In den Geschichtsbüchern wird der 16. August 2011 vielleicht als Tag der großen Recyclingaktion eingehen. Schuldenbremse, Wirtschaftsregierung, Finanztransaktionssteuer: Sie sollen die Eurozone vor dem Abgrund retten. So wünschten es sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy nach ihrem Treffen am Dienstag in Paris.

Am Mittwoch rieben sich viele Ökonomen und Analysten ungläubig die Augen: Das gab's doch schon alles. Die Schaffung einer Wirtschaftsregierung fordert Sarkozy seit Beginn der Eurokrise. Merkel plädierte schon 2009 - ergebnislos - für eine Besteuerung von Transaktionen. Schuldenbremsen sind in Deutschland beschlossen, in Italien und Frankreich in Planung. Aber immerhin: Diesmal wollen Paris und Berlin vereint für ihre Ziele kämpfen.

Ob der Kampf Sinn macht, ist allerdings umstritten. Das beginnt schon bei der Einführung der Schuldenbremse in den Euroländern. Deutschland hat seit 2009 ein Defizitlimit. Ab 2016 darf die Neuverschuldung Deutschlands 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht übersteigen.

Die Regelung ist umstritten. Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger kritisierte etwa die Verteufelung von Schulden. Wenn Defizite gemacht werden, um öffentliche Investitionen zu finanzieren, sei das nichts Schlechtes. Sein Kollege Gustav Horn nennt Schuldenlimits unsinnig: „In einer Rezession engen sie den Spielraum der Politik unnötig ein."

Andere Kritiker behaupten das Gegenteil, sprechen von zu vielen Schlupflöchern. In wirtschaftlich schlechten Zeiten darf nämlich auch Deutschland nach 2016 höhere Defizite fahren. In Notsituationen reicht sogar ein Parlamentsbeschluss aus, um das Limit kurzfristig ganz aufzuheben. Laut Gesetz muss das Land in besseren Jahren zwar dann Überschüsse erwirtschaften. Aber die Kontrolle dieser Regelung wird schwierig.

„Limits können helfen"

Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft findet die Limits trotzdem sinnvoll: „Sie helfen, die Haushalte in Ordnung zu halten. Wenn sie in der Verfassung verankert werden, können zudem Höchstgerichte als zusätzliche Kontrollinstanz eingreifen."
Sein Fazit: „Besser dieser Ansatz als keiner." Er bezweifelt allerdings, ob die Idee in Europa Unterstützer findet. „Schon das, was derzeit in Frankreich als Schuldenlimit diskutiert wird, ist viel weicher als das deutsche Modell."

Bedenken gibt es auch gegen die Wirtschaftsregierung. Festgelegt haben sich Merkel und Sarkozy bisher auf zwei Treffen der Eurozonenländer pro Jahr unter Vorsitz des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy. „Es ist nur zu hoffen, dass da nichts Konkreteres nachkommt. Wie soll so eine Regierung funktionieren: Ein paar Politiker treffen sich und legen fest, dass Löhne in Italien zu stark steigen und das Haushaltsdefizit in Spanien schrumpfen soll? Das macht keinen Sinn", sagt Scheide.

In einem Schreiben an Rompuy fordern Sarkozy und Merkel auch, dass Defizitsünder unter Euro-Ländern keine Mittel mehr aus Strukturfonds der EU erhalten.
Der italienische Ökonom Stefano Micossi meint, Merkel und Sarkozy hätten überhaupt die falschen Themen gewählt. „Worüber Europa wirklich sprechen sollte, ist, wie das magere Wachstum angekurbelt werden kann und ob wir Eurobonds brauchen."
Bleibt die Finanztransaktionssteuer. Die alte Forderung von globalisierungskritischen Organisationen wie Attac hätte nach Ansicht vieler Experten Charme. Sie könnte Ungleichgewicht zwischen Besteuerung von Finanzgeschäften und Arbeit ausgleichen, vielleicht sogar die Spekulationsflut eindämmen. Allerdings bringen sich Gegner schon in Stellung.

Bedenken kommen etwa von der Wiener Börse, die bisher immer betonte, dass so eine Steuer nur EU-weit Sinn mache. „Wenn, dann soll die Steuer auch für außerbörsliche Handelsplattformen gelten, damit keine Ungleichheit entsteht", sagt Börsenvorstand Michael Buhl zum Standard. Die Folge wäre, dass der Handel über diese nicht transparenten Plattformen zunimmt, „was nicht im Sinne der Anleger wäre", sagt Buhl.
Auch bei der Deutschen Börse stößt diese Idee auf Ablehnung. Eine solche Steuer „schafft Anreize, noch stärker in Nischen auszuweichen, die von der Steuer nicht erfasst sind", heißt es aus dem Unternehmen. Die Steuer wäre „ein Geschenk an die unregulierten Finanzplätze und Finanzprodukte dieser Welt". (Bettina Pfluger, András Szigetvari, DER STANDARD, Printausgabe, 18.8.2011)