Ich stamme aus einer Familie, in der kaum ein Mitglied nicht geraucht hätte, ob männlich oder weiblich. Denke ich an die Frauen meiner Kindheit - Großtante, Tante, Großmutter, Mutter und deren Freundinnen -, sehe ich sie alle rauchend. Ohne Zigaretten - und Kaffee - wäre mein Bild der Erinnerung unvollständig.

Als meine Großmutter 72-jährig verstarb, wäre ihr als Grabbeigabe eine Schachtel Khedive gerecht geworden. Allein die für meine damaligen Kinderaugen so edle Verpackung - eine goldfarbene Metallschachtel mit geprägtem, blauen Markeneindruck - beeindruckte mich sehr. In ihr lagen fünfundzwanzig flach gepresste, filterlose Zigaretten, die in weißes, glänzendes Seidenpapier gehüllt waren. Hinzu kam der märchenhaft-geheimnisvoll klingende Name Khedive, der Orient, Pyramiden und aufregende Abenteuer in der Wüste versprach.

Heute bin ich 52 Jahre alt und rauche seit meinem 14. Lebensjahr, also seit 38 Jahren. Jede Zigarette, die ich rauche, schmeckt mir, und auf jede Zigarette, die ich rauchen werde, freue ich mich. Um nie in die Verlegenheit zu kommen, keine Zigaretten um mich zu wissen, kaufe ich sie stangenweise, jede Woche eine. Zum Frischhalten ruhen sie im Kühlschrank, der wenige Lebensmittel, doch jederzeit Zigaretten zu bieten hat. Um meine Lunge mit dem Rauchen zu versöhnen, pflege ich sie seit drei Jahrzehnten mit schleimlösenden Mitteln, sodass sie noch immer emphysemfrei ist.

Mein Frühstück besteht aus drei Zigaretten und viel Kaffee, eine ideale Mischung, um Suchtpegel, Blutdruck und Verdauungsorgane auf Trab zu bringen. Ich rauche, wo ich kann, und natürlich rauche ich auch jetzt. Darf ich in einem Lokal nicht rauchen - kein Problem, es gibt andere. Werde ich privat zum ersten Mal eingeladen, erkundige ich mich vorab nach den Hausgepflogenheiten: Gilt in der Wohnung Rauchverbot - die Kinder, die Vorhänge, die Wände, aber „am Balkon geht's schon" -, lehne ich dankend ab. Besuche ich eine Veranstaltung, rauche ich vor Beginn zwei Zigaretten hintereinander, um die Gier für die nächsten Stunden in Zaum zu halten. Mit anderen Worten: Ich bin süchtig, süchtig nach Nikotin, süchtig nach der Sucht.

Verschleierungen

Rauchen ist eine Sucht und damit eine Krankheit. Sprechen Politiker von den „körperlichen Schädigungen durch das Rauchen", sind sie schon am Ende der Diskussion angelangt, denn zuerst, und zwar sehr rasch, entsteht die Sucht, und erst viel später die (eventuelle) körperliche Beschädigung. Es ist bekannt, dass das Suchtpotenzial von Nikotin (und seinen zusätzlichen Wirkstoffen) jenem von Kokain gleicht. Anders gesagt: Von Nikotin und den in Rauchwaren sonst noch enthaltenen Inhaltsstoffen wird man ebenso schnell abhängig wie von Kokain.

Pikanterweise scheinen der Staat und seine Vertreter die Definition von Sucht jedoch verschieden zu deuten, benennen sie die eine Substanz, das Nikotin, als ein gesetzlich legales Genussmittel, für das eine sogenannte Verbrauchersteuer eingehoben wird, während die andere, das Kokain (zu Recht) zu den, illegalen Substanzen zählt. Gemäß dieser Logik folgerichtig listet das österreichische Ministerium für Gesundheit das Zigarettenrauchen auch nicht in seiner Statistik der „suchtbezogenen Todesfälle" auf, obwohl - Ironie, Ironie - die Nikotinabhängigkeit seit 2001 in Österreich als anerkannte Suchtkrankheit gilt. Im Übrigen bestehen die Stoffe, die ein Raucher nach der Inhalation wieder ausstößt, aus ähnlichen chemischen Belastungen wie jene Luft, die wir - staatlich genehmigt - tagtäglich auf unseren Straßen einatmen. Allerdings sind von den ca. 4800 verschiedenen Substanzen, die Tabakrauch enthält, nur weniger als zehn Prozent verantwortlich für karzinogene Effekte.

Es sei also die Frage gestattet: Läge den Politikern die Gesundheit der Raucher wirklich so sehr am Herzen, hätten sie den Verkauf nikotinhältiger Produkte nicht schon längst verbieten müssen, um Menschen gar nicht in die Verlegenheit zu bringen, süchtig zu werden? Und wäre dies nicht auch viel gesünder für all jene, die man seit Neuestem nicht mehr Nichtraucher, sondern „Passivraucher" nennt?

