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Ob im Anzug ...

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... oder im Anorak ...

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... Arsene Wenger gibt seinen Gunners seit 15 Jahren eine Philosophie vor.

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Arsène Wenger ist der Typ Trainer, der seinen Spielern die Süßigkeiten wegnimmt. Das geschah vor fast genau 15 Jahren an seinem ersten Spieltag bei Arsenal. Am Weg zum Auswärtsspiel in Blackburn, skandierten Spieler aus Gewohnheit: "Wir wollen unsere Mars-Riegel". Wenger blieb hart und beendete die leistungsfeindliche Tradition. Es war eine kleine Revolution für den Sport, und einen Verein, dessen damaliger Kapitän Tony Adams nur wenige Wochen zuvor einen Schlussstrich unter sein Trinkertum gezogen hatte.

Der heute 61-jährige Wenger überlässt Dinge nicht dem Zufall, sondern arbeitet akribisch an jedem Detail. Vor dem Pokal-Spiel gegen Shrewbury am Mittwoch sprach deren Coach Graham Turner ein Lob: "Arsène Wenger gebührt der größte Respekt von Trainern in diesem Land". Er sei mit Dingen wie Ernährung, Vorbereitung und Trainingsmethoden neue Wege gegangen, das habe zur Entwicklung des englischen Fußballs signifikant beigetragen.

Als Fachmann ist Wenger unumstritten, aber persönlich nicht jedermanns Liebling. Manche kritisieren ihn dafür, dass er wenige Briten einsetzt. Aber der Pass eines Spielers ist bei ihm egal (zumindest der, der die Nationalität bestimmt). Er spricht Französisch, Deutsch, Englisch, mit Abstrichen auch Italienisch, Spanisch und Japanisch. Mit Jose Mourinho lieferte er sich Wortgefechte, obwohl Portugiesisch nicht zu seinem Repertoire zählt. Er und der Schotte Alex Ferguson (der einzige aktuelle Trainer, der noch länger bei einem Premier League-Verein dient) gehen sich regelmäßig auf die Nerven. Zum Fußball gehöre das dazu, meint der im kleinen Duttlenheim aufgewachsene Elsässer. Man könne nicht auf diesem Level miteinander konkurrieren und gleichzeitig befreundet sein. Und außerdem würden diese Psychospielchen das Leben interessant machen.

Das Wer

Wenger ist kein Sportwissenschafter, wie etwa Mourinho. Aber er begreift den Fußball ähnlich analytisch. Als Junge im Bistro der Eltern lernte er ihn zu lieben und verstehen, als er den Erwachsenen beim Reden zuhörte. Jahre später studierte er Elektrotechnik und Volkswirtschaft in Straßburg. Er war damit lange vor seiner kurzen Karriere als Profifußballer fertig, die erst im Alter von 29 begann. Er brachte es auf elf Einsätze, gewann einen französischen Meistertitel und lief einmal im UEFA-Pokal auf. Nicht übel. Trotzdem ist es recht einfach zu behaupten, dass er an der Seitenlinie besser aufgehoben ist.

Für Wenger ist der Fußball nicht nur Leidenschaft, Besessenheit und Beruf, sondern auch ein Faktor in der restlichen Welt. Jedes große Premier League-Spiel werde von einer halben Milliarde Menschen und mehr gesehen. Die Spieler haben für ihn deshalb eine große Verantwortung und wichtigen Einfluss. Er glaubt daran, dass der Sport etwas ändern kann. "Die moralischen Werte, die ich in meinem Leben gelernt habe, lernte ich im Fußball", sagt er.

Doch paradoxerweise ist der verheiratete Vater mit diesen Werten eine so außergewöhnliche Figur im Geschäft, dass immer wieder die Frage gestellt wird, ob er in der richtigen Branche ist. "Selten hat jemand so gut im Anzug und so schlecht im Anorak ausgesehen", schrieb ein englischer Journalist über ihn. "Hätte ich nicht im Fußball gearbeitet, hätte ich mein Leben den internationalen Beziehungen gewidmet", meint Wenger.

Es gibt wenige andere Personen in diesem Sport, die man über die Notwendigkeit einer Weltregierung oder eines Maximaleinkommens reden hört, und die das mit aller Pragmatik zu argumentieren verstehen. Seinen Eltern hätte es gefallen, wenn er etwas anderes gemacht hätte. Der Weg ihres Sohnes in den Sport überzeugte sie lange nicht. Dass sich das mit der Zeit änderte, ist anzunehmen.

Das Werden

Doch auch großes Können schützt nicht vor der gelegentlichen Krise. Arsenals drei Niederlagen in fünf Spielen, darunter ein 2:8 gegen Manchester United, sind schmerzhaft und ergeben den schlechtesten Start des Vereins seit 1982.

Das ist so lange her, da war Wenger gerade erst am Sprung zum Trainer. Seine Karriere an der Seitenlinie begann er als Co-Trainer 1983 in Cannes. Im Folgejahr wechselte er zu Nancy-Lloraine, um dort die erste Geige zu spielen. Im dritten Jahr stieg seine Mannschaft ab. Er selbst wurde von AS Monaco verpflichtet, holte dort einen Meistertitel und Cupsieg. Nachdem der Klub ihm 1994 erst den Wechsel zu Bayern München verbaute, wurde er wenige Wochen später entlassen. Wenger zog nach Japan, wo er Nagoya Grampus Eight - Ivica Vastics späteren Club - eine Saison lang coachte.

