Stockholm / Frankfurt/Main / Wien - Der frischgebackene Literaturnobelpreisträger Tomas Tranströmer wurde von der glücklichen Nachricht "überrumpelt", als ihm telefonisch die Zuerkennung des Nobelpreises mitgeteilt wurde, so Peter Englund, ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie, im schwedischen Fernsehen: "Er hörte gerade Musik, als ich ihn anrief".

Ehefrau Monica Bladh-Tranströmer - seit dem schweren Schlaganfall ihres Gatten im Jahr 1990 gleichsam dessen Sprachrohr - beschrieb gegenüber der schwedischen Nachrichtenagentur TT die erste Reaktion ihres  sprachbehinderten Mannes als "glücklich und gerührt". Der 80-jährige Dichter habe die Nachricht mit "sehr gemischten Gefühlen" entgegengenommen. "Er glaubte nicht, dass er das erleben würde. Er sagt, auch, dass es in Ordnung ist, dass jetzt all die Leute kommen und ihm gratulieren und ihn fotografieren werden", so die Frau des frischgebackenen Nobelpreisträgers.

Tranströmer hat es dann  bei einer improvisierten Pressekonferenz vor seiner Wohnung in Stockholm eine "schöne Nachricht" genannt, dass er den Literaturnobelpreis erhält. Er sei "sehr froh", sagte der 80-Jährige  mit Hilfe seiner Ehefrau: "Ich habe vor allem gehofft, dass es diesmal ein Lyriker wird. Adonis hätte ihn bestimmt verdient." Musik sei für ihn genauso wichtig sei wie die Lyrik. Auf die Frage, was mit dem Preisgeld von umgerechnet 1,1 Millionen Euro geschehen werde, antworteten beide lachend: "Das wissen wir nicht." Monica Bladh-Tranströmer erklärte für ihren Mann, dass seine lyrische Arbeit derzeit nur aus kleineren Sachen bestehe. Er wisse nicht, ob er noch einmal etwas veröffentlichen werde.

Einhellige Freude herrschte in Schweden auch bei den Kollegen und Freunden des Ausgezeichneten. "Oh Gott, Ich bin überglücklich", freute sich Annelie Edh, Sprecherin von Tranströmers Verlag Bonnier. "Das ist fantastisch, es ist wie ein Traum. Wir sind zu durcheinander, um das überhaupt zu begreifen", beschied Jonas Axelsson, Chef der Literaturabteilung bei Bonnier.

Franzobel: "Gut, dass Bob Dylan den Nobelpreis nicht bekommen hat"

Tranströmer habe wohl zum Favoritenkreis gezählt, seinen Namen habe er aber "vor dem heutigen Tag nie gehört", so der österreichische Schriftsteller Franzobel, am Donnerstag Gast im derStandard.at-Chat, in einer ersten Reaktion. "Diese Preise sind etwas sehr Seltsames und Überbewertetes", so Franzobel. "Ich finde ganz gut, dass Bob Dylan, obwohl ich ihn mag, den Nobelpreis nicht bekommen hat, weil es eine falsche Tendenz wäre, Nichtschriftstellern bzw. Nichtprimärschriftstellern auch so einen Preis zuzuerkennen. Ansonsten würden vielleicht bald Verfasser von Verfassungen den Nobelpreis bekommen."

Gegönnt hätte Franzobel den Preis Friederike Mayröcker wie schon zuvor der verstorbenen dänischen Lyrikerin Inger Christensen. Franzobel weiter: "Der Literaturnobelpreis ist aber für mich ohnehin eine fragwürdige Kanonisierung einer Aura des Unantastbaren, die eigentlich der Literatur mehr schadet als ihr gut tut."

Reich-Ranicki: "Keine Ahnung"

Marcel Reich-Ranicki kann sich nicht erinnern, den Namen des Literaturnobelpreisträgers Tomas Tranströmer schon einmal gehört zu haben: "Ich habe keine Ahnung, wer der Lyriker ist", sagte Deutschlands "Literaturpapst" in einer ersten Reaktion. Auf die Frage, ob er Verständnis für die Vergabe des weltweit wichtigsten Literaturpreises an den 80-jährigen Schweden habe, meinte der 91 Jahre alte Reich-Ranicki: "Ich glaube nicht." Reich-Ranickis langjähriger Wunschkandidat für den Nobelpreis, der US-Autor Philip Roth, ging auch dieses Mal wieder leer aus.

Skandinavistikprofessor: "Sekt aufmachen"

"Unbedingt einer der größten skandinavischen Lyriker seit dem zweiten Weltkrieg" ist  Tranströmer für den Wiener Skandinavistikprofessor Sven Hakon Rossel. "Ich finde es war höchste Zeit, es ist wunderbar, dass es endlich passiert ist", so der Literaturwissenschafter in einer ersten Stellungnahme: "Wir werden hier am Institut jetzt eine Flasche Sekt aufmachen und auf ihn anstoßen."

