Martina Schubert vom "Forum zur Förderung der Selbstständigkeit".

Foto: Martina Schubert/Paul Feuersänger

Das Buch "Ausreichend verdienen" soll Ratgeber für Ein-Personen-Unternehmen sein.

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Ein-Personen-Unternehmen arbeiten mehr, verdienen aber weniger. Als Hauptursachen identifiziert Martina Schubert vom "Forum zur Förderung der Selbstständigkeit" die Wirtschaftspolitik, die Sozialversicherung und nicht zuletzt die EPUs selbst, wie sie im Interview mit derStandard.at sagt. Um Auswege aufzuzeigen, hat Schubert das Buch "Ausreichend verdienen - Ein-Personen-Unternehmen" geschrieben. Am Dienstag wurde es präsentiert.

derStandard.at: Der Titel Ihres Buches lautet "Ausreichend verdienen". Verdienen Ein-Personen-Unternehmen nicht ausreichend?

Schubert: Sie verdienen derzeit nicht ausreichend. Die Einkommensstatistik besagt, dass ausschließlich selbstständig Tätige ein Medianeinkommen von jährlich 10.900 Euro netto haben. Das heißt, die Hälfte der Selbstständigen verdient weniger. Bei den Frauen sind es überhaupt nur 7.900 Euro jährlich. Zum Vergleich: Angestellte verdienen im Schnitt 22.000 Euro brutto (16.614 netto, Anm.) pro Jahr.

derStandard.at: Wie viele sind betroffen und welche Rolle spielt das Gehalt?

Schubert: Jene Gruppe, die ausschließlich von Einkünften aus selbstständigen Tätigkeiten lebt, umfasst 311.000 Personen. Ein Aspekt ist, dass viele Selbstständige im Gegensatz zu anderen Unternehmen nicht die pure Gewinnmaximierung anstreben. Die wollen eine Sinn erfüllte Arbeit, ihre Talente richtig einsetzen und sind mit viel Herzblut dabei.

derStandard.at: Selbstständige sind überproportional armutsgefährdet.

Schubert: Die Armutsgefährdung ist ungefähr doppelt so hoch wie bei den restlichen Erwerbstätigen. Zwölf Prozent sind betroffen, ein ähnlich hoher Prozentsatz wie bei Hilfsarbeitern.

derStandard.at: Was sind die Ursachen?

Schubert: Es gibt verschiedene Ebenen. Auf der einen Seite können Selbstständige selbst viele Impulse setzen, um ihr Unternehmen voranzubringen. Das geht von der richtigen Geschäftsidee über eine klare Kalkulation bis zum Betreiben von Marketing und Verkauf. Weiters ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik gefordert. Wenn so viele Selbstständige nicht von ihrer Arbeit leben können, dann stimmt etwas am System nicht.

derStandard.at: Welche Rolle spielt die Sozialversicherung für Selbständige (SVA)? Zuletzt gab es ja heftige Kritik.

Schubert: Die kleinen Einkommensbezieher müssen überdurchschnittlich viel Sozialversicherung zahlen. 60 Prozent der SVA-Versicherten zahlen ihre Beiträge von der Mindestbeitragsgrundlage. Jene, die sich sowieso an der Armutsgrenze befinden, müssen prozentuell mehr einzahlen als die Normalverdiener. Die Bestverdiener, das sind 15 Prozent, sind in der Höchstbeitragsgrundlage, zahlen aber prozentuell am wenigsten. Da ist der Gesetzgeber gefordert. Das so genannte soziale Netz ist eigentlich ein Armutstreiber. Zehn Prozent der Versicherten werden von der SVA exekutiert. Das ist enorm viel.

derStandard.at: Mehr als die Hälfte der Betriebe in der Wirtschaftskammer sind EPUs. Warum fehlt trotzdem die Lobby, um die Gesetzgebung zu modernisieren?

Schubert: Es gibt schon viele Initiativen, Beratungen und Forderungen der Wirtschaftskammer. Zum Beispiel werden Konferenzräume für EPUs, die zuhause arbeiten, kostenlos zur Verfügung gestellt. Es könnte aber für die vielen Geringverdienenden natürlich ein bisschen mehr sein. Gerade in Bezug auf die Sozialversicherung.

derStandard.at: Muss die Höhe der Selbstbehalte reduziert werden?

Schubert: Die 20 Prozent Selbstbehalt, die bei Arztbesuchen anfallen, sind einfach nicht mehr gerechtfertigt. Früher gab es die reichen Unternehmer, die sich das gut leisten konnten. Jetzt betrifft das auch jene, die ganz wenig verdienen und das ist unfair.

derStandard.at: Herrscht in der Sozialversicherung so ein antiquierter Begriff des Unternehmertums, weil das ganze Beitragssystem an den Großen orientiert wird?

Schubert: Ja, bis zu einem gewissen Grad. Es wird immer gefordert, dass die Unternehmer, über wirtschaftliches Know-How verfügen müssen. Tatsache ist aber, dass die meisten keine wirtschaftliche Ausbildung haben. Das System, gerade im Bereich der Sozialversicherung, ist so kompliziert, dass es die Menschen nicht mehr durchschauen, wann wie viel Sozialversicherung zu bezahlen ist. Die Wirtschaftskammer warnt vor dem „verflixten dritten Jahr", wo eben viele Nach- und Vorauszahlungen fällig werden. Ich wünsche mir ein System, wo es überhaupt kein verflixtes Jahr gibt. Es muss so einfach und transparent sein, damit jeder weiß, woran er ist.

derStandard.at: Wie sieht Ihrere Meinung nach ein ideales Beitragsmodell aus?

