Die Arbeit eines Psychoanalytikers erfordert ein gehöriges Maß an Distanz und die Zurücknahme eigener Gefühle. Da kann es schon sein, dass einem anderenorts, fern der Couch, einmal, wie der Innsbrucker Psychologe und Bildungswissenschafter Aigner sagt, "der Kragen platzt".

Aigner überkommt Mitleid mit dem Wissenschaftsminister und er zeigt Empathie für den Leidenden. Das ist zweifellos ein netter und humaner Zug. Dann aber frönt Aigner wild dem Lustprinzip und übermittelt Rot, Grün und ÖH die Diagnose "hysterische Ideologie-Blindflieger". Mein Kragen ist deswegen nicht geplatzt. Ferndiagnosen aber sind immer suspekt und oft fehleranfällig. Nun zur Sache:

Es ist uns Grünen bekannt, dass die Selektion im Bildungsbereich früh anfängt und sich vom Kindergarten, über die Schule bis hin an die Universitäten durchzieht. Unbestritten ist: Auch derzeit gibt es keinen vollkommen freien Uni Zugang, aber jedenfalls einen freieren als mit Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen. Faktum aber ist, dass wir in vielen Bereichen der Bildung beschämende Nachzügler sind und OECD wie EU darauf drängen, breiteren Bevölkerungsschichten den Zugang zu Unis und Fachhochschulen zu ermöglichen.

Studiengebühren sind aber weder für Eltern noch ihre Kinder ein Anreiz zu studieren. Auch ohne Studiengebühren ist Studieren keinesfalls gratis. Studierende verzichten jahrelang auf ein eigenes Einkommen, erreichen die erforderlichen 45 Versicherungsjahre nicht und ihre monatlichen Lebenshaltungskosten werden im Bericht zur sozialen Lage der Studierenden mit knapp 900 Euro errechnet. Was bleibt einer Mittelstandsfamilie mit zwei studierenden Kindern, wenn sie für deren Studium monatlich 1800 Euro berappen müssen?

Schon derzeit müssen über 60 Prozent der heimischen Studierenden im Schnitt 20 Stunden neben dem Studium arbeiten. Das verzögert das Studium und führt oft zum Studienabbruch.

Die von Töchterle so oft versprochene, soziale Gestaltung der Studiengebühren, würde weit mehr kosten als die Einnahmen aus den angekündigten Studiengebühren. Derzeit erhalten nur 18 Prozent der Studierenden Beihilfen von durchschnittlich nur 270 Euro. Auch damit liegen wir weit hinter vergleichbar wohlhabenden Staaten. Um deren Stipendienniveau zu erreichen, müsste etwa doppelt so viel Geld in die Hand genommen werden, als die Unis durch Studiengebühren hereinbekämen.

Lieber Horoskope befragen?

Auch eine Selektion über Aufnahmeverfahren ist unfair und vor allem nicht zielführend. Die versprochene bessere Auswahl von Studierenden kann nicht seriös durch ein punktuelles Aufnahmeverfahren gewährleistet werden. Deren Treffsicherheit wird auch von zahlreichen Experten heftig angezweifelt. Nach einem Medizinstudium etwa, können zig verschiedene Berufe ergriffen werden, von der Chirurgin bis zum Psychiater. Sollen künftig alle diese Mediziner/-innen gleiche Eigenschaften wie geklonte Dalmatinerwelpen haben?

Beratungen müssen deutlich vor der Matura beginnen. Der von Aigner so bemitleidete Minister will verpflichtende Beratung für alle. Das Ganze darf aber natürlich keine Mehrkosten verursachen. Bei der dadurch zu erwartenden Qualität der Beratungsleistungen können die Jugendlichen dann gleich ihre Horoskope befragen. Fraglos ist eine gewisse Steuerung von Studierendenströmen wünschenswert. Über das Wie sollte aber gemeinsam nachgedacht werden.

Aigner macht glauben, dass Studieren keine Arbeit ist, Studierende Blindflieger, Tachinierer und Anarchisten sind und die Billa-Kassierin das Studium von Ölscheichs finanzieren muss. Wenn man das unterstellt, gewinnt man freilich jede Volksbefragung. Keine Demokratie ist perfekt. (Kurt Grünewald, DER STANDARD, Printausgabe, 28.9.2011)