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Nur einmal gab es in Österreich Nummerntafeln mit einer "Fahrradabgabe": im Ständestaat zwischen 1934 und 1937.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou ist mit ihrer Forderung nach einem Knigge für Radfahrer in den letzten Tagen ins Visier der Medien und ihrer Parteikollegen geraten. "Ich finde es unglaublich, wie manche Fahrradlenker rücksichts- und bedenkenlos Fußgeher, aber auch langsamere Radler in Gefahr bringen", wetterte Vassilakou in der Kronen Zeitung. "Das muss einfach abgestellt werden."

Rotlicht-, Zebrastreifen-, Gegen-die-Einbahn- und Gehsteigradlern – und damit ihren Parteikollegen Karl Öllinger und Peter Pilz – will sie mit polizeilichen Sanktionen Einhalt gebieten. Damit nicht genug, dachte sie auch Nummerntafeln für Fahrräder an. Ein ewiges Sommerthema, das vor allem Ost-Österreich zu beschäftigen scheint, Emotionen hochgehen lässt und damit bestens in die "Saure-Gurken-Zeit" für Politik und Medien passt.

Kleine Historie der Fahrradnummerntafel

Zwar hat sich Vassilakou mittlerweile in einem Brief an den Standard auf facebook von der Zitation distanziert, dennoch soll an dieser Stelle mit einem kleinen, von der Radlobby ARGUS recherchierten Abriss über die Historie des immer wieder aufkeimenden Wunsches nach einer Kennzeichnungspflicht berichtet werden.

Nur einmal gab es in Österreich Nummerntafeln mit einer "Fahrradabgabe": im Ständestaat zwischen 1934 und 1937. In Wien waren ca. 140.000 Fahrräder angemeldet. Mit dem Anschluss an das Deutsche Reich 1938 wurde diese "Sonderregelung" wieder abgeschafft.

"Bürokratischer Aufwand wäre nicht zu rechtfertigen"

Als Antwort auf die auch Anfang der 1990er-Jahre von österreichischen Boulevardmedien wiederholt strapazierte Forderung nach einem "Kennzeichen für Fahrräder", erstellte der Mitarbeiter des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, Othmar Thann, 1993 ein Gutachten. Das Ergebnis war negativ: "Es müsste jedenfalls eine Verfassungsbestimmung für die Lenkerauskunft geschaffen werden. Dies wäre ein massiver Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte."

"Es besteht keine Notwendigkeit zur Einführung von Nummerntafeln für Fahrräder. Die vorliegenden Statistiken über Verkehrsunfälle belegen dies eindeutig", fährt Thann fort. "Für das Institut einer zivilrechtlichen Halterhaftung ist eine Fahrradnummerntafel nicht notwendig." Und zu guter Letzt: "Der bürokratische Aufwand wäre nicht zu rechtfertigen." Mit der Einführung von Nummerntafeln für das Fahrrad hätte übrigens ein Zulassungsvorgang eingeleitet werden müssen, der 1993 pro Fahrrad auf 500 bis 700 Schilling geschätzt wurde.

Expertise weltweit

1995 wurde von ARGUS im Auftrag der Stadt Graz eine Expertise erstellt, in der ein Land ausfindig gemacht werden sollte, wo ein funktionierendes System von Fahrradregistrierung vorhanden wäre. Gleich vornweg: Es wurde keines gefunden. Recherchiert hat man weltweit und in Portugal etwa kleine Taferln entdeckt, ausgegeben von öffentlichen Polizeistellen, die aber keinerlei Verpflichtungen mit sich bringen, sondern laut Studienverfasser eher als ein Symbol stolzer Fahrradbesitzer wahrgenommen werden. In den Niederlanden gibt es blaue Taferln auf Fahrrädern, die, im Galuben, es handle sich um "Nummerntafeln", auch in Österreich als Diskussionsbasis strapaziert werden, tatsächlich aber der Kennzeichnung von Leihrädern dienen.

Nicht entzifferbare Kennzeichen

Als nicht beantwortbar stellte sich bislang die Frage heraus: Wie groß muss ein Fahrrad-Kennzeichen sein, um einen flüchtenden "Fahrradrowdy" identifizieren zu können? "Bereits bei vorbeifahrenden Mopeds wird sich ein Polizist hüten, das Kennzeichen abzulesen", sagt Hans Doppel von der ARGUS und greift dabei auf die Aussage eines Polizisten zurück. Die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums, in Anbetracht der geringen Dimension des Kennzeichens und des geringen Kontrastes (Weiß auf Rot) der Ziffern und Buchstaben, sei allzu groß.

Die Schweizer Radfahrer waren mit Aluschildern auf ihren Fahrrädern bis 1989 unterwegs, dann wurde wegen der hohen Materialkosten eine "ersatzlose Abschaffung der Fahrradregister und Fahrradpapiere" (vgl. DiePresse, 1990) verordnet und auf selbstklebende Vignetten umgesattelt. Diese Kennzeichen dienen allerdings nicht der Identifizierung von "Fahrerflüchtigen", sondern sind der Nachweis für eine abgeschlossene Haftpflichtversicherung. Darüber hinaus nutzen sie der Polizei zum Ausfindigmachen gestohlener oder "ausgeborgter" Fahrräder.

Haftpflichtversicherung kein Argument

Während Österreich aktuell über die Einführung einer Vignette nachdenkt, wird in der Schweiz allerdings die Abschaffung geplant: Der Verwaltungsaufwand sei größer als der Nutzen, da heute rund 90 Prozent der Radfahrer ohnehin über eine private Haftpflichtversicherung verfügten. In Österreich liegt der Anteil der Haftpflichtversicherten gar bei 94 Prozent.

Nummerntafel wirkt sich nicht auf Unfälle aus

Dass sich eine Einführung von Nummerntafeln nicht auf das Unfallaufkommen auswirken werde, begründet die ARGUS folgendermaßen: "Dass an einem Auto zwei Kennzeichen angebracht sind, hindert manche Kfz-Lenker nicht daran, Fahrerflucht zu begehen", und weiter: "90 Prozent der statistisch erfassten Unfälle am Ringradweg in Wien passieren in der Begegnung zwischen Kfz und Fahrrad. Daran sieht man, wie maßlos übertrieben die Konflikte Radler – Fußgänger dargestellt werden!" (Eva Tinsobin, derStandard.at, 16.06.2011)