzte Korn gepickt, rückt Barbiere mit einem Spray an, der normalerweise Flecken auf Textilien entfernt. Behutsam besprüht er das kleine Malheur, das den Seemann nervös auf Trab hält.

"Das ist der beste Spray für diese Angelegenheiten", weiß der Bursche aus Rimini, ehe er barfüßig und flink wie ein Äffchen unter Deck verschwindet. Im Hintergrund leuchten in den Farbtönen von Mango-, Brombeer- und Pistazieneis die Häuser von Portofino, die wie Zündholzschachteln nach der Bastelstunde aneinanderpicken. Malerisch würde man schreiben, würde dieser Begriff nicht garantiert auf jeder Postkarte zu finden sein, die hier in dem kleinen roten Briefkasten zwischen Fischerkahn und Louis-Vuitton- Boutique verschwindet. Dass Portofino das St. Tropez Italiens sei, ist übrigens ein grober Fehlvergleich. Will man die beiden Hüpfburgen für Multimillionäre unbedingt gegenüberstellen, gleicht Portofino einem Punschtörtchen, während St. Tropez eher als Schwarzwälder Kirschtorte durchgeht.

Schinakel aus der Denkfabrik

Giovanni Barbiere hat andere Sorgen. Während er unter Deck weiter saubermacht, steht am Steuer der 25 Meter langen Tango der italienische Spitzensegler Francesco de Angelis, der im Jahre 2000 als erster Italiener den Louis Vuitton Cup gewann. Er grinst und hat Freude an der Arbeit, denn die Tango mit ihrem Karbonrumpf, ihrem 36 Meter hohen Mast und ihren gut 800 Quadratmetern Segelfläche gehört zur exklusiven Clique der Wally-Yachten. Wally, das ist der reziproke Begriff zu Schinakel und bezeichnet Schiffe, deren Entwürfe seit den 1990er-Jahren das Yachtdesign im Top-Segment revolutionierten. 1994 war es, als Luca Bassani Antivari (siehe Interview Seite 14), Sprössling eines Elektroimperiums und mehrfacher Segelchampion, in Monte Carlo das Unternehmen gründete.

Es handelte sich dabei allerdings um keine weitere Werft für Luxusyachten. Bassani schwebte eine Denkfabrik in Sachen modernen Schiffbaus vor. Dem Italiener ging es darum, große, luxuriöse Yachten zu bauen, die möglichst schnell, komfortabel und einfach zu handhaben sind, freilich unterstützt von allen Stückerln, die die moderne Technik zu bieten hat. An Bord der Tango heißt das unter anderem: keine herumliegenden Leinen, keine Beschläge und die Großschot, so schwarz wie der Rumpf der Yacht, verschwindet wie eine Schlange in einem von Chrom umrandetem Loch.

Man sucht irgend etwas, kann aber nichts finden. Sie scheint so einfach und nackig wie die Oberfläche eines Wals. Vor dem Steuerrad gibt es ein kleines Panel, über das sich fast alles an Bord steuern lässt. "Ist wie bei einer Playstation", sagt De Angelis und freut sich wie ein Bub, der gerade den Highscore eines Computerspiels geknackt hat. Für Boote dieser Größenordnung waren früher gut zehn Leute Crew nötig. Segelt man eine Wally zum Spaß, reichen zwei bis drei Segler.

In Schiffsform gebrachte Haikus

Auf altehrwürdige Traditionen wird bei Wally gepfiffen. Schnickschnack sucht man hier ebenso vergebens wie die paar Reiskörner aus der Lunchbox. Das Kernstück der Firmenphilosophie lautet: reduzieren, was das Zeug hält - und - Speed. Viel zitiert sind Bassanis Worte: "Wer den Yachtsport liebt, will nicht am Whirlpool dösen, sondern übers Wasser düsen." Die gründlich ausbaldowerte Technik der schwimmenden Boliden spielt sich irgendwo im Rumpf der Yacht ab, die im Vergleich zu anderen Segelbooten wie ein in Schiffsform gebrachtes Haiku aussieht. Dabei kann eine Wally ein fliegengewichtiger Superrenner, aber auch eine fundamentale Langstreckenyacht sein. Der Name Wally geht übrigens auf die Comicserie "Wally Gator" und einen Alligator zurück.