Es fällt auf, dass jene Staatsvertreter, die angeblich um meine, des Rauchers Gesundheit besorgt sind, sich in erster Linie um die Nichtraucher kümmern - und nicht um mich, die Süchtige und somit amtlich anerkannte Kranke. Das gängige politisch-populistische Mantra lautet: „Wir müssen die Nichtraucher vor den Rauchern schützen." Wieso heißt es nicht: „Wir müssen die Süchtigen gesund machen?" Und wieso werden Jugendliche weiterhin süchtig gemacht und schon süchtig Gewordene weiterhin mit Stoff versorgt? (Laut aktuellster OECD-Studie rauchen in keinem anderen OECD-Land so viele Jugendliche wie in Österreich.) Es muss also auch etwas Gutes an den Rauchern geben, denn eines ist gewiss: Es gibt keinen besseren Konsumenten als den süchtigen Konsumenten, der auf seine tägliche Dosis angewiesen ist - und damit auf seinen Lieferanten.

Dealer mit Konzession

Wie so oft, wenn es um Geld geht, vermeiden Politiker, dem (Wähler-)Volk die Wahrheit zu präsentieren. Vielmehr hüllen sie ihr Begehr nach höheren Einnahmen in salbungsvolle, meist am Kern der Sache vorbeigehende Verbalblasen. Tatsächlich stecken sie beim Thema Rauchen nämlich in einem selbst gestrickten Dilemma: Einerseits müssen sie der Political Correctness wegen auf der Seite der Nichtraucher stehen. Andererseits: Wenn der Staat das Rauchen für so schädlich hält, dass er die Nichtraucher per Gesetz vor den Rauchern schützt, wieso lässt er dieses Suchtmittel überhaupt zu? - Ein Schelm, der an den Mammon denkt, denn: Wie dem Volk erklären, dass man auf gute 1.400 Mio. Euro an jährlichen Tabaksteuereinnahmen nicht verzichten will? Eine Steuer, die - wie praktisch noch dazu - nicht zweckgebunden ist? Der österreichische Staat versorgt per anno zwischen 40 und 50 Prozent der Bevölkerung mit Stoff.

Er kassiert über 70 Prozent eines jeden Packungspreises. In konkreten Zahlen ausgedrückt: Die Tabaksteuereinnahmen beliefen sich im Jahr 2004 auf 1.317,9 Mio. Euro, 2005 auf 1.339,6 Mio. Euro, 2006 auf 1.408,5 Mio. Euro, 2008 waren es 1.424 Mio. Und nachdem auch der Staat seine Finanzierung unternehmerisch aufstellen muss, ist er zwangsläufig auf Profitmaximierung ausgerichtet. Wie er das macht? - Gewonnen, er erhöht überfallsartig die Tabaksteuer, und weil ich ein schwacher Mensch bin und von meiner Sucht nicht loskomme, zahle ich jeden Preis, den er mir diktiert - dafür, dass er mich süchtig gemacht hat - er, mein Dealer, mein Staat.

Mäntelchen der Scheinmoral

Ich scheue mich nicht, sogar einen Vergleich zwischen meinem staatlich konzessionierten Dealer und jenem von der Straße zu ziehen. Denn bei näherer Betrachtung ergibt sich, dass mein illegaler Straßenfreund der ehrlichere von beiden ist: Ihm würde nie einfallen, mir Moralpredigten zu halten oder Verhaltensvorschriften aufzuzwingen, wo ich meine Sucht befriedigen darf und wo nicht. Auch ist er der ehrlichere Kaufmann von beiden, lebt er doch in einer Konkurrenzsituation, während der Staat seinem Steuermonopol hemmungslos frönt, und, wann immer es ihm passt, die „Verbraucher"-Tabaksteuer erhöht.

Und dafür, dass alle Süchtigen brav mitmachen und weiterhin konsumieren, erhalten sie kein Dankeschön, so wie der Straßendealer ab und zu einen kostenlosen Zuschlag gibt, um die Kundenbindung zu stärken - nein, der ach so besorgte Staat erhöht die Steuer ein weiteres Mal. Und jetzt verbietet mir dieser monopolistische Profiteur auch noch seit Neuestem, wo ich meine von ihm ausgelöste Sucht ausleben darf und wo nicht. Und sollte jetzt jemand meinen, gut, dann verbieten wir Rauch- und Tabakwaren, sei, im Sinne Bert Brechts, gesagt: Zuerst kommt das Fressen (Geld), dann die Moral. (Leser-Kommentar, Martina Paul, derStandard.at, 7.7.2011)