Wien - Es kommt selten vor, dass Attac einen Vorschlag der EU-Kommission bejubelt. Doch in diesem Fall sehen die Globalisierungskritiker die Brüsseler Exekutive sogar als Erfüllungsgehilfen zu einem "Durchbruch". Grund: In den kommenden zwei Wochen will die Kommission einen Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer präsentieren. Der erste, noch nicht offizielle Entwurf liegt dem Standard vor.

Ein "fairer" Beitrag der Finanzwirtschaft zur Begleichung der Krisenkosten, die Verhinderung künftiger Krisen durch Einbremsen übermäßig riskanter Transaktionen: Das sind die Ziele, die sich die Kommission im Text steckt. Erreichen will sie diese durch eine Steuer auf den Handel mit Aktien, Anleihen und die berüchtigten Derivate, also jene Finanzprodukte, die zur exzessiven Spekulation auf Kursentwicklungen genutzt werden. Ausgenommen sind Primärmarktgeschäfte, also einfache Transaktionen von Haushalten und Unternehmen, sowie Devisengeschäfte - nicht aber die entsprechenden Derivate.

2014 könnte die Steuer EU-weit oder zumindest in der Eurozone eingeführt werden, meint die Kommission. Fällig wird die Abgabe dann, wenn einer der beiden Geschäftspartner in einem der teilnehmenden Staaten ansäßig ist. Auch US-Banken müssten also mitzahlen, wenn sie mit Akteuren aus der Steuerzone handeln.

Noch nicht fest steht, zumindest offiziell, die Höhe der Steuer. In einer Modellrechnung kalkulierte die Kommission mit einem Satz von 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen sowie mit 0,01 auf jenen Grundwert, auf den sich ein Derivat bezieht; Österreich hatte in Brüssel die gleiche Höhe vorgeschlagen. Es zeichnet sich ab, dass der Tarif so bleibt, doch bestätigen will man das im Büro von Steuerkommissar Algirdas Semeta gegenüber dem Standard nicht.

Mindestsätze geplant

Interessantes Detail: Nach den Buchstaben des Vorschlags soll es sich um Mindeststeuersätze handeln. Die einzelnen Staaten könnten also höhere Tarife fixieren.

Die Ausnahme für Devisen argumentiert ein Sprecher Semetas mit rechtlichen Problemen angesichts des Prinzips des freien Kapitalverkehrs. Im Entwurf ist auch von drohendem Schaden für die Realwirtschaft die Rede, was Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) angesichts der niedrigen Steuersätze nicht ganz einleuchtet. Der "Charme" einer umfassenden Transaktionssteuer bestehe gerade darin, "dass es keine Ausweichmöglichkeiten gibt", sagt sie.

Die Kritiker von Attac sehen das ähnlich. Sie bekritteln die Devisen-Lücke, die Spekulanten nützen könnten, ebenso wie die "mickrigen" Steuersätze. Dieser Meinung ist auch das Vorstandsmitglied der Wiener Börse, Heinrich Schaller, der ebenfalls auf eine lückenlose Einbeziehung aller Transaktionen drängt. Er befürchtet insbesondere, dass außerbörslicher Handel - also direkt zwischen zwei oder mehreren Geschäftspartnern - nicht voll erfasst wird. Klar ist laut Schaller, dass sich mit der Transaktionssteuer die Absicherung vor Preisausschlägen durch die Realwirtschaft verteuert, also beispielsweise das Hedgen eines steigenden Ölpreises für die Luftfahrt. Das sei allerdings "verkraftbar".

50 Steuermilliarden erhofft sich die Kommission für das EU-Budget. Im Vergleich zu den aktuellen 130 Milliarden im Jahr klingt das üppig, angesichts des vom Wifo berechneten Potenzials bei höherem Steuersatz (310 Milliarden) dagegen wieder mager. (Gerald John, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 24.9.2011)