Im September 1996 kam dann der ganz große Sprung: Eine englische Zeitung titelte höhnisch "Arsene Wer?", als der Traditionsklub Arsenal den Franzosen verpflichtete und eine Revolution zuließ. Waren in den 90ern wegen der defensiven Spielweise noch "Boring, boring Arsenal"-Rufe von gegnerischen Fans zu hören, steht der Klub nach 15 Jahren Wenger für eine der attraktivsten Spielarten der Welt. Die "Gooners" singen diese Sprüche nun an guten Tagen sarkastisch selbst.

Die Zahlen

Wengers Mannschaft holte drei Meistertitel, darunter gab es eine Saison ohne eine einzige Liga-Niederlage. Keine Meisterschaft wurde an schlechterer Position als Rang 4 beendet. Man gewann vier mal den FA Cup und stand einmal im Finale der Champions League. Aber nun steht Wenger unter Druck, weil der letzte Titel bereits sechs Jahre zurück liegt. Im vergangenen Jahr hätte der Ligapokal die Befreiung sein können, doch Wengers klar überlegenes Team versemmelte einmal mehr zu viele Chancen und verlor in der Schlussminute des Finales die Chance auf den Titel. Danach ging es auch in der Meisterschaft bergab. Dieses Saisonende trägt wohl zur heutigen Unruhe im Gunners-Lager bei. Der im Emirates Stadion bekannte Spruch "In Arsène We Trust" hat an Überzeugung verloren.

Was man an sich weiß, aber in der täglichen Kritik gerne vergessen wird: Seit Wengers Amtsantritt im damaligen Highbury Stadion hat der Verein nach Abzug der Verkäufe gerade einmal 46 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Das ist insgesamt nur etwas mehr als ein Prozent des Liga-Transfersaldos von 3,65 Milliarden Euro während dieser Zeit. 46 Millionen Saldo verzeichnete der sportliche Hauptkonkurrent Manchester United allein in diesem Sommer - von anderen Prassern ganz abgesehen. Der FC Barcelona (Champions League-Finalgegner 2006) schrieb in den letzten zehn Jahren über zwanzig Mal mehr Geld als Arsenal ab. (alle Zahlen laut Transfermarkt)

Das relativiert die titellose Zeit und macht die Konkurrenzfähigkeit seines Teams umso imposanter. Aber es wird dem Master der Wirtschaft auch zum Vorwurf gemacht. Titelhungrige Fans fordern, er solle endlich mehr investieren, um Schwachstellen in der Mannschaft zu bereinigen. Doch Wenger mag dieses "finanzielle Doping" nicht: "Bei Arsenal leben wir mit dem Geld, das wir einnehmen". Das sei "normal" und "respektabel". Investitionen müssen langfristig Sinn ergeben - wie das mächtige Stadion, das sein Verein auf Pump im Norden Londons hingestellt hat. Es werde Arsenal größer machen, wenn es abbezahlt ist.

Das Gegenmodell

Der Mensch Wenger, seine politische Moral, der wirtschaftliche Intellekt und sein sportlicher Sachverstand haben ein Modell erdacht, dass sie den Chelseas, ManCitys und Reals dieser Welt entgegenstellen. Wenger kauft nur selten Stars, er macht sie. Er scoutet Talente, bildet sie aus, schweißt sie in jungen Jahren zusammen und impft ihnen seinen Stil ein. Spieler wie Jack Wilshere, Theo Walcott, Carlos Vela oder Aaron Ramsey folgen dem Mentor auf diesem Weg. Cesc Fabregas, sein wahrscheinlich bester Schüler, ging ohne Triumph wieder nach Hause, ins gemachte Bett von Barcelona. Ein heftiger Rückschlag für das Projekt, trotzdem dankte Wenger dem Spanier auf seine Weise für die guten Jahre.

Als im Sommer klar war, dass Fabregas zurück zu Barça wollte, hätte Wenger von sich aus Druck auf die Vereinsführung gemacht, um seinen Preis zu senken und den Deal zu ermöglichen, berichtet der Spieler. Es gelang. Fabregas ging unter Tränen, konnte beim Abschied völlig zerstört nicht mit Wenger sprechen und sagt nun: "Ohne ihn wäre ich niemand". So etwas hört man manchmal über Väter, nicht oft über Profitrainer.

Wenger scheint die sportliche Philosophie über die Macht des Geldes siegen lassen zu wollen. Er führt damit einen ebenso sympathischen wie anachronistisch scheinenden Kampf. Bei Arsenal muss er nichts mehr erreichen, um als einer der größten Trainer in die Vereinsgeschichte einzugehen. Wenn sein Projekt gelingt, wird er vielleicht auf alle Zeit der größte Kanonier bleiben. Aber sollte er an der aktuellen Krise scheitern, würde es wie eine unvollendete Symphonie erscheinen. Es wäre nicht unbedingt gut für den Sport. (tsc, derStandard.at, 23.9.2011)