Klagenfurt - Mit einer kritischen Beleuchtung von Literatur-Wettbewerben des Schweizer Autors Urs Widmer sind am Mittwochabend im Klagenfurter ORF-Theater die 35. Tage der deutschsprachigen Literatur eröffnet worden. "Literatur funktioniert nicht nach dem "K.o.-System, in dem am Schluss einer der Sieger ist", sagte Widmer in seiner Rede, die er unter das Motto "Von der Norm, der Abweichung und den Fertigteilen" gestellt hat. Beim diesjährigen Wettbewerb gehen drei Österreicher, ein Schweizer und zehn Deutsche ins Rennen.

ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz erklärte den Wettbewerb in seiner Begrüßung zur "resistentesten und möglicherweise renitentesten Casting-Show" und kündigte an: "Wir werden vier Tage lang gebannt zuschauen, wie Herr von Spinnen (Juryvorsitzender Burkhard Spinnen, Anm.) Dieter Bohlen in die Schranken weisen wird."

Er sehe solche Wettbewerbe inzwischen "mit heiterer Milde", meinte Widmer. Die Frage sei aber nicht "ob Goethe oder Kleist oder Büchner", die Antwort sei: Goethe und Kleist und Büchner. Natürlich hantiere man mit den Begriffen "gut" und "schlecht" herum, meinte der Autor. "Natürlich machen wir Unterschiede, und es gibt auch Unterschiede." Selbst wenn man nicht genau begründen könne, warum Franz Kafka besser schreibe als "jeder von uns hier", so sei man sich aber doch mehr oder minder darüber einig, dass dies so sei.

Jeder suche nach der "eigenen Sprache", nach der sich auch die Kritiker sehnen würden, diese gebe es aber nicht, beziehungsweise "allenfalls dann, wenn wir uns beim Schreiben stets bewusst sind, dass es das Eigene nicht geben kann". Ernsthaftes und existenzielles Schreiben "hält sich in Gebieten auf, in denen es weh tut und wo dieses Schreiben etwas Notwendiges und Unausweichliches wird", erklärte Widmer. Dort kämpften die Schriftsteller um ihre Wörter, "weil wir mit unsern Widerständen und Verdrängungen kämpfen". Ob ein Text fertig sei, gut geworden sei, entscheide ein "Gefühl der Evidenz".

Widmer unterschied dann aber sehr wohl doch, was für ihn wirklich gute Literatur darstelle und wie der Unterschied definiert werden kann. Er bezeichnete die Sprache als großen Fertigteilbaukasten, entscheidend sei der Umgang mit den Fertigteilen. "Die, denen die Bauteile der Sprache so, wie sie von jedem gebraucht werden, genügen, montieren auch ihre Inhalte aus altvertrauten Fertigteilen." Dies werde auch gern gelesen, eben weil es so vertraut sei. Dies nenne man Mainstream, und das sei auch nichts Verwerfliches. "Er bringt nur die Literatur nicht vom Fleck, und uns selber auch nicht." Widmers Schlussfolgerung: "Schlechte Literatur ist ausschließlich aus schon Vertrautem montiert." Gute Bücher hingegen gingen dem Vertrauten nicht um jeden Preis aus dem Weg, aber "sie reiben sich an ihm durch Abweichungen".

Österreicher beim Wettlesen am Donnerstag und Freitag dran

Zum Abschluss der Eröffnung der 35. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt ist am Mittwochabend die Reihenfolge ausgelost worden, in der die 14 Autorinnen und Autoren von Donnerstag bis Samstag ihre Texte lesen werden. Lokalmatadorin Maja Haderlap liest am Freitag um 11.00 Uhr, unmittelbar nach ihr ist Julya Rabinovich dran. Daniel Wisser liest am Donnerstag um 12.00 Uhr.

Den ungeliebten Auftakt am Donnerstag macht Gunther Geltinger, gefolgt von Maximilian Steinbeis und Wisser. Anna Maria Praßler und Antonia Baum beschließen den ersten Wettbewerbstag. Am Freitag ist Linus Reichlin als erster an der Reihe, nach ihm die beiden Österreicherinnen und anschließend Nina Bußmann und Steffen Popp. Am Samstag muss Leif Randt als erster in die Manege, gefolgt von Anne Richter und dem Schweizer Teilnehmer Michel Bozikovic. Den Abschluss macht Thomas Klupp.

Das Wettlesen wird wie jedes Jahr live in 3sat übertragen, ebenso die Preisverleihung am Sonntag. Neben dem Hauptpreis haben die 14 Nominierten auch die Chance auf den mit 10.000 Euro dotierten kelag-Preis, den 3sat-Preis (7.500 Euro), den Ernst Willner-Preis (7.000 Euro) und den mit 7.000 Euro dotierten, erstmals von villi glas gestifteten, Publikumspreis. (APA)