Menschen, die verdursten, sterben an den Folgen einer inneren Vergiftung oder eines Kreislaufzusammenbruchs.

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Erst einige Tage ist es her, dass die Leichen zweier Touristen im kalifornischen Joshua-Tree-Nationalpark gefunden wurden. Die beiden Europäer – ein Paar im mittleren Alter – kamen binnen weniger Stunden bei Temperaturen über 40 Grad in der Wüstenlandschaft ums Leben. Ein Extremfall. Andererseits wird immer wieder über Menschen berichtet, die mehr als eine Woche ohne Flüssigkeitszufuhr überleben – etwa in Höhlen oder verschüttet unter Trümmern nach einem Erdbeben.

Nichts zu trinken

"Es ist unmöglich eine exakte Anzahl von Tagen zu nennen, die ein Mensch ohne Wasser überleben kann – die Spanne kann mitunter weit auseinanderliegen", sagt Anton Luger, Leiter der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel am AKH Wien. Wie lange jemand tatsächlich ohne Flüssigkeitsaufnahme überlebt, hängt von vielen Faktoren ab – etwa von der Umgebungstemperatur und Luftfeuchtigkeit, der körperlichen Aktivität, vom Alter oder dem Gesundheitszustand. Denn auch wenn ein Mensch keine Flüssigkeit durch Urin ausscheidet, verliert er über Haut und Atmung rund einen halben Liter pro Tag. Bei großer Hitze oder körperlicher Anstrengung ist das noch wesentlich mehr. Der Körper trocknet daher nach und nach aus, wenn ihm nicht regelmäßig Flüssigkeit zugeführt wird.

"Ein junger, gesunder Mensch wird ohne Flüssigkeit ungefähr drei bis vier Tage durchhalten. Im Extremfall – und das gibt es immer wieder – bis zu elf, zwölf Tage. Aber das ist sicher das Maximum", so der Internist. Wenn ein Mensch verdurstet, ist die eigentliche Todesursache eine innere Vergiftung oder ein Kreislaufzusammenbruch. Denn: Besteht ein akuter Flüssigkeitsmangel, können die Nieren nicht arbeiten und die harnpflichtigen Substanzen nicht mehr abführen. "Diese körpereigenen Gifte greifen alle Organe an, folglich kommt es zu einer inneren Vergiftung", erklärt Luger. Auf der anderen Seite kann es durchaus sein, dass zuvor bereits der Kreislauf zusammenbricht und dadurch ein Multiorganversagen, Herzinfarkt oder Schlaganfall eintritt.

Nichts zu essen

Während beim Flüssigkeitsmangel die körpereigenen Wasservorräte sehr schnell aufgebraucht sind, steht in Hungerphasen ein länger währendes Reservesystem zur Verfügung. Wie lange jemand ohne Nahrung überlebt, ist daher noch viel weniger absehbar. "Wir wissen von Hungerstreikenden, die über zwei Monate gehungert haben. Das Hungergefühl hört nach einem relativ kurzen Zeitraum von einigen Tagen vollkommen auf. Beim Durst ist das nicht der Fall", so Luger.

Beim Hungern dreht sich alles um die Energiebilanz: Um ein bestimmtes Körpergewicht zu halten, muss die Energiezufuhr gleich der Energieausfuhr sein. Der durchschnittliche Energiebedarf eines Menschen beträgt 2.000 bis 2.500 Kilokalorien. Bei einer Energiezufuhr von täglich 1.000 bis 1.500 Kilokalorien und gleichzeitig nur moderater körperlicher Aktivität, ist eine Gewichtsabnahme zu erwarten. Alte Leute und Frauen sowie Personen, die übergewichtig sind oder es einmal waren, benötigen eine weniger hohe Energiezufuhr.

Wie viel Energie verbraucht wird, ist von vielen Einflüssen abhängig – unter anderem von Körpergröße und Gewicht, vom Geschlecht und Alter und der körperlichen Aktivität, die jemand ausübt. Aber auch in vollkommenem Ruhezustand hat der Organismus einen Grundumsatz, denn er verbraucht Energie, um die lebensnotwendigen Prozesse, wie Atmung, Regulation der Körpertemperatur oder Blutkreislauf, aufrecht zu erhalten. "Wenn jemand hungert wird der Grundumsatz gesenkt. Bei einer langen Hungerphase wird dieser weiter reduziert, aber er geht nie auf null", erklärt der Stoffwechselexperte. Kommt dann noch eine körperliche Aktivität dazu, erhöht sich der Energieverbrauch zusätzlich.

Reserven aufbrauchen

Der menschliche Organismus reagiert auf Hungerphasen mit der Umstellung seines Stoffwechsels. Er greift mittels Katabolismus auf seine eigenen Reserven zurück, indem er Substanzen im Körper abbaut und zur Energiegewinnung nutzt. Zuerst werden schnell zur Verfügung stehende Energiereserven in Form des so genannten Glykogens mobilisiert; dieses reicht für ungefähr einen Tag. Der Körper verliert anfangs am schnellsten an Gewicht, was hauptsächlich auf den Wasserverlust zurückgeht. Nach dem Glykogenabbau greift der Körper auf seine Fett- und Eiweißreserven (u.a. Muskulatur) zurück. "Körpereiweiße werden abgebaut, um eine Basisenergieversorgung von Organen zu gewährleisten. Gehirn, Herz, und Nieren verbrauchen am meisten Energie", so Luger. Wenn der Proteinabbau in langen Hungerperioden weiter fortschreitet, kann dies für den Organismus lebensbedrohlich werden. Eine negative Energiebilanz führt laufend zu Gewichtsverlust und irgendwann zum Tod, wenn die Reserven aufgebraucht sind.

Vorteil Übergewicht

Leicht Übergewichtige haben im Kampf gegen das Verhungern Vorteile. "Gesunde mit ein bisschen mehr Substanz, können länger von ihren Reserven zehren. Aber das funktioniert nicht proportional – mehr Übergewicht heißt nicht zwangsweise, dass ein Mensch länger durchhält", so Luger. Da der Proteinabbau zugleich mit dem Fettabbau stattfindet, kann eine Versorgung der Organe auch bei deutlichem Übergewicht nicht gewährleistet werden. Zudem begünstigt starkes Übergewicht aufgrund der damit verbundenen Begleiterkrankungen sicher nicht längeres Überleben. Umgekehrt wird ein Untergewichtiger weniger lange ohne Nahrung durchhalten, weil es ihm an Reserven fehlt.

Hat ein Mensch die Hungerphase überstanden, muss er wieder klein starten. Luger: "Dort anzufangen, wo man aufgehört hat, darf nicht einmal jemand, der nur ein paar Tage gefastet hat. Das Rezept heißt: Langsam beginnen." (derStandard.at, 07.09.2011)