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Nach fünf Jahren zum Abschied einen Orden: Am Mittwoch wird Salzburgs Schauspielchef Thomas Oberender von Salzburgs Landeshauptfrau geehrt. F

Foto: Kerstin Joensson/dapd

Standard: Wie lautet das Resümee Ihrer letzten Saison in Salzburg?

Oberender: Es war die freundlichste und inhaltlichste Festivalsaion, die ich in fünf Jahren hier erlebt habe. Unser Auftakt mit dem Music Circus hat eine besondere Stimmung in die Stadt getragen - alle lächelten, fast so, als wäre die Mauer noch mal gefallen; und diese Stimmung hat angehalten.

Standard: Zwei von Ihnen hochverehrte Dichter, Goethe und Handke, waren die Kontinente im Schauspielbereich, umrankt je von einem üppigen Rahmenprogramm ...

Oberender: Das war mehr als ein übliches Rahmenprogramm, wir haben zwei Kompositionsaufträge vergeben, es gab szenische Lesungen, Filme. Das Spektrum an Stimmen reichte von der Sängerin Gustav über eine Gymnasialprofessorin aus Hermagor bis zu Gert Voss. Es geht nie nur um gut gemachtes Theater - die Festspiele sind ja auch ein Podium, das gesellschaftliche Diskussionen in ein anderes, wenn Sie so wollen, unübersehbares Licht stellt. Ich glaube, dass in der Handke-Reihe heuer sowohl in politisch-gesellschaftlicher als auch in ästhetischer Hinsicht sehr qualifizierte und wesentliche Betrachtungen seines Werks und der politischen Geschichte dieses Landes stattgefunden haben.

Standard: Am Montag wird der "Jedermann" zum 600. Mal aufgeführt. Die Themen Moral, Schuld und Sühne, Vergebung und Gerechtigkeit werden auch in Shakespeares "Maß für Maß" verhandelt. Haben Sie die Festspiele - auch - bezugnehmend auf den "Jedermann" programmiert?

Oberender: Im ersten Jahr war es ganz dezidiert so, dass ich den Spielplan um den Jedermann angeordnet habe. Ein Fest für Boris ist ja Bernhards Tischgesellschaftskommentar. Der große Molière-Zyklus, in dem Luk Perceval und Feridun Zaimoglu versuchten, aus vier Molière-Figuren (Menschenfeind, Don Juan, Tartuffe, Der Geizige, Anm.) - eine zeitgenössische Jedermann-Figur zu machen, war ebenfalls eine stellvertretende Lebenslaufgeschichte. Jedermann bewegt uns heute nicht mehr als ein mittelalterliches Spiel um die Erlösung des Menschen, seine Heimrettung zu Gott. Es ist einerseits konservativ, weil es nie die Verhältnisse infrage stellt, in denen wir leben. Auf einer anderen Ebene berührt es uns aber, weil es unser Verhalten infrage stellt. An die Stelle der Glaubensfrage tritt jene der Moral. Und das Memento mori - das Bedenken unserer Sterblichkeit - ist ein Schock, der wirkt. Handkes Immer noch Sturm zeigt eine andere Art, damit umzugehen - er lässt die Toten auferstehen und rettet ihr Leben in der Betrachtung ihrer Tragödie. Also, um Ihre Frage zu beantworten: Nein, es war dieses Jahr kein Konzept. Und doch merkt man, dass der Stoff des Jedermann Anklänge wie von selbst bekommt.

Standard: Sind Sie froh, Salzburg zu verlassen?

Oberender: Ich bin schon auch ein bisschen traurig. Zugleich sind diese fünf Jahre eine ausreichende Zeit. Für eine wirkliche Weiterentwicklung müssten andere Arbeitssituationen gegeben sein.

Standard: Welche? Gleichberechtigung im Direktorium?

Oberender: Ja. ich finde, die Mitgliedschaft in der Direktion wäre dem Status des Schauspiels angemessen, nur ist das nicht der springende Punkt. Dringlicher wäre, das Schauspiel wieder mit einem eigenen Budget auszustatten. Seit Peter Steins Weggang haben wir uns daran gewöhnt, ohne Budget zu produzieren.

Standard: Was heißt, Sie mussten ohne Budget produzieren?

Oberender: Wir finanzieren unsere Produktionen aus den Ticketerlösen und müssen darüber hinaus einen Überschuss erwirtschaften. Abgesehen vom Sponsoring für das Young Directors Project durch Montblanc habe ich keinen Cent zur Verfügung, den ich nicht selbst an der Abendkasse verdiene. Öffentliche Subventionen gehen zu 100 Prozent in die Infrastruktur der Festspiele und die Oper. Zugleich ist es ein ungeheures Privileg, hier zu arbeiten, die Festspiele sind ein schlanker und effizienter Betrieb mit großartigen Mitarbeitern, der durch den besonderen Status vieles ermöglicht.

Standard: Und Ihre künftige Arbeitsstätte, die Berliner Festspiele?

Oberender: Ich übernehme einen formidablen Betrieb, der gut aufgestellt und etabliert ist, gute Besucherzahlen hat.

Standard: Ist auch die finanzielle Ausstattung komfortabel?

Oberender: Das kommt auf den Bezugsrahmen an. In der Berliner Landschaft ist sie exklusiv, im nationalen und internationalen Rahmen nicht.

Standard: Steht das Programm?

Oberender: Mehr oder weniger. Für Märzmusik geht man in die Finalisierung, auch für das internationale Orchesterfestival Musikfest sind die Planungen weit gediehen. Wer zum Theatertreffen kommt, wird von der Jury im Februar bekanntgegeben. Und Spielzeit Europa ist im Entstehen.

Standard: Mit Musik, Theater, bildender Kunst und Literatur haben Sie ein breites Portfolio. Kennen Sie sich überall aus?

Oberender: Dass ich in einem Dreispartenfestival wie Salzburg gearbeitet habe, ist sicher hilfreicher, als wenn ich aus dem Stadttheaterbetrieb käme.

Standard: Wird es thematische Vorgaben geben?

Oberender: Ich möchte durchgehende Linien bilden, die die unterschiedlichen Bereiche dieses Universalfestivals miteinander verbinden.

Standard: Welche werden das sein?

Oberender: Das werde ich auf einer Pressekonferenz im Januar sagen - falls ich überhaupt eine mache. Mein neues Team ist schon bekannt, von fünf Festivalleitern habe ich drei neu berufen. Ich verstehe mich als Supervisor, dessen Aufgabe es im Wesentlichen ist, die programmatische Ausrichtung, das Zusammenspiel der einzelnen Festivalleiter und die Gesamterscheinung der Berliner Festspiele weiterzuentwickeln. Dafür will ich mir Zeit nehmen, den Betrieb erst einmal von innen kennenzulernen.

Es gibt meiner Meinung nach nur zwei Möglichkeiten: Entweder man macht sofort alles anders. Oder man kommt in einer gemeinsamen Klassenfahrt zu einem neuen Ziel. (Andrea Schurian/DER STANDARD, Printausgabe, 24. 8. 2011)