Tranströmer habe kein umfangreiches, aber ein zeitloses Werk geschaffen, dass sich in Schweden auch großer Beliebtheit erfreue. "Er wird, im Gegensatz zu vielen anderen Lyrikern, wirklich gelesen", so Rossel. "Er gehört nicht zum typischen Modernismus - wenn man unter Modernismus versteht, dass er schwer zugänglich ist." Tranströmer habe nie für eine Elite geschrieben, seine Gedichte befassen sich mit existenziellen Themen wie Natur, Liebe und Tod. "Ein sehr musikalischer Stil ist typisch für ihn." Seine Metaphorik sei "gleichzeitig sehr raffiniert und sehr schlicht". Insofern seien Tranströmers Werke auch gut übersetzbar. "Das ist ein durchaus vollwertiges Leseerlebnis".

Gesellschaftspolitisch engagiert hat sich Tranströmer nicht, wofür er auch immer wieder kritisiert wurde. "Er wollte nie das Gewissen der Nation sein", bestätigte Rossel. "Bei all den weltpolitischen Themen hat er sich nicht direkt geäußert, aber gerade in der Zeitlosigkeit seines Oeuvres liegt doch auch ein Engagement." Der Lyrik als "edelste und exklusivste Gattung" habe der Nobelpreis längst wieder zugestanden. "Man zögert in der Akademie stets, einem Schweden den Nobelpreis zuzuerkennen - Tranströmer muss mindestens zehn Jahre ganz oben auf der Liste gewesen sein".

Überschwang  in der Heimat

Er sei "glücklich und stolz", viele Schweden hätten lange darauf gehofft, schrieb Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt in seinem Glückwunschkommentar. Der Preis werfe zudem weiteres internationales Augenmerk auf die schwedische Literatur. Er hoffe, dass die Wahl Tranströmers auch die Schweden noch mehr zum Lesen von Büchern veranlassen werde.

"Endlich. Es ist herrlich. Ein großer Tag", jubelte auch der sozialdemokratische Oppositionschef Hakan Juholt. Er selbst habe Tranströmers Gedichte vor über 20 Jahren entdeckt, als er dessen Gedichte von seinem Vater als Weihnachtsgeschenk erhalten habe. Besonders beeindruckt sei er immer von der bildhaften, kargen Sprache und deren musikalischer Qualität gewesen.

Die derzeit auf einer Konferenz in Malmö weilende Kulturministerin Lena Adelsohn Liljeroth reihte sich amtsgemäß ebenfalls unter die ersten politischen Gratulanten. Auch sie sprach von Stolz, den alle Schweden nun empfinden würden. Sie selbst sei keine gewohnheitsmäßig Leserin von Poesie, räumte Adelson Liljeroth ein. Sie habe Tranströmers gesammelte Werke erhalten, als sie den Dichter und dessen Frau Monica im Frühjahr anlässlich der Verleihung des Professortitels zu Hause besuchte.

Der Kulturjournalist und Schriftsteller Bo Grandien, ein Jugendfreund Tranströmers, sagte, der Preis bedeute dem betagten Dichter und seiner Frau sehr viel. "Ich weiß, dass sowohl Tomas als auch Monica darauf seit sehr langer Zeit gehofft hatten. Aber in den letzten Jahren hatten sie ein bisschen zu hoffen aufgehört."

Der Verleger Peter Luthersson erklärte die Entscheidung der Akademie für "total überraschend". "Es galt hier in Stockholm als völlig klar, dass der Preis nie an einen heimischen Autor gehen würde. Das hat nichts damit zu tun, dass Tranströmer ein unglaublich guter Poet ist." Luthersson verwies auf die letzte Vergabe des Literaturnobelpreises 1974 an schwedische Preisträger. Insgesamt ist Tranströmer der achte Schwede seit 1901, dem der begehrteste Literaturpreis der Welt zuerkannt wurde.

Melodien, Refrains und Rhythmen

 Gerald Schantin, Präsident des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels (HVB), zeigt sich ob der Auszeichnung  überrascht. "Was soll ich sagen. Es ist nicht der große Wurf, das wissen wir ja", kommentierte er die Breitenwirkung Tranströmers. "Wer aber japanische Haiku-Gedichte mag, muss bei ihm aufschlagen. Er ist ein Meister der knappen Gedichte, die einfach gehalten sind, aber doch sehr rhythmisch." Grundsätzlich habe Schantin eher mit einem Romancier gerechnet. "Wenn schon ein Lyriker, dann wäre es ein tolles Signal für eine Öffnung des Preises gewesen, wenn er an einen Liedermacher gegangen wäre", verwies der HVB-Präsident auf den bis kurz vor der Bekanntgabe von Buchmachern favorisierten  Bob Dylan.

Sehr erfreut zeigte sich der österreichisch-tschechische Schriftsteller Michael Stavaric über die Entscheidung: "Die Tatsache dass ein Dichter (und kein Erzähler) den Literaturnobelpreis enthält, nämlich einer, dessen Sprache im wahrsten Sinne des Wortes 'verdichtet' ist, finde ich wunderbar. Es kommt nicht von ungefähr, dass Tranströmer auch Musiker ist - seine Auseinandersetzung mit Melodien, Refrains und Rhythmen im poetischen Sinne (also auch als Reduktion) ist augenscheinlich." Dass mit dem schwedischen Lyriker jemand prämiert worden ist, "der den Tendenzen der 'Unterhaltungsliteratur' zuwider läuft", findet Stavaric "großartig".  (APA/red)