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Eine Prostituierte in Frankreich. Nach einem anonymen Hinweis ermittelt die Justiz in einer Callgirl-Affäre, in der immer mehr prominente Namen auftauchen.

Foto: Reuters

Es wäre ein Fall für Kommissar Maigret, die berühmte Figur des belgischen Schriftstellers Georges Simenon: Schummrige Massagesalons im nebligen Norden Frankreichs, diskrete Luxushotels und ein Callgirlring, in den auch Polizeichefs verstrickt sind. Einen solchen Fall verfolgt derzeit die französische Justiz.

Auslöser der Ermittlungen war ein "Rabe", wie man in Frankreich sagt: ein anonymer Anrufer. Das Abhören mehrerer Handys ergab, dass der Belgier Dominique Alderweireld, im Milieu besser bekannt als "Dodo, die Salzlake", an Hotelkunden gewerbsmäßig Prostituierte lieferte. Bis vergangene Woche wurden in Lille drei Hotels, darunter das Carlton, geschlossen und mehrere Manager verhaftet.

Die Ermittlungen wegen "bandenmäßig betriebener Zuhälterei" richten sich aber auch gegen einen stadtbekannten Anwalt, einen Fußballfunktionär und einen Subunternehmer des Baukonzerns Eiffage, der gerade das neue Sportstadion der Stadt baut.

Hochrangige Polizeibeamte

Im Visier der Justiz sind zudem hochrangige Polizeifunktionäre. Wie es am Montag hieß, soll sogar der Vizechef des Inlandgeheimdienstes, Frédéric Veaux, in den Abhörprotokollen der Carlton-Affäre häufig genannt sein.

Noch häufiger kommt allerdings der Name eines Kunden vor: Dominique Strauss-Kahn. Der Ex-Chef des Internationalen Währungsfonds, der wegen seiner Sexaffäre im New Yorker Sofitel-Hotel seine Präsidentschaftspläne begraben musste, hatte unter den Schlüsselpersonen der Callgirl-Affäre mehrere Freunde - und offenbar auch "Freundinnen", wie die Prostituierten im kleinen Kreis genannt wurden.

Einer der Verhafteten berichtete der Polizei auch über Abende im Pariser Szenehotel Murano, bei denen der Service "Zimmer mit Frachtstück" hieß. "Jeder war mit seiner 'Freundin' im Zimmer", sagte er laut dem Fernsehsender France-3 aus. "Ich war mit Jade, DSK war mit seiner Freundin." Ein Callgirl namens Mounia bestätigte laut Polizeiquellen die Präsenz von Strauss-Kahn, kurz DSK.

Die Ermittler stellten aber auch fest, dass mehrere Vertreter des Herrenkreises in diesem Frühjahr drei Reisen nach Washington unternommen hatten - wo der Währungsfonds seinen Sitz hat. Mit von der Partie waren offenbar auch "Freundinnen" aus einem Massagesalon Alderweirelds an der belgischen Grenze. Offizieller Besuchszweck war, den Währungsfonds zu besichtigen und mit Strauss-Kahn über "Sicherheitspolitik" zu diskutieren.

Spesenzettel mit Kürzel "DSK"

Ob die Washingtoner Eskapaden auf Einladung erfolgten, ist unklar. Auf den Spesenzetteln eines Verhafteten findet sich offenbar das Kürzel "DSK". Laut Le Parisien könnte Strauss-Kahn eine Ermittlung wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder drohen. Der 62-jährige Sozialist hat durch seine Anwälte bereits wissen lassen, dass er in der Affäre so schnell wie möglich einvernommen werden wolle, um die "bösartigen Andeutungen" zu stoppen.

Die Ermittler stutzen aber weiter. Die letzte Herrenreise nach Washington fand vom 11. bis 13. Mai statt. Das Datum ist nicht ohne: Am 14. Mai kam es im New Yorker Sofitel zum ominösen Treffen zwischen Strauss-Kahn und der Zimmerfrau Nafissatou Diallo. Am Vorabend, das heißt am 13. Mai, wurde DSK wie bekannt mit einer blonden Frau im Lift des Sofitel gefilmt.

Diese Koinzidenz verleitet einzelne Pariser Medien zu neuen Spekulationen, ob Strauss-Kahn in New York vielleicht nicht doch in eine Falle gelockt worden sei. Häufiger wird in Frankreich indessen eine andere These diskutiert: die nämlich, dass der anonyme Hinweis des "Raben" gar nicht den lokalen Zuhältern, sondern diesem Hauptkunden des Callgirlrings gegolten habe - dem damals chancenreichsten Präsidentschaftsanwärter Frankreichs. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2011)