Ein gutes Dutzend Wallys hat sich im Mai zum Nespresso-Cup in Portofino eingefunden. Das Event kommt einem Treffen von Business-Tycoons und Starseglern gleich. Angereist sind unter anderem der ehemalige Rennfahrer und Vorstandsvorsitzende des Kosmetikkonzerns L'Oréal, Sir Lindsay Owen-Jones, und - ebenfalls Wally-Eigner - der Groß-Reeder Claus Peter Offen. Die Seebären, die sich in diesen Tagen vor und in Portofino herumtreiben, sind der Olympiasieger und America's Cup-Sportdirektor des Alinghi-Teams, Jochen Schümann, die Weltumseglerin Samantha Davies oder der neuseeländische Haudegen Grant Dalton, der diesen Herbst das Camper-Team beim Volvo Ocean Race rund um den Globus skippern wird.

Klar könnten jetzt böse, neidische, zur Seekrankheit verdammte Neid-Nasen sagen, das Ganze sei ein Bonzen-Event, bei dem es nur darum geht, wer die längere Yacht hat. Dem widerspricht die bunt gemischte Schar an Zaungästen, die sich am Hafen unter die Segler mischt und Teil eines Treffens wird, das es in der Seglerwelt nicht alle Tage gibt, denn hier versammelt sich ein großartiges Stück sogenannter "Naval Architecture". Auf gebaute Architektur umgemünzt hieße das in etwa, es würden sich Gaudís Sagrada Família, alle Guggenheim Museen, Jean Nouvels Torre Agbar und andere Architektur-Highlights für ein Wochenende treffen. Ebenfalls sichtlich angetan, hüpft auf den schweren Steinquadern des Hafens innerlich auch der Vizepräsident des Yacht Club Italiano, Matteo Bruzzo. Es scheint, als würde er am liebsten jedem Passanten am Molo Umberto die Hand schütteln.

Bella-Italia-Konzentrat

Nachdem alle Wallys wie eine Schwanfamilie ausgelaufen sind, schneiden sie kraftvoll, mächtig und vor allem schnell durch das tintenblaue Wasser vor Portofino. Im Kopf haben die Crews die Trophäe, die der Designer Konstantin Grcic gestaltete (siehe Interview Seite 12). Es ist kein brutales Schneiden, kein lautes Stampfen durch die Wellen. Eher erinnern die Rümpfe an Delfine beim verspielten Schwumm durch ihr Element.

Abends liegen die Dark Shadow, Kenora, Inti oder Esense ruhig im Hafen von Portofino. Im friedlichen Takt der Wellen, die ein kleines Fischerboot hinter sich wegschiebt, klatschen ihre mächtigen Schiffshintern auf die Wasseroberfläche. Die Fähnchen des Flaggenalphabets hängen müde und schlapp vom Tagwerk von ihren Schnürchen. Die Massen aus Schulkindern, Tagestouristen von Kreuzfahrtschiffen und Nonnen, die Portofino tagsüber zukleistern, sind wieder verschwunden, und der kleine Ort mit seinen drei Gässchen, wird wieder zum puren, exklusiven Bella-Italia-Konzentrat, auf das schon Humphrey Bogart, Ava Gardner und die Bacall abfuhren.

Wer jetzt auch noch das Glück hat, Fred Buscaglionis I found my love in Portofino auf seinem iPod zu finden, wird sich schon bald in den Arm zwicken. Zurück in die Realität holt einen aber auch Emanuela, die am kleinen, schmäleren Molo von Portofino eine Weinbar betreibt. Auf die Frage nach dem Preis einer Wohnung, die man, inzwischen an den Realitätsverlust gewöhnt, dann doch stellt, meint sie: "Es heißt, jedes Fenster in Portofino steht für eine Million Euro." Lässig hockt sie auf einem weißen Polster, den sie auf den Steinboden am Wasser gelegt hat und füttert eine Möwe mit den Körpermaßen eines halben Schwans. Gewonnen hat den Nespresso Cup übrigens die 30,5 Meter lange Indio. Aber das interessiert die Handvoll Buben, die mit offenem Mund an der Pier stehen, weniger. Hauptsache, die Wallys sind noch da. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/17/06/2011)