Die Wiener Linien versammeln über 14.000 Fans auf ihrer Facebook-Seite.

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"Auch Fans, die unsere Fahrer als Pfosten beschimpfen, sind uns viel wert", behauptet Answer Lang, Pressesprecher der Wiener Linien, "Kritik ist für uns immer Anlass, besser zu werden." Die Wiener Linien sind seit ein paar Monaten auf Facebook vertreten und das "gefällt" 14.000 Fans. Dass es auf der Seite nicht immer politisch korrekt zugeht, ist klar. "Wir bieten hier ein kontrolliertes Ventil, damit die Leute ihren Ärger ablassen können." Die Facebook-Präsenz dient aber nicht nur dazu, den Unmut der Passagiere zu kanalisieren, sondern auch als Vehikel, um Infos - etwa über Linienausfälle oder das Ticketsystem - zu transportieren. "Wenn man einmal einsteigt, ist man drinnen", so Lang bei den Medientagen zur Social Media-Strategie seines Unternehmens: "Dann gibt es kein Zurück mehr."

"Organisches Wachstum" statt gekaufte Fans

Konzipiert wurde die die Social Media-Strategie der Wiener Linien von Digital Affairs. Judith Denkmayr, Geschäftsführerin der Agentur: "Wir bekommen immer wieder Anfragen von Unternehmen, die Fans kaufen wollen." Das sei keine seriöse Strategie, "wir plädieren für organisches Wachstum". Vor allem im angloamerikanischen Raum ist es nicht unüblich, dass Agenturen ihren Kunden Fans verkaufen. Firmen müssten sich aber ihre Community aufbauen und Identifikationsmöglichkeiten schaffen.

Ende der Privatsphäre

Thema der Diskussion waren auch die weitreichenden Änderungen, mit denen Facebook seine Millionen User neuerdings konfrontiert. Eine neue Timeline soll chronologisches Navigieren durchs eigene Leben ermöglichen. Jahr für Jahr. Quasi von der Geburt bis in den Sarg. Als "die Geschichte des Lebens" bezeichnet das Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Eine weitere, heftig umstrittene Neuerung ist der Ticker, wo alle Aktivitäten angezeigt werden. "Das endgültige Ende jeglicher Privatheit" kritisieren die einen, die anderen jubeln über neue Marketingmöglichkeiten, die eröffnet werden. Kommentiert ein User eine Meldung oder klickt auf "Gefällt mir", ist das für alle Freunde ersichtlich. "Dadurch werden die Freunde der Fans wertvoller als die Fans selbst", erklärt Judith Denkmayer, "sie kommen in Kontakt mit der Marke".

"Diese völlige Transaprenz geht mir persönlich zu weit", meint Klaus Matzka. Der Investor und frühere Magnet-Geschäftsführer hat sein Profil deaktiviert. Aus Sicht des Unternehmens sei das natürlich verständlich, da diese Struktur den Weg für eine neue Monetarisierungsschiene ebne. Matzka ortet aber einen Missbrauch der Privatsphäre. Aufgrund der Dominanz am Markt, das Netzwerk zählt über 800 Millionen User, könne sich Facebook das erlauben. Nutzer werden nicht in Scharen davonlaufen.

Dominanz

Wohin auch? Als Konkurrenz könnte sich eventuell Google Plus etablieren. Nur wenige Wochen nach dem Start kommt das Netzwerk bereits auf 50 Millionen Mitglieder. Denkmayr glaubt allerdings nicht, dass Google Plus Facebook den Rang ablaufen kann. Dafür sei Facebook einfach zu dominant, der Vorsprung sei zu groß. Weitere Kanäle wie Xing oder Twitter sind - trotz der beachtlichen Größe - mehr Spielwiesen für eine spezifische Klientel als ernsthafte Rivalen um die Gunst der Nutzer.

Davon ist auch der Consultant George Nimeh überzeugt. Trotz der massiven Datenschutzbedenken: "Wenn du etwas kostenlos willst, musst du den Preis dafür zahlen." Etwa, dass sogar dem Surfverhalten von ausgeloggten Usern nachspioniert wird. Die einfache Rechnung: "Wir geben unsere Daten her, die diktieren die Regeln." Als negatives Beispiel, wie man auf Facebook nicht agieren sollte, nennt Nimeh den Konzern Nestle. "Die haben gedacht, die Seite gehört einzig und alleine ihnen und können dort machen, was sie wollen." User-Kommentare wurden gelöscht, Fans verhöhnt. Die Folge war ein Sturm der Entrüstung, der in einem enormen Imageverlust resultierte, so Nimeh.

Verstaubtes Image ablegen

Um Image geht es auch Answer Lang. Die Attribute "jung, modern, dialogorientiert" verbinde man nicht unbedingt mit den Wiener Linien. Die Interaktion via Facebook sei ein erster Schritt in Richtung Imagekorrektur. Um mit der Strategie erfolgreich zu sein, müsse es die volle Rückendeckung der Unternehmensführung geben. Ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen müssen zur Verfügung gestellt werden, um Fragen auf der Pinnwand wie: "Wenn man ein Stofftier in einer U6 Station findet. Wo bringt man das am besten hin?" beantworten zu können. Von weiteren erstaunlichen Dingen berichtet Lang. "Viele erzählen uns auf unserer Seite, dass sie schwarzfahren." Nachgegangen wird den Outings nicht. Fürs Strafen seien einzig und alleine die Schwarzkappler zuständig. (om, derStandard.at/3.10.2011)