Schubert: Skandinavische Länder können hier zum Vorbild genommen werden. Es sollte nur eine Abgabe sein. Egal, ob man das jetzt Sozialversicherung oder Steuer nennt. Beim Einkommen sind ja die ersten 11.000 Euro steuerfrei. Da sollte bei der Sozialversicherung identisch sein. Die ersten 11.000 Euro müssen den Selbstständigen bleiben. Sind Kinder im Spiel, soll sich der Betrag erhöhen. Das System mit Nach- und Vorauszahlungen ist alles andere als transparent.

derStandard.at: Zur Präzisierung: Sie wünschen sich ein Modell, wo man bis 11.000 Euro Verdienst überhaupt keine Sozialversicherungsbeiträge zahlt?

Schubert: Genau. Und dann soll es ein progressives System geben, wo Leute mit geringerem Einkommen weniger zahlen.

derStandard.at: Wo besteht noch Optimierungsbedarf?

Schubert: Es gibt noch viele andere gesetzliche Bestimmungen, die Selbstständige benachteiligen. EPUs sind zum Beispiel von öffentlichen Aufträgen oft ausgeschlossen. Kriterien sind, dass sie ordentliche Arbeitsplätze haben müssen und nicht mit Subunternehmern arbeiten dürfen, um überhaupt einen öffentlichen Auftrag zu bekommen. Ein anderer Punkt sind Förderungen. Unterstützung bekommt man nur für Angestellte, aber nicht als Unternehmer selbst. Ich bin auch ein EPU. Meine Mitarbeiterin bin ich und als solche bin ich von bestimmten Förderungen ausgeschlossen.

derStandard.at: Sozialversicherung und Wirtschaftspolitik identifizieren Sie als die größten Baustellen?

Schubert: Die Wirtschaftspolitik, EPUs selbst und die Gesellschaft sind gefordert. Hier sollte man sich als Individuum die Frage stellen: Wo kaufe ich ein? Schicke ich mein Geld an eine anonyme Adresse oder fördere ich Leute, die im Kleinen agieren und deren Gesicht ich kenne.

derStandard.at: Werden erbrachte Dienstleistungen ausreichend honoriert?

Schubert: Privatpersonen drücken die Preise, weil sie für unverschämt hoch gehalten werden. Wenn beispielsweise eine Ernährungsberaterin 60 Euro in der Stunde verlangt, gibt es einen Aufschrei: "Niemand verdient so viel!". Dass tatsächlich aber nur 40 Prozent bleiben, dass Betriebskosten, Marketing, Buchhaltung etc. zu zahlen sind, sehen gerade Private oft nicht ein. Es gibt keinen Schutz wie ein Mindesthonorar. Gerade in Kreativbranchen kommt es oft zu einem gegenseitigen Dumping. Ein Selbstständiger darf sich billig verkaufen und andere unterbieten. Größere Betriebe nutzen das schamlos aus, weil es hier keinen Mindestlohn gibt. Ein Schutz, wie ihn etwa Arbeitnehmer genießen, existiert nicht.

derStandard.at: Ist das der Preis, den man als Selbstständiger zahlen muss?

Schubert: Im Moment muss man das einfach akzeptieren. Von der Gesellschaft wird ihnen oft vermittelt: "Selber schuld, du hast es dir ja ausgesucht." Da fehlt oft das Verständnis. Es gibt auch genügend, die nicht freiwillig selbstständig sind. Ich schätze diese Zahl auf zehn oder 15 Prozent.

derStandard.at: Sie wollen in Ihrem Buch auch wirtschaftliches Verständnis vermitteln. Gibt es da Defizite?

Schubert: Viele verfügen über fachliches Know-How, das wirtschaftliche Rüstzeug fehlt oft. Das Jonglieren mit Zahlen oder wenn es ums Verhandeln von Preisen geht. Als Angestellter reden Sie nur alle paar Jahre über ihr Gehalt, als Selbstständiger muss man das laufend machen. Oder man muss lernen, wie man mit Absagen umgeht. Selbstständige bewerben sich dauernd um Aufträge und bekommen viel mehr „Neins" serviert. Mit diesen Niederlagen muss man umgehen lernen. Ein weiteres Thema ist Kalkulation. Viele Leute glauben, dass ihnen das Geld, das am Konto eintrifft, zur Gänze gehört. Davon bleiben aber nicht einmal 50 Prozent. Der Rest geht ans Finanzamt oder die Sozialversicherung.

derStandard.at: Wie sieht es mit der Arbeitszeit aus?

Schubert: Selbstständige arbeiten im Schnitt 52 Stunden pro Woche, Angestellte kommen auf 38 Stunden pro Woche. Der große Vorteil ist, dass man sich die Zeit bis zu einem gewissen Grad selber einteilen kann.

derStandard.at: Sie kritisieren Gratispräsentationen. Was kann man dagegen tun?

Schubert: Viele, gerade größere Unternehmen holen sich Ideen von EPUs, indem sie sagen: „Schicken Sie mir einmal ein Angebot, machen Sie mir ein Konzept." Gegen diese Gratispräsentationen sollte man sich zur Wehr setzen. Besser ist, zum Beispiel ein schon abgeschlossenes Projekt zu präsentieren, um die Arbeitsweise zu demonstrieren. Konzepte sind von der Idee her nicht schützbar. Lieber den Verkaufsprozess früher abbrechen, als sinnlos Zeit und Energie zu investieren. Diese Frusterlebnisse sollte man sich ersparen. (Oliver Mark, derStandard.at, 20.9.2011)