Seltsam sind sie schon, diese Menschen. Gut, man darf sich nicht wundern, dass man bis in die Nacht kein Auge zukriegt, wenn man sich im sechsten Bezirk einmietet, zwischen Mariahilfer und Gumpendorfer. Man darf sich natürlich auch nicht wundern, dass ständig wildfremde Menschen an der Schlafzimmertür sitzen, wenn man eine Bleibe mit Gastgarten als Vorzimmer wählt. Das hat natürlich auch den Standortvorteil, dass man für's Dinner nicht weit hat.
Obwohl: Immer nur Brotstücke, so gut und frisch und saftig sie sein mögen? Ein bisschen einfallslos sind diese Menschen schon im Umgang mit kleineren Verwandten. Vielleicht gehen sie ja deshalb auch gern zu einem Koch, der ihnen die Einfälle abnimmt, wie ich gehört habe.
Hier gibt's auch Liebe
Auf der Karte stehen für das "Menü, minütlich frisch kreiert" alleine ein paar Grundbausteine, zum Beispiel: Jakobsmuscheln Garnelen und Calamari. Wolfsbarsch, Reinanke, Tunfisch, Rochenflügel. Lamm, Kalb, Maishendl. Karotten, Tomaten, Süßkartoffel, Kartoffel, Liebe (öh?), Lemongrass, Ingwer, Wasserspinat, Thaispargel, Fisolen, Avodaco, Thaisalat, Rucola. (Das hab ich von den Tischen aufgeschnappt, ich bin ja etwas leseschwach, und höhenmäßig zuwenig bevorzugt, um den Gästen über die Schulter zu schauen). Dann sagen die meisten Gäste los und irgendwann so nach zwei, drei, vier Gängen stopp.
So macht man das hier, in meinem Vorzimmer. Also im Kontrapunkt, dem früheren Vinissimo. Genauer: Im Gastgarten des Kontrapunkt, also im Hof des Raimundhof, im ersten gleich, von der Windmühlgasse besehen. Ins Lokal geh' ich sicherheitshalber nicht, das schätzen die Menschen nicht so, glaub ich, und Ärger mit dem Marktamt will ich den netten Wirtsleuten auch ersparen.
Hitzköpfe
Manche sagen aber nicht und nicht stopp, beim Essen, im Kontrapunkt. Wie diese beiden Menschen, die sich noch etwas seltsamer benahmen als die anderen.
Vielleicht lag's an der Hitze. Vielleicht daran, dass sie offenbar sehr durstig waren, was wiederum von der Hitze kommen konnte. Oder es war einfach ein Tag zum Trinken. Soll es ja geben, bei den Menschen. Uns lassen sie ja nichts von ihren Bieren und Muskatellern, von ihren Sauvignons blancs und den Veltlinern, schon gar nicht vom Tempranillo. Aber: Die beiden wirkten sehr zufrieden.
Die Gunst der Fuge
Nicht nur ihr Zug war außergewöhnlich. Sie fotografierten alles, was sie aßen. Gut, so um 20.30 geht das ja noch im Sommer, aber nach dem dritten Gang muss ich mich schon ganz auf meine Nase verlassen, um die Brotbrösel in den Kopfsteinpflasterfugen aufzuspüren. Den beiden war was wurst beim Um-die-Wette-Essen-Fotografieren. Ich möcht ja nicht wissen, wie diese Nachtaufnahmen aussehen.
Das Salz auf unserem Kalb
Am glücklichsten schienen sie mir beim letzten Gang, der in die beiden passte, es muss der fünfte oder sechste gewesen sein, aber da bin ich nicht mehr so sicher. Der Kellner wirkte jedenfalls etwas überrascht, als sie den noch wollten. Noch einen? stand da in seinem Blick. Lamm, dunkle Sauce, soviel hab' ich mitbekommen, und die beiden grunzten glücklich.
Dabei hatten sie ausgesprochen skeptisch (bis auf die Getränkezufuhr) begonnen: Am Vitello tonnato setzten sie aus, es wäre einfach viel zu salzig, auch die Überdosis Kapern gefiel ihnen nicht. Kalb und Fisch schienen ihnen aber ganz gut zu tun. Und vielleicht war das Salz ja nur als billige Entschuldigung für die nächste Bestellung gedacht.
Flügel gerochen
Rochenflügel hatte der eine von den beiden kategorisch ausgeschlossen. Vielleicht dachte er an Haifischflossen und wollte ausnahmsweise ein bisschen kulinarische Korrektheit vortäuschen. Also kamen fette Garnelen zu ihrem Auftritt und die beim Vitello gekräuselten Stirnen entspannten sich.
Die Reinanke mit dem Filoteigröllchen half den beiden, den Rundum-Sorglos-Blick zu perfektionieren, auch das Maishendl schien gut zu gefallen. Alle Gänge natürlich zigfach dokumentiert mit iPhone und Lumix und was weiß ich welcher Kleinelektronik, nur halt weitgehend ohne vernünftiges Licht.
Die Schönheit des Felltiers
Nicht nur alle Gänge übrigens: Zwischen dem Essen und dem Trinken und dem Reden, worüber männliche Menschen halt so reden, also über Quantenphysik, Vegetarismus und Lyrik, da entwickelten sie auch eine auffällige Gier nach Schönem, also mir. Nicht alleine mit Essen füllten sie ihre Bildspeicher, auch von mir wollten sie unbedingt Fotos.
Oder fotografieren die beiden womöglich wirklich nur, was sie als Nächstes essen wollen?