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Alter Streitpunkt Zypern: Die EU soll Isolation des Nordens beenden, sagt Bagiş.

Foto: AP/dapd/Harun Ucar

Brüssel erkennt allenfalls Bewegung im Millimeterbereich, die türkische Regierung sieht sich hingegen im Expresszug Richtung Brüssel sitzen. "Wir waren nie näher an den EU-Standards", erklärte der türkische Europaminister Egemen Bagiş am Mittwoch in Istanbul. Zeitgleich zur Vorstellung des jährlichen Fortschrittsberichts in Brüssel gab die türkische Führung ihre Interpretation zum Stand des Beitrittsprozesses ab.

Sechs Jahre nach Beginn der Verhandlungen steht der Beitrittsprozess nach Aussage von EU-Diplomaten "praktisch still". Von 33 Verhandlungskapiteln sind weiterhin nur 13 geöffnet, eines davon - Wissenschaft und Forschung - ist provisorisch geschlossen, acht weitere sind blockiert, kein neues Kapitel wird eröffnet. Grund ist nach wie vor die Nichtanerkennung des EU-Mitglieds Zypern durch die Türkei. Bagiş wiederholte in Istanbul die Position der Türkei: Sobald die EU ihren eigenen Beschlüssen nachkomme und Handelsbeziehungen mit der - international nicht anerkannten - Türkischen Republik Nordzypern aufnähme, werde auch die Türkei ihre See- und Flughäfen für das EU-Mitglied Zypern öffnen.

Im Fortschrittsbericht zur Türkei drängt die EU-Kommission Ankara zur Normalisierung der Beziehungen mit Nikosia angesichts des eskalierenden Streits um Gasvorkommen im Mittelmeer. Die türkische Marine beobachtet derzeit Probebohrungen eines US-Konzerns vor der Küste Zyperns.

Bagiş spielte die Drohung von Premierminister Tayyip Erdogan herunter, der angekündigt hatte, die Türkei werde ihre Beziehungen zur EU in der zweiten Hälfte 2012 "einfrieren", sollte Zypern wie geplant die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen und keine Lösung zur Überwindung der Teilung der Insel erreicht sein.

Beitrittskandidaten und EU-Präsidentschaft säßen nur bei zwei Anlässen an einem Tisch, sagte Bagiş: wenn ein neues Kapitel eröffnet werde und wenn ein Treffen der mit der EU assoziierten Staaten stattfinde; Letzteres sei schon einmal während einer Präsidentschaft aufgeschoben worden.

Wie im Vorjahr kritisiert die EU-Kommission den Druck auf Journalisten und Medien in der Türkei. "In der Praxis wird die freie Meinungsäußerung durch die Vielzahl von Rechtsverfahren und Ermittlungen gegen Journalisten, Publizisten, Hochschullehrer und Menschenrechtsaktivisten untergraben." Rund 60 Journalisten sind derzeit in Haft. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.10